TV-Duell aus Theatersicht
Tobsuchtskönig gegen Badearzt
Das erste TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden versprach großes Theater. Unser Bühnenkritiker meint nach der Premiere: Die Hauptdarsteller dieser Inszenierung spielten nicht mal im selben Stück.
Protagonist Biden beim TV-Duell in Cleveland: Der eine Shakespeare, der andere eher Ibsen
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Vielleicht hätte man es wie im elisabethanischen Theater vor mehr als 400 Jahren in London machen sollen. Damals ließ man die Protagonisten vor der Vorstellung angeblich Fechtkämpfe austragen, damit sie auf der Bühne gleich feurig loslegten, wenn der Vorhang sich hob. Die Heldendarsteller im ersten Wahlkampfduell um den Job des amerikanischen Präsidenten stapften jedenfalls hüftsteif und noch sichtlich beklommen an ihre beiden blau leuchtenden Rednerpulte. Als hätten Joe Biden und Donald Trump bis kurz vor der Vorstellung jeweils ganz allein in der Garderobe noch ihren Text geübt.
Erst nach ein paar Minuten im ersten TV-Duell der beiden US-Präsidentschaftsbewerber lockerten sich die Zungen und die Körper. Der bulligere der beiden Bühnenhelden zerteilte mit der ausgestreckten rechten Hand die Luft, als gälte es, jedes Argument des Widersachers kleinzuhacken. Der weißhaarige, schmächtigere Kontrahent dagegen beschränkte seine Motorik auf das Wedeln mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Beides sah hektisch und keinesfalls souverän aus.
Mit dem Schädel voran
Die Grundvoraussetzung für eine gelungene Theaterinszenierung aber, so lautet eine alte Kritikerregel, besteht darin, dass die Regisseurin oder der Regisseur es während der Probenarbeit schafft, den Darstellern jegliches Herumgezappel mit Händen und Beinen gründlich auszutreiben. Ein guter Schauspieler, so hat der Regisseur George Tabori einst über den großen Gert Voss gesagt, müsse sich in die Vorstellung stürzen "wie ein wilder Stier, der aus dem Käfig ausgebrochen ist". Also nicht mit flatternden Gliedern, sondern mit dem Schädel voran.
Das Publikum der Premiere "Joe Biden gegen Donald Trump" wollte am Dienstagabend in der Universitätsaula von Cleveland und vor den Fernsehschirmen wohl tatsächlich ein bisschen Blut sehen. Es wartete nicht so sehr auf das, was die beiden Hauptfiguren des Dramas zu sagen hatten, sondern auf kleine Missgeschicke, Schweißausbrüche, Stolperer oder gar Ohnmachtsanfälle.
Das ist ganz wie im Theater, dessen viel beschworener Live-Charakter die Zuschauer gerade dann besonders in Bann zieht, wenn auf der Bühne etwas richtig schiefgeht. Wenn die Helden dort oben sich versehentlich mit Schwertern ritzen oder japsend von der Rampe plumpsen. Man darf sagen, dass sich die Aufführung in dieser Hinsicht als erschütternd ereignisarm erwies.
Gut, Trumps Gesicht rötete sich im Lauf der Inszenierung, während sein Herausforderer Biden immer noch ein wenig bleicher zu werden schien, je öfter der Präsident ihn unterbrach. Dass trotzdem keine rechte Spannung aufkam, liegt daran, dass die beiden Bühnenakteure nach Regieanweisungen aus unterschiedlichen Epochen auftraten. Trump suchte nach Art des psychologischen Realismus wie einst bei Gustaf Gründgens den Augenkontakt zu seinem Mitspieler, während Biden wie im modernen, antiillusionistischen Regietheater von Frank Castorf und Konsorten stets direkt zum Publikum sprach.
Reicht der Sympathiebonus für den Schlussapplaus?
Genau genommen spielten die beiden nicht mal im gleichen Stück. Trump ist eine Figur, die sich Shakespeare ausgedacht haben könnte, Biden ist leider nur aus einem Stück von Ibsen, so hatte mich der Regisseur Leander Haußmann am Abend vor dem Duell fachmännisch belehrt.
Tatsächlich wirkt das zornige Beiseitereden, das irrlichternde Preisen der eigenen Verdienste und das konsequente Verdrehen noch der offensichtlichsten Tatsachen, das Trump auch an diesem Abend virtuos betrieb, wie aus Shakespeares Tobsuchtskönigsdrama "Richard III." entlehnt. Die intelligente, faktengestützte Argumentationsarbeit von Joe Biden folgt eher dem Temperament der Badeärzte und Baumeister aus Ibsens Dramen.
Einige Male geriet Biden ins Stocken und dürfte eher unfreiwillig vielen seiner Zuhörer in Erinnerung gerufen haben, dass er in jungen Jahren mit dem flüssigen Sprechen Mühe hatte. Aber wird ihm dieser Sympathiebonus wirklich den großen Schlussapplaus bescheren? Ich bin da skeptisch. Für Bidens Not und seinen Mut, Schwäche zu zeigen, dürfte gelten, was der Dramatiker Ibsen über siegreiche Helden gesagt hat: "Eine verwundbare Ferse macht noch keinen Achilleus."