KUBY Dreimal Erich
Es ging zu wie bei der Produktion einer Francis-Durbridge-Serie: Reporter waren während der Dreharbeiten unerwünscht; Star-Photos durften nicht gemacht werden; die Rolle des Haupttäters blieb vertraglich fixiertes Geheimnis.
Die strenge Diskretion galt einem Film von 14 Minuten Länge. Der Münchner Filmproduzent Walter Krüttner, Rebell wider Papas Kino, will ihn Mitte Februar auf den diesjährigen Oberhausener Kurzfilm-Festspielen präsentieren:
eine Lichtbildversion der Heinrich-Böll-Satire »Hauptstädtisches Journal« (erschienen in »Doktor Murkes gesammeltes Schweigen").
Zentrale Figur der Böll-Epistel ist ein deutscher General, dessen Name lautmalerisch verdeutlicht, was für eine Figur der Schriftsteller zeichnen wollte: Erich von Machorka-Muff, von Kameraden und Geliebten »Macho« genannt. Machos Ziel (das er auch erreicht): die Gründung einer »Akademie für militärische Erinnerungen«, in der »jeder ehemalige Soldat vom Major aufwärts Gelegenheit haben soll... seine Memoiren niederzulegen«.
Just die Besetzung dieser Generalsrolle war in die höchste Geheimhaltungsstufe eingereiht worden. Der »neue
Erich von Stroheim« (so die »Stuttgarter Nachrichten") bat sich sogar aus, nicht im Vorspann des Films genannt zu werden.
Er darf sich mit Recht einen Überraschungseffekt ausrechnen: Der Mann im Hintergrund, der sich auf der Leinwand in bundesdeutscher Generalsuniform präsentieren wird, ist Zeitkritiker ("Das ist des Deutschen Vaterland"), Illustrierten-Autor ("Die müden Nackten von Sylt") und Filmmoralist ("Das Mädchen Rosemarie"). Sein Name: Erich Kuby.
Die Idee, er könne als hoher Militär überzeugend wirken, war dem pazifistisch orientierten Münchner Schriftsteller von Anfang an keineswegs befremdlich: »Ich bin sechs Jahre (Nicht-) Soldat gewesen, aber wenn man mir einen Stahlhelm aufsetzt, kommt etwas dabei heraus, was dem Typ gar nicht so fremd ist.«
Das hatte auch der Regisseur des Films, der junge Franzose Jean-Marie Straub, geglaubt, als er seinen Star auf einer Versammlung von Atomwaffengegnern als Redner entdeckte. Kuby:
»Straub hat mich auf dem (Münchner) Königsplatz reden hören.«
Dem gebürtigen Lothringer Straub er liefert mit »Machorka-Muff« sein Filmdebüt - schien das Bild des Redners genau der Vision vom General Machorka-Muff zu entsprechen, der in Bonn als Festredner bei der Grundsteinlegung der »Hürlanger-Hiss -Akademie für militärische Erinnerungen« auftritt.
Straub scherte sich nicht darum, daß er mithin ausgerechnet einen linksintellektuellen Bürgerschreck engagierte, der den ehemaligen Fallschirmjäger -General Ramcke mit einem Hörspiel ("Nur noch rauchende Trümmer - Das Ende der Festung Brest") zu einer Beleidigungsklage provozierte (Urteil: Freispruch) und als Nonkonformist rührig war.
Mit derselben Hartnäckigkeit, mit der Regiedebütant Straub sich diesen Hauptdarsteller fing - Kuby willigte erst nach Monaten ein -, hielt er dann auch an seinem Konzept fest, die Böll-Satire möglichst werkgetreu zu verfilmen, gemäß der Devise seines französischen Lehrmeisters Robert Bresson, der sich etwa im »Tagebuch eines Landpfarrers« streng an die Bernanos-Vorlage gehalten hatte.
So setzte Straub im Bonner Milieu ins Bild, was Böll in der »Hauptstadt« spielen läßt. Seine Nibelungen-Treue zum Original war so ausgeprägt, daß er beim Nachsynchronisieren des zunächst ohne Ton gedrehten Films in München Mißbehagen verspürte, weil ihm das Geräusch der Bonner Straßenbahn fehlte. Den Vorschlag, mit dem Kreischen der Münchner Straßenbahn vorliebzunehmen, fand er unangemessen. So reiste er noch einmal nach Bonn, um sich die authentische Geräuschkulisse zu holen.
Mitunter stieß sich Straubs Eifer, werkgetreu zu filmen, auch mit Kubys intimer Kenntnis des Militärjargons. So sollte der (gediente) Kuby nach dem Dialog des (gedienten) Böll sagen: »... damals, als mein Regiment nur noch aus dreizehn Männern bestand und ich vier von diesen Männern wegen Meuterei erschießen ließ.« Kuby-Muff aber meinte, es müsse dreizehn Mann heißen.
Der (ungediente) Straub bestand auf dem Original-Böll-Text, wie er zuvor auf einem Original-Kostüm für Kuby bestanden hatte: Produzent Krüttner mußte einem Bundeswehrgeneral für 100 Mark eine gebrauchte Uniform abkaufen.
Daß gelegentlich ein halber Drehtag ausfallen mußte, weil Kuby sich eine Bundestagsdebatte anzuhören wünschte, nahmen die Filmleute gelassen hin. Der Akteur half ihnen dafür auf andere Weise - so im rheinischen Prominentenhotel »Petersberg«, wo Straub (zwecks absoluter Realistik der Szenerie) drehen wollte, aber keine Erlaubnis bekam: Die Direktion des Hauses wurde überspielt, indem Kuby sich im Hotel einmietete und die Kamera mit seinem Gepäck ins Zimmer schmuggelte.
Als arglose Besucher beim Portier nach den »Filmleuten bei Herrn Kuby« fragten, wurde die Manipulation ruchbar. Dank Kubys Fürsprache bei der Direktion konnte dann aber doch jene Szene auf der Hotelterrasse gedreht werden, in der General Machorka-Muff seine Braut Inniga über die Machtverhältnisse im demokratischen Staat aufklärt: »Opposition, was ist das?... haben
wir die Mehrheit oder haben wir sie nicht?«
Nach Abschluß der Dreharbeiten resümierte Erich Kuby alias Erich von Machorka-Muff seine Erfahrungen so: »Ich bin darauf gekommen, wie leicht man als Filmschauspieler sein Geld verdienen kann, weil man nur sich selber spielen muß.« Konsequenzen zog er aus dieser Erkenntnis nicht: Er spielte unentgeltlich.
Regisseur Jean-Marie Straub ("Ich will verhindern, daß die Geschichte noch länger als Schicksal begriffen wird") hat inzwischen kundgetan, in welche Art von Kinoprogramm sein Film gehört: Er will ihn unbedingt als Vorprogramm zu einem Western laufen lassen.
General-Darsteller Kuby
Vision von Machorko-Muff