Populismusforscherin "Trump hat das Virus als Feind inszeniert"

Masken-Kritiker Donald Trump: "Das Virus ist auch von ihm letztlich als Feind inszeniert worden"
Foto: Drew Angerer / Getty ImagesSPIEGEL: Frau Diehl, was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass US-Präsident Donald Trump positiv auf Corona getestet worden ist?
Diehl: Ich fühlte mich an den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro erinnert, der auch die ganze Zeit versucht hatte, die Krankheit zu minimieren und sagte, das sei nur eine kleine Grippe. Und dann, als seine Popularitätsraten sehr tief lagen, verkündete er, er sei positiv getestet worden.

Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur and der Universität Kiel. Sie forscht unter anderem zu Populismus, politischer Repräsentation sowie zu Politik und Massenmedien.
SPIEGEL: Hegen Sie Zweifel daran, dass Trump sich mit dem Coronavirus infiziert hat?
Diehl: Nein. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass ein positiver Test auch strategisch eingesetzt werden kann, wie im Fall Bolsonaro.
SPIEGEL: Trump inszeniert sich, wie Bolsonaro, gern als starker Mann. Schadet die Diagnose dieser Inszenierung nicht?
Diehl: Das kommt darauf an. In beiden Fällen, bei Trump und bei Bolsonaro, reden wir von einer Männlichkeitsinszenierung, in der es auch sehr um Machogehabe geht. Das ist nicht bei allen Populisten so, aber insbesondere bei Rechtspopulisten. In diesem Narrativ geht es um ein veraltetes Bild von Männlichkeit: Der Mann muss stark sein, unangreifbar. Wenn es zu keiner schweren Erkrankung bei Trump kommt, kann die Diagnose sehr gut in eine Siegererzählung eingebunden werden.
SPIEGEL: Trump als eine Art Sieger gegen die Pandemie?
Diehl: Das Virus ist auch von Trump letztlich als Feind inszeniert worden. Wenn es bei Trump zu keiner schweren Erkrankung kommt, wäre das ein metaphorischer Sieg gegen diesen Feind - im Körper vom Donald Trump. Das würde seine Strategie im Umgang mit Corona stützen, nach dem Motto: Das Virus ist gar nicht so schlimm, und ich kann alles durchsetzen.
SPIEGEL: Und falls er schwerer erkranken sollte?
Diehl: Dann gibt es ein anderes Narrativ, das aber für Rechtspopulisten an sich schwieriger zu bedienen ist: Mitgefühl. Allerdings hat Trump einen gesteigerten Sinn für Dramaturgie, und ich kann mir vorstellen, dass er auch diese Option für sich nutzen kann. Der britische Premierminister Boris Johnson hat das getan.
SPIEGEL: Im Zuge von Johnsons Erkrankung stiegen dessen Popularitätswerte zunächst laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov.
Diehl: Johnson hat versucht, Empathie zu erwecken, indem er danach sagte, man hätte ihm das Leben gerettet. Damit zeigte er aber auch, dass er die Situation der Kranken mitempfindet: Ich weiß, wie es sich anfühlt, weil ich selber krank war. Verglichen mit dem Beginn der Pandemie, hat Johnson sein Narrativ geändert. Allerdings hatte Johnson die maskulinistische Pose nicht in den Vordergrund gestellt, wie Bolsonaro oder Trump. Das machte es für ihn leichter, das Narrativ in Bezug auf seine Erkrankung zu ändern. Vielmehr hat er sich als jemand dargestellt, der dem Volk nahesteht.
SPIEGEL: Würde eine Änderung des Narrativs in Trumps Fall irritieren?
Diehl: Die Öffentlichkeit verlangt zwar Kohärenz von politischen Akteuren, aber das funktioniert für Trump nicht, weil er einen destabilisierenden Stil pflegt. Das heißt, er ist derjenige, der sich immer wieder erlauben kann, das Narrativ zu ändern: Heute A, morgen B. Man kann ihn nicht mit seinen Widersprüchen konfrontieren, weil er sowieso die ganze Zeit widersprüchlich ist. Und es gibt eine weitere Komponente, die bei Trump oft vernachlässigt wird: seinen Sinn für Dramaturgie, für massenmediale Plots, vor allem im Sinne von Reality-TV, das mit Überraschungen arbeitet. Wenn man Politik nun in Richtung Reality-TV denkt, ist so eine Corona-Diagnose natürlich ein sehr gutes Element, um das Publikum bei Laune zu halten. Da passiert etwas Neues in der Geschichte.
SPIEGEL: Im jetzigen US-Wahlkampf bestand die Trump-Show auch daraus, Joe Biden auf Twitter "Sleepy Joe" zu nennen. Im Wahlkampf 2016 machten er und sein Team Hillary Clintons Gesundheitszustand zum Thema. Werden Trump solche Kampagnen und Strategien nun zum Verhängnis?
Diehl: Das könnte passieren, falls er tatsächlich schwere Symptome der Krankheit zeigt. Das wäre für ihn ein Problem, weil er die Welt derzeit in zwei Gruppen einteilt: die Gewinner und die Verlierer. Krankheiten gehören, in Trumps Repertoire, zu den Eigenschaften der Verlierer. Hillary Clintons Schwächeanfall während des Wahlkampfs 2016 ist zum Problem geworden, weil ihre körperliche Schwäche sichtbar wurde. Zudem wird körperliche Schwäche bei Frauen immer noch als symbolische Bestätigung einer generellen Schwäche von Frauen wahrgenommen. Clinton musste den Wahlkampf unterbrechen, um sich von ihrer Lungenentzündung zu erholen. Dabei gab es eine ganze Reihe von US-Präsidenten, die sehr schwerwiegende Krankheiten hatten. Aber nach außen durfte das nicht dringen.
SPIEGEL: Wie zum Beispiel im Fall von John F. Kennedy, der unter anderem im Verborgenen an der Addison-Krankheit litt. Sein Arzt bescheinigte ihm dennoch einen "exzellenten Gesundheitszustand". Ist das Amt des US-Präsidenten traditionell an die Inszenierung so eines Gesundheitszustands geknüpft?
Diehl: Ja, da sprechen Sie etwas an, worauf man tiefer eingehen muss. Sehr knapp gesagt: Wir hatten vor der Demokratie, im Absolutismus, eine Überlappung zwischen Privatperson und physischem Körper des Königs einerseits und der Institution, dem Staat andererseits. Der französische König sagte: Der Staat bin ich. Der Körper und das Amt waren eins. Dagegen wandten sich die Revolutionen und trennten den Körper und das Private von dem öffentlichen Amt und der Institution. In präsidialen Systemen, vor allem in den USA, ist diese Trennung nicht so deutlich geworden wie zum Beispiel im parlamentarischen System der Bundesrepublik. Die Person und das Amt sind dort symbolisch viel enger miteinander verknüpft. Deswegen ist es für US-amerikanische Präsidenten schwieriger, mit Krankheit umzugehen.
SPIEGEL: Ist diese Verknüpfung in Trumps Amtszeit enger geworden?
Diehl: Eigentlich geht die Tendenz der demokratischen Kultur, auch in den USA, in Richtung Trennung zwischen Amt und Person. Aber Trump agiert dementgegen. Gelingt es ihm, bei guter Gesundheit zu bleiben und ein Siegernarrativ zu entwickeln, wird die Vermengung von Person und Amt stärker zementiert.