RAUMFAHRT Drache im All
Jedesmal, wenn die Greifarme von »Viking« 1 und 2 im roten Marsboden wühlen, fühlen sich die Nasa-Manager, wie einer von ihnen sagte, »selbst als Schürfende« -- nach Dollarquellen, mit denen sich neue Weltraum-Missionen finanzieren ließen.
Denn just im Wahljahr 1976 ist ihr Budget für interplanetarische Projekte auf einem neuen Tiefstand angelangt: Statt 261 Millionen Dollar 1975 stehen nur mehr 191 Millionen zur Verfügung. Und mit der Nasa fürchten auch die Raumfahrt-Unternehmen Aderlaß.
Martin Marietta etwa, beim »Viking«-Vorhaben mit einer halben Milliarde Dollar im Geschäft, sieht seine Teams von neuem, wie schon am Ende der »Apollo«-Ära, auseinanderlaufen.
Um eben dieses zu verhindern, hat eine Studiengruppe am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der Nasa nun ein Programm erstellt, das den Planetenforschern auch im kommenden Jahrzehnt die Vollbeschäftigung bewahren soll. Es reicht von Raupenvehikeln, die auf dem Mars umherrollen, bis hin zu dem Projekt einer unbemannten Landung auf dem Saturnmond Titan. Bizarrstes Wunschobjekt: ein Weltraum-Segler, angeschoben von der Sonnenstrahlung.
Mit Bedacht, so versichert Chefplaner Clarence R. Gates in Pasadena, enthalte der Katalog nur solche Vorhaben, bei denen »nicht nur wissenschaftlich etwas herausspringt«. Gates: »Auch das Publikum soll sich mit ihnen identifizieren können.«
Dabei steht die Nasa, was das öffentliche Interesse angeht, gegenwärtig nicht schlecht da: Neben den publicityträchtigen »Viking«-Sonden beschäftigt auch der erste Prototyp einer wiederverwendbaren Raumfähre die Nation.
Weil Tausende von Fans des amerikanischen TV-Spektakels »Star Trek« (deutscher Titel: »Raumschiff Enterprise") ihn darum baten, hat US-Präsident Ford heim Rollout Mitte September veranlaßt, daß der Raumgleiter den Namen des telegenen Gegenstücks tragen soll (ursprünglich war, aus Anlaß des 200. Verfassungs-Jubeljahres, der Name »Constitution« vorgesehen).
Auf die »Enterprise« und Schwesterschiffe, die jeweils nach endeter Mission wie Flugzeuge landen und von 1980 an das neue Nasa-Rückgrat bilden sollen, setzt auch das sechsköpfige Planungsteam des JPL in Pasadena. Zumindest fünf der geplanten Raum-Vehikel, darunter auch die Weltraum-Dschunke, müßten von den Raumfähren zuerst in eine Erdumlaufbahn gehoben, dort montiert und dann zu ihrem Ziel gefeuert werden.
Als typisch für das neu entwickelte Konzept bezeichnet JPL-Chefplaner Clarence R. Gates einen Radarspäher, der 1981 die Venusoberfläche observieren soll.
Das Raumgerät könnte aus bereits projektierten Sonden weiterentwickelt werden; das Radarsystem käme von »Seasat«, einem Satellitentyp, der demnächst als Nachrichtenrelais und Radarüberwacher für den Schiffsverkehr auf den Weltmeeren eingesetzt werden soll.
Geschätzte Kosten für die Venus-Mission, bei der mittels Radar auch durch die dichte Wolkendecke noch Objekte bis zu 50 Meter Größe registriert werden sollen: 200 Millionen Dollar.
Höheren Aufwand würde eine Flotte von vier Raupen- oder Radrobotern erfordern, die auf dem Mars, »über den »Viking'-Horizont hinaus« (Gates), mit Greifarmen und Kameras nach Leben suchte. Ein eingebauter Atomantrieb würde den Fahrzeugen eine Reichweite bis zu 1 500 Kilometer rings um den Landeplatz verleihen.
Hinweise darauf, welche Kräfte die Planeten und deren Trabanten formten, versprechen sich die Nasa-Planer von drei Robot-Expeditionen in den Raum jenseits des Mars: Anfang der achtziger Jahre sähen sie gern eine langsam fliegende Photosonde durch das Reich der Asteroiden streichen und dort Jahrmilliarden alte Gesteinstrümmer studieren, während auf dem Mond Ganymed erstmals ein Funk- und Horchposten in der Nachbarschaft des Gas-Giganten Jupiter errichtet werden soll.
Eine Fallschirm-Instrumentenlandung auf Titan, einem Begleiter des Saturn, könnte das Programm abrunden. Gelänge es, die (nicht vor 1985 startfähige) Kapsel nach fünfjähriger Reise heil abzusetzen, könnten womöglich dort jene Spuren organischen Lebens entdeckt werden, die das »Viking«-Doppel auf dem Mars bislang vergebens suchte. Auf Titan nämlich gibt es eine Atmosphäre von fast gleicher Dichte wie die irdische Lufthülle -- Hort und Schutzschild für titanische Formen von Leben?
In welchem Maße Gates und seine Planungsstäbler auf den mutmaßlichen PR-Effekt ihrer Projekte bauen, wird am Beispiel ihres Sonnen-Seglers deutlich -- einer Art von überdimensioniertem Kinderdrachen ohne Schnur, der vom Druck der Lichtquanten (Photonen) und mit Hilfe des partikelreichen Sonnenwinds durchs All geschoben werden soll.
Ausgestattet mit einer 700 Quadratmeter großen Kunststoff-Segelfläche könnte Gates' »Yankee Clipper« kreuz und quer am Sternenhimmel manövrieren: gesteuert von vier computerdirigierten Querrudern; im Jahre 1986 würden sie den Weltraumdrachen zu Gates' Lieblingsziel bewegen.
Dann nämlich soll das Sonnensegel. laut JPL-Konzept, den Halleyschen Kometen treffen, eine Sonde zu dem Schweifstern schicken und sodann »im Formationsflug« mit ihm um die Sonne schwenken.