FERNSEHEN Dissidenten-Parade
Ein Film von homerischen Ausmaßen über sowjetische Dissidenten im deutschen Fernsehen, produziert mit dem für ARD-Verhältnisse gigantischen Kostenaufwand von zwei Millionen Mark, das ließ nichts Gutes ahnen.
Zumal mit Dieter Wedel, dem Drehbuch-Autor und Regisseur des zweiteiligen, insgesamt über drei Stunden langen TV-Spiels »Mittags auf dem Roten Platz« ein Mann diesem Mammutprojekt vorstand, der die Sowjet-Union schon deshalb für überführt hält, weil es in Moskau -- empörender Verstoß gegen das Menschenrecht auf Neonwerbung -- »keine Leuchtreklame« gibt, weil darüber hinaus, so Wedels düstere Sowjeterfahrungen, die Frauen »nie hübsch und fast alle zu dick sind« und er bei seiner Moskau-Visite »nie das Gefühl (loswurde): Wehe, wenn dieses Volk auf Befehl losmarschiert«.
Genauso lichtlos, wie die Furcht vorm Sowjet-Zyklopen es vorschreibt, ist denn auch Wedels Fernseh-Moskau geraten, dessen Außenansicht er, beim NDR gleich um die Ecke, in einer abbruchreifen Gegend von Hamburg fix und fertig vorfand.
In Wohnungen und Treppenhäusern, im Polizeirevier und im Gerichtssaal, im Behördenflur und in der Zelle -- die Sowjet-Union erscheint vorwiegend düster im Bild, wie eine Sakristei oder ein mittelalterlicher Folterkeller.
Von dieser Atmosphäre überrumpelt und durch sie in seinen altbewährten antikommunistischen Vorurteilen visuell bestärkt, kann der Zuschauer die Geschichte der Dissidenten, die im August 1968 auf, dem Roten Platz gegen den Sowjet-Überfall auf die CSSR demonstriert hatten, verhaftet und später abgeurteilt worden waren, zunächst kaum anders als von der moralischen Obertribüne aus betrachten.
Und so, als opponierten sowjetische Bürgerrechtler eigentlich nur, damit ein hoffnungslos selbstzufriedenes Westpublikum etwas zum Anfeuern und Daumendrücken hat, kommt es einem in Wedels Film vor.
Auf der Polizeistation etwa, wo die Demonstranten auf den Untersuchungsrichter zu warten haben, geben sie den Beamten mal patzig-lausbubenhafte, mal großspurig moralisierende Antworten und stimmen gar russische Volksweisen an, daß solche Fröhlichkeit die Revierbeamten mimisch irritiert, während dem West-Zuschauer das Sportlerherz im Leibe lacht: Richtig, weiter so, zeigt's ihnen!
Doch gerade solche Reaktionen hatte Wedel dadurch verhindern wollen, daß er den Film über sowjetische Dissidenten zugleich als Film über diejenigen, die ihn produzieren und spielen, konzipiert hat.
Da springt dann etwa die Film-Handlung aus der psychiatrischen Klinik, in der die Zentralfigur der Protestanten, die Schriftstellerin Natalja Gorbanjewskaja, auf ihren Geisteszustand untersucht werden soll, heraus in die Realität der Kostümabteilung von Studio Hamburg, wo die Gorbanjewskaja-Darstellerin Monica Bleibtreu gerade ein für die nächste Szene notwendiges Schwangerschaftsgewand anprobiert und als »denunzierend« ablehnt: »Wir wollten keinen anti-sowjetischen Hetzfilm machen, darüber war'n wir uns doch einig.«
So unübersehbar die Absicht ist, westliche Darstellung östlicher Opposition dem Mißbrauch der Ablenkung von den eigenen Zuständen zu entziehen, so wirkungslos bleibt sie letztlich.
Denn sobald die Kameras wieder gen Osten schwenken, nimmt das durchs westliche Schlüsselloch beobachtete Märtyrerdrama seinen Lauf wie zuvor, werden die Dissidenten eingekerkert in runzligen Steinhöhlen, in denen die Vorgänger sowjetische Gefangenenlyrik wie »Auf Wiedersehn, ihr Lieben« oder »Lebt wohl für fünf Jahre« offenbar zur Erbauung für Fernsehzuschauer hinterlassen haben.
Erst im zweiten Teil, der am kommenden Sonntag ausgestrahlt wird, wirkt der mit Haydns »Trauer-Symphonie« untermalte Film einigermaßen glaubwürdig, weil hier die Dissidenten nicht mehr ideologisch eingesetzte Schachfiguren, sondern gebrochene Personen sind, die durch ihre Handlungsweise zum Beispiel auch andere, ihre Frauen, Kinder oder Verwandte gefährdet haben und die nun mit ihren Skrupeln und Bedenken nicht mehr so dastehen, als wären sie als Dissidenten geboren.
Und als am Schluß die echte Natalja Gorbanjewskaja -- sie lebt heute in Paris -- bei der Abschiedsfeier des Produktionsteams erscheint, ist die Verlegenheit bei den Fernsehleuten einigermaßen groß. Als ob sie sich ertappt fühlten.