FERNSEHEN DIESE WOCHE
38 000 Arbeiter des japanischen Matsushita-Elektrokonzerns beginnen ihr Tagewerk stets mit einer optimistischen Hymne: »Laßt uns zusammenarbeiten«, singen sie auf dem Fabrikhof, »laßt uns die Produktion steigern.« Dann beugen sie im Beatrhythmus das Knie zur Morgengymnastik.
»Die japanischen Arbeiter«, folgert daraus der Münchner Wirtschaftsredakteur Feiler (Photo, r.), »fühlen sich wohl« und kennen »nur die Leistung für die Nation«. Mit einer Überfülle von Zahlen und Daten will er das belegen; sein spärlich bebilderter, hektisch geschnittener Report vom japanischen Wirtschaftswunder kündet deshalb nur von Rekorden:
Japan, das im Jahr 2000 das Bruttosozialprodukt der USA erreichen will, produziert schon heute mehr Radios, Tonbandgeräte, Kameras und Nähmaschinen als jedes andere Land der Erde, und es baut die größten Tanker und die schnellsten Züge der Welt. Seine Hochleistungs-Industrie ist »nach modernsten westlichen Vorbildern« organisiert, doch Im Betrieb herrscht noch immer die »Hierarchie des Kaiserreiches« -- die Wirtschaftsmandarine sind die alten Patriarchen geblieben.
Die Studentenunruhen und Arbeiterdemonstrationen des letzten Jahres, den Arbeitskampf und die brutalen Polizeiaktionen hat Feller in seinem rosigen Nippon-Bild ausgespart. Für Feller ist die Wirtschaftsgroßmacht Japan ein Land des Lächelns.
Fernsehern ist das stille Dostojewski-Mädchen seit langem vertraut. 1964 erschien »Die Sanfte« In einer deutschen Inszenierung des SFB zum ersten-, 1966 in einer Wiederholung zum zweitenmal. 1967 stellte das ZDF sie in einer sowjetischen Produktion vor. 1969 hat sie der NDR nun aus der Tschechoslowakei Importiert. Und kein Zweifel: Als »Sanfte« Ist Magda Vásáryová die Sanfteste.
Sanft weht ihr Haar, in Zeitlupe flattern die Gewänder und Gardinen bei slawischen Chören durchs Halbdunkel. Zart und empfindsam bringt Regisseur Barabás ins Bild, was der Pfandleiher (Ctibor Filcik, Photo), ein leiser Desperado, an der Bahre seiner toten Frau monologisiert. Warum, so forscht er, hat sie sich nur aus dem Fenster gestürzt, und wühlt dabei ganz gelassen in seiner Seele -- er Ist eben ein russischer Mensch mit Pokerface.
Dreimal schon trug »Die Sanfte« ihren Stolz und ihre Trauer durchs deutsche Fernsehen. Daß sie zum viertenmal kommt, muß den Programmdirektoren verziehen sein. Schließlich können sie diesen unpathetisch und sparsam inszenierten Film nur mit dem Seufzer eingekauft haben: »Verweile doch, du bist so schön.«
Nach Brandt, Kiesinger und Strauß hat der konservative Berliner Journalist und »Welt«-Kolumnist Matthias Walden nun auch Helmut Schmidt (Photo), den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, porträtiert. Lebendig genug geht es wie immer bei Schmidt zu, sehr politisch nicht.
»Wurstig und unbekümmert« (Kommentar) geht und steht der Partei-Arrivist vor Waldens Kamera. Ganz gleich, ob er im Hamburger Eigenheim Pachelbel orgelt oder auf der Wahlversammlung im westfälischen Belecke spricht, ob er mit Bundeswehrsoldaten, mit Betriebsräten oder dem »Kollegen Barzel« plaudert -- Helmut Schmidt ist immer Helmut Schmidt, es gibt wirklich nur einen: den mit dem exakten Scheitel und dem immer tadellos sitzenden Schlips und der glatten Weste, den Biedermann, der keinen Anstoß mehr erregt. Er ist ein Mann der Mitte, ein durch und durch »antiideologischer Praktiker« (Waiden), und ein ungemein tüchtiger dazu.
Walden führt es vor, und der Sozialdemokrat aus »Motiven der Gerechtigkeit« (so nennt sich Schmidt) sagt es: daß er »14, 15, 16 Stunden Arbeit am Tag« leistet, im Hamburger Wochenende sogar noch zwölf Stunden extra. Er weiß Genossen und Sekretärinnen zu kommandieren und auch mit dem Bundeskanzler ein Wörtchen zu reden.« Ich hab« 'n Haufen Klagen mitgebracht«, sagt er auf dem Sofa im Kanzleramt, und Kiesinger antwortet: »Ich auch.« Da hat Walden aber ein schönes Beispiel für das Funktionieren der Großen Koalition gefilmt.
Den Drang nach Titeln und Orden findet Helmut Schmidt »unappetitlich«, an Politikern schätzt er »Tapferkeit, Entschlußkraft und natürlich Urteilsvermögen«. Feigheit und Opportunismus stoßen ihn ab, und von der Mitbestimmung will er im Wahlkampf selbstverständlich wenig reden; denn das könnte ja »mehr Stimmen kosten, als es einbringt«.
Auf die Frage, ob er Im Leben etwas Wesentliches falsch gemacht habe, hat Schmidt, das versteht sich, nur eine Antwort: »Nein.« Ach, bedenken Sie, Herr Helmut Schmidt...
»Mutter«, hechelt das 17jährige Gör, »du siehst wie ein angemalter Affe aus"« und erkundigt sich hämisch: »Hast du meinen Vater eigentlich gut gekannt?«
Mit solchen Sprüchen macht Eva Maria (Tarja-Tuulikki Tarsala, Photo) der ledigen Mutter, einer Serviererin, die enge Stube zur Hölle: Sie spioniert, wenn der »ekelhafte Liebhaber« Sandro hinter der spanischen Wand unter Mutters Rock und zur Flasche greift; und als dann Mama im Fieber liegt, läßt Eva Maria die Todkranke kaltblütig sterben. »Jetzt kann ich ihr Bett auf den Speicher schaffen«, triumphiert sie, »und dann bekomme ich eine wunderschöne Tanzfläche.«
So makaber, so seelisch verstört geht es bei dem erfolgreichen finnischen Dramatiker Järner ("Die Taube mit dem Olivenblatt") meistens zu: Als Dorfschullehrer kennt er sich in pubertären Libidokonflikten aus. Sein Film, aus wirren Erinnerungen, Tagträumen, Realitätsfetzen und Wunschbildern komponiert, wirkt wie eine Illustration zu Freuds Gesammelten Werken.
Pianisten wie Jörg Demus, 40, der Wiener mit der Weltkarriere, sind glückliche Naturen, und ihr Tageslauf ist wahrhaft bunt: Demus (Photo) beispielsweise sammelt und sammelt, bei Sonne und Schnee, im Salzkammergut und in der großen weiten Welt:
Er sammelt Schwammerl im heimischen Tannenwald und Holzschnitte aus Japan, Haremstüren aus Persien, Zirkuswagen aus Wien, Karrendeichsein aus Palermo und, natürlich, Klaviere, Clavichorde, Cembali und Hammerflügel.
Auf diesen sammelt er pianistische Erfahrungen aus vertracktem Brahms-Satz und feinem Bach-Filigran; dann sammelt er, zur Premiere eines neu einstudierten Stücks, den Leitner-Bauer von nebenan und ein paar Maderln und Dirndln um sich, sammelt Komplimente fürs Selbstgekochte und Applaus fürs Vorgespielte, und manchmal sammelt er auf der grünen Wiese neue Schuhe auf, die ihm sein Händler aus der eigens angeflogenen Sportmaschine herabwirft.
Ja, die Künstler sind halt ein lustiges Völkchen -- wenn das deutsche Fernsehen sich mit ihnen beschäftigt. Wenn man ein Huhn nicht schlachtet, legt es Eier und brütet Küken, und so wird der Huhnhalter immer reicher -- die Wirtschaftsredakteure Dingwort-Nusseck (Photo) und Cunis haben es mit einer Graphik hinlänglich verdeutlicht. Das soll sagen: Nur wer Kapital besitzt, das wie Geflügel selbsttätig Mehrwert heckt, hat Einkommen ohne Arbeit.
So niedlich und einfach packen die Autoren das größte politische Ärgernis der Nachkriegszeit an. Denn wer hat schon so viel Geld, daß er es brüten lassen kann? Ein paar Kapitalisten, wer sonst?
Nur Unternehmer verdienen seit der Währungsreform so viel, daß sie ein Drittel ihres Einkommens für die Vermögensbildung zurücklegen konnten. Mehr als 15 000 wurden dabei in den letzten zwanzig Jahren Millionäre. Westdeutschlands Arbeiter und Angestellte jedoch bekamen vom Wirtschaftswunder gerade einen Anstandshappen und konnten deshalb nur ein bescheidenes Sparkonto anlegen. Natürlich sind Frau Nusseck und Herr Cunis dagegen, und die Kapitalisten sind es offenbar auch.
Niemand, so entdeckten die Berichter, ist gegen eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Volksvermögen. Es gibt mehr als drei Dutzend Pläne, und ein paar Unternehmer haben sogar schon ihren Angestellten kleine Anteile an ihren Betrieben vermacht -- statt höheren Lohns, versteht sich.
Doch Reichtum, auch das hat das Wirtschaftler-Duo recherchiert, tut einfachen Leuten oft gar nicht gut. Prägnantes Beispiel: Der Lotto-König Walter Knoblauch brachte seine halbe Million in wenigen Monaten durch, heute lebt er von der Wohlfahrt. Und da wird eben Wirtschaft im NDR-Report moralisch: »Wer sein Huhn in die Pfanne haut, kriegt keine Eier mehr.«
Das Fazit ist danach einfach: »Für Arbeitnehmer ist der Arbeitsplatz immer noch das beste Vermögen.«
ZDF-Redakteur Peter Berg war fünf Wochen lang in den Studios der BBC zu Gast; von Tag zu Tag wunderte er sich mehr »über die große Freiheit, die britische Programmgestalter haben«. Und vor allem über »sehr gewagte Dinge, die sie auf den Bildschirm bringen": Mädchen schildern ihre Defloration, Ehebrecherinnen plaudern aus der Schule, und gerettete Selbstmörder werden eindringlich interviewt. Zwei Beispiele übernimmt Berg in sein Senderporträt:
Ein syphilitisches Mädchen berichtet: »Meine Freundin hat mit hundert Männern geschlafen, ich nicht mal mit einem Viertel davon Und BBC-Unterhalter David Frost durfte, von Berg bewundert (in der mittlerweile eingestellten Reihe »That Was The Week That Was"), vor den Augen der Nation so ehrwürdige Institutionen wie das Königshaus und die Clubs glossieren. »Kontroverse Themen« wie Rassismus in Engtands Polizei werden gleichfalls aufgegriffen.
Die Journalisten der British Broadcasting Corporation sind freilich noch nicht lange so aggressiv. Bis 1959 wagten sie beispielsweise nicht, über den Wahlkampf zu berichten -- aus Sorge, Partei zu nehmen. Und oft waren sie vor lauter Seriosität »etwas eingesteift«, wie der langjährige BBC-Generaldirektor Str Hugh Greene (Photo) deutsch formuliert.
Sir Hugh, der wenig von »innerer Zensur« und viel vom »Verantwortungsbewußtsein der Redakteure« hält, hat dennoch, unter anderem, einen TV-Beitrag über die Schrecken eines Atomkriegs ("The War Game« von Peter Watkins) unterdrückt, »weil er zu grausam war -- Berg setzt ihm deswegen mit harten Fragen zu.
Allerdings läßt der Autor keinen Zweifel, daß ihm die BBC sympathisch ist -- ihr oberstes Aufsichtsorgan, den »Rat der Gouverneure«, hält er für beispielhaft. Die Mitglieder dieses Gremiums werden »als unabhängige Einzelpersonen«, ohne Parteieinfluß« gewählt. »Und vor allem dadurch unterscheidet sich der Rat der Gouverneure«, sagt Berg, »sehr vorteilhaft von deutschen Fernsehräten.«
Zersetzt die Beatmusik die Bundeswehr? Deutsche Obristen scheinen es zu befürchten, denn deutsche Rekruten durften nicht mitmachen, als WDR-Redakteur Hans-Gerd Wiegand im letzten Sommer einen »harmlosen kleinen Pop-Ulk« inszenieren ließ.
Weder mit Tricks und Maskeraden noch durch vorgetäuschte »Geschlechtsmutation« und Joga-Meditation kann der Sänger Bill (Marius Müller-Westernhagen, Photo) von der Harakiri-Whoom-Band seine Einberufung hinauszögern. Statt beim Rock'n'Roll-Festival singt er notgedrungen auf dem Manöverball, wo belgische Nato-Soldaten und -- in ausgeliehenen Bundeswehr-Uniformen -- Kölner SDS-Studenten schwofen.
Die Bonner Militärs, vom Wehrdienstverweigerer Gerhard Schmidt, Autor der knallbunten Satire auf Beat und Bundeswehr, um Schützenhilfe gebeten, lehnten jede Mitwirkung ab: Ins Kreiswehrersatzamt in der Kölner Ludwigstraße durfte Schmidts Kamerateam nicht einmarschieren, auf dem Kasernenhof nicht antreten, denn die Truppe -- so der Generalleutnant Josef Moll -- war für den Spaß »psychologisch noch nicht reif«.
Und wohl auch nicht das Offizierskorps. Als der WDR-Intendant von Bismarck« der die für Mitte März vorgesehene Sendung zunächst vom Programm streichen ließ, höhere Chargen in einer TV-Diskussion einsetzen wollte, ließen ihn die Troupiers im Stich. Statt guter Worte gaben die Bonner lieber Geld: Der umstrittene Film (Produktionskosten: 110 000 Mark), der nach hausinternen Bataillen vom WDR nun doch unverändert gesendet wird, wurde von der »Bundeszentrale für politische Bildung« mit 30 000 Mark subventioniert.