Antisemitismusvorwürfe gegen Großbanner in Kassel So begründen Kunstkollektiv und Documenta die Verhüllung

Nach heftigen Antisemitismusvorwürfen wurde das Großbild des indonesischen Kollektivs Taring Padi bei der Documenta verhüllt. Es sei nun »ein Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs«, sagen die Künstler.
Kassel am Montagabend: Das Großbanner des Künstlerkollektivs Taring Padi wird verhüllt

Kassel am Montagabend: Das Großbanner des Künstlerkollektivs Taring Padi wird verhüllt

Foto: Peter Hartenfelser / IMAGO

Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, hatte am Montag die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel aufgefordert, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen. Die israelische Botschaft in Berlin reagierte empört. Es gab Rücktrittsforderungen. Am Montagabend schließlich wurde das Banner abgedeckt.

Während sich die Kritikerinnen und Kritiker einig waren, dass in einigen Darstellungen auf dem Großbanner eine antisemitische Bildsprache zu erkennen war, sprach die Documenta-Leitung in einer Presseerklärung vorsichtiger von einer »Figurendarstellung in der Arbeit ›People’s Justice‹ (2002) des Kollektivs Taring Padi, die antisemitische Lesarten« biete. Das Kollektiv habe sich gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung entschieden, die betreffende Arbeit am Friedrichsplatz zu verdecken und eine Erklärung zu installieren.

Taring Padi bezeichneten die Banner-Installation als »Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt«. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner nehme Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik. So würden die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten »als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren«. Unter anderem war auf dem großflächigen Banner ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift »Mossad« – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes.

Das Banner »People’s Justice« sei schon mehrfach ausgestellt worden, zuerst 2002 im australischen Adelaide, erklärten Taring Padi weiter. Doch die Ausstellung auf dem Kasseler Friedrichsplatz sei die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext.

Taring Padi setze sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt ein. Die Inhalte der Gruppe zielten nicht darauf ab, »irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen«, die »visuellen Vokabeln in den Werken« seien »kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen«.

»People's Justice« stehe in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung, betonte das Kollektiv: »Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen.« Dass die Arbeit, »die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird«, nun abgedeckt wird, bedauern die Künstler, sehen es aber als Zeichen des Respekts an.

Das Werk werde nun »zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment«, heißt es weiter in der Erklärung von Taring Padi. Man hoffe, das Denkmal werde der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog.

Auschwitz-Komitee: »Desolate Entwicklungen«

Die Hoffnung auf einen Dialog mit den Künstlern hat auch Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, geäußert: »Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser Documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der Documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen«, so Heubner.

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Derzeit verfolgten Überlebende des Holocaust die »desolaten Entwicklungen« um die Documenta »mit Fassungslosigkeit und Resignation«. Die »erniedrigende Darstellung jüdischer Menschen« auf ausgestellten Zeichnungen sei mit antisemitischen Klischees behaftet, die Holocaustüberlebende »an Zeiten erinnern, in denen sie mit ähnlichen Zeichnungen ausgestoßen und gejagt wurden.«

Den politisch und künstlerisch Beteiligten warf Heubner vor, bei der Vorbereitung der Schau eine »Gesprächsunfähigkeit« an den Tag gelegt zu haben, die »zu einer mittlerweile total verfahrenen und würdelosen Situation« geführt habe, »die tragischerweise nichts anderes hervorbringen wird als neue antisemitische und antiisraelische Klischees in den Köpfen vieler Menschen: die Juden als ewige Störenfriede und Miesmacher der Documenta 15.«

Documenta-Direktorin: »Holen externe Expertise ein«

In die Kritik geraten ist auch Sabine Schormann, Generaldirektorin der Documenta, gegen die bereits Rücktrittsforderungen laut wurden. Schormann betonte in der Presserklärung, die Geschäftsführung der Documenta sei »keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein«.

Zu der Tatsache, dass das Banner »People’s Justice« während der Pressebesichtigungstage in der vergangenen Woche noch nicht zu sehen gewesen war, erklärte Schormann, das Banner sei am vergangenen Freitagnachmittag am Friedrichsplatz installiert worden, »nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt wurden«.

Polizisten vor dem noch unverhüllten Kunstwerk

Polizisten vor dem noch unverhüllten Kunstwerk

Foto: Andreas Fischer / epd

Ausdrücklich weist die Documenta-Direktorin darauf hin, dass das Werk nicht für Kassel und die Documenta konzipiert wurde, sondern im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden sei. »Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden«, so Schormann: »Gemeinsam haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken. Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein.«

feb/dpa
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