LUFTFAHRT Donner über der Steppe
Die Premiere ließ vier Jahre länger auf sich warten, als ursprünglich von Chefkonstrukteur Alexej Tupolew und »Aeroflot« geplant. Verglichen mit ihrem ebenfalls doppelschallschnellen Konkurrenz-Liner. der britisch-französischen »Concorde«, hatte die »TU144« immer noch fast zwei Jahre Verspätung.
Endlich, am Dienstag letzter Woche, hob der sowjetische Superflieger ab. Rechtzeitig zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution beförderte das »Geschenk der Wissenschaftler und Techniker« erstmals Passagiere -- auf seiner künftigen Standardstrecke Moskau -- Alma-Ata. Bis dahin hatte der weiß-blaue Aeroplan nur Post und Mini-Fracht befördern dürfen.
Daß sie bei dem nur 3200 Kilometer langen Eröffnungs-Trip gleich mehrere, für die Sowjet-Union extravagant anmutende Neuerungen erleben würden, merkten Aeroflot-Oftflieger unter den westlichen Premierengästen schon, als sie auf Moskaus TU-144-Heimatbasis Domodedowo an Bord gestiegen waren.
Wer, wie etwa von der »Iljuschin 62« her gewohnt, Hut und Mantel in der Ablage über dem Sitz verstauen wollte, dem wurde von der Stewardess beschieden: »Aber bitte doch nicht dort -- wir haben hinten eine Garderobe mit Bügeln.«
Eher marginal mutet da an, daß vor dem Start keine der traditionellen Lutschbonbons verteilt wurden, die »gegen Ohrenknacken« gut sein sollen. Und auch die Bordküche blieb diesmal kalt: Anstelle der sonst üblicher, halben Hähnchen. von Aeroflot-Reisenden »Gummiadler« genannt, gab es diesmal Kaviar und Roastbeef.
Dagegen ist ein anderes Novum in der Geschichte sowjetischer Zivilluftfahrt prompt zum Problem geraten: Erstmals gibt es in einer Aeroflot-Maschine, die nur auf Inland-Routen fliegt, ein elfsitziges Spezialabteil für Erste-Klasse-Passagiere.
Bisher wurde in den Iljuschins und »Yaks« zu einheitlichen Preisen auch einheitlich geflogen. Bei der TU-144 indes steht vorerst nur der Preis für die Touristenklasse fest: 83 Rubel, 20 Kopeken (262 Mark) -- 40 Prozent mehr, als für ein Ticket in herkömmlichen Alma-Ata-Jets erstattet werden muß.
Was es fürderhin die klassenhöheren TU-144-Passagiere kosten wird, in 18 Kilometer Reisehöhe über die Steppen Kasachstans zu düsen, wußte auf dem Erstflug nicht einmal Konstantin Gulakow, Erster Vize-Minister für Zivilluftfahrt, zu sagen. Auch die Frage, um wen es sich bei den privilegierten Passagieren handeln werde, beantwortete er ausweichend: »Um Ehrengäste.«
Was derzeit noch getrennt ist, solle denn auch wieder eine Klasse werden, weist Gulakow einen Weg aus dem Dilemma. »Später«, wenn die TU-144, analog zur westlichen Concorde, vollends zum Erster-Klasse-Flugzeug umgerüstet wird.
Elegant ließe sich so auch eine Crux beheben, die Tupolew-Ingenieuren immer noch zu schaffen macht. Weil ihr vierstrahliger Superjet im Überschallbereich nur mit kerosinfressenden Nachbrennern vorandonnert, kann die ursprünglich vorgesehene Zahl von 140 Passagieren auf längeren Strecken kaum erreicht werden. Nach Alma-Ata startet die Maschine deshalb auch nur einmal in der Woche -- dienstags morgens 8 Uhr 20.
Um Triebwerkscomputer aber, mit denen sich der Spritverbrauch besser regulieren ließe, bemühten sich die Sowjets vergebens. Obschon Moskau dem britischen Elektronikkonzern Lucas zehn Millionen Pfund geboten hatte, war London nicht bereit, den Handel zu bewilligen.
Weil die Kusnezow-Triebwerke der TU-144 (Leistung: eine halbe Million PS) auch in dem Überschallbomber »Backfire« verwendet werden, hatten Nato-Militärs befürchtet, daß die Briten-Elektronik auch die Bomberreichweite vergrößern helfen würde -- bis nach Amerika und wieder zurück.
Den Passagieren auf den ersten beiden Alma-Ata-Flügen kam das Problem gelegen: Sie hatten ungewohnt viel Bein- und Ellenbogenspielraum, weil jeweils nur 80 Mann an Bord gelassen wurden.
Nur Daniel Vernet, Moskau-Korrespondent von »Le Monde«, brachte am Ende neben Lob auch Tadel an. Zwar sei der Flug »perfekt« gewesen, das Dröhnen der Triebwerke jedoch mache »Konversation an Bord beschwerlich«.
TU-144-Konstrukteur Alexej Tupolew, der mit von der Partie war, versprach Abhilfe. »Daran«, so beschied er den Concorde-Franzosen, »wird gearbeitet.«