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Unterhaltung Du liebe Omi

Heintje hat den Stimmbruch -- aber nur »gleitend«, sagen seine Manager und stellen ihm noch eine »Karriere wie Peter Alexander« in Aussicht.
aus DER SPIEGEL 33/1972

Nun hat die liebe Kehle Ruh, nun ist es Zeit für »eine kleine Abschiedsträne« -- um Heinije.

Er hat die Frauenseelen mit »Mama« und »Heidschi Bumbeidschi« betört und in drei Oktaven vom tiefen Tenor-Fis bis zum hohen C »Deine Liebe, deine Treue« besungen. Er war der Sonnyboy der Mütter. Witwen und Matronen, die

laut »Hör zu« -- nur eine Sorge kannten: »Wolle Gott, daß er nicht den Stimmbruch kriegt.«

Gott wollte doch. Seit Monaten schon glaubten Heintje-Beobachter festzustellen, daß der große Junge im Fernsehen nur noch zum Playback die Lippen bewegte, bevor er, wortlos lächelnd. von der Bühne verschwand; leibhaftig war er ohnehin nur selten vor sein Publikum getreten. Nun ist es nicht länger zu verheimlichen: Heintje. 17. mutiert wenn auch vielleicht nur »gleitend«, wie seine Manager trösten.

Mit ihm verstummt Nachkriegsdeutschlands populärster Plattenstar Der einst so kleine, inzwischen auf 173 Zentimeter herangewachsene Sängerknabe aus Holland, ein routinierter Entertainer mit Laushuben -- Image. hatte der Unterhaltungsindustrie fünf Jahre lang das große Geld gebracht.

Seit der Bub! mit dem metallisch klingenden Knabentenor 1967 im »Goldenen Schuß« des ZDF seine »Mama« Hymne schmetterte, hat die Münchner Bertelsmann-Plattenfirma »Ariola« 7.5 Millionen Heintje-Singles und knapp fünf Millionen Heintje-LP's verkauft und damit 150 Millionen Mark umgesetzt. Heintje -- er wurde selbst darüber zum Multimillionär- empfing 40 Goldene Schallplatten.

Denn sein Sound lockte Bevölkerungsgruppen in die Disc-Läden zurück, die sich dem von Rock. Beat und Pop beherrschten U-Musik- Markt entfremdet hatten. Er lockte die kleinen Leute über 40 und zumal die Frauen.

Kleinbürger aus den Vorstädten, grüne Witwen und alte Tanten, Mütter und Großmütter, Enttäuschte und Vereinsamte verehrten Heintje als das nette Wunschkind von der nächsten Ecke. Heintje sang ihre Sehnsüchte nach einer idyllischen Welt, ihre unerfüllten Träume, und er war ihnen teuer bis in den Tod: Sein »Mama«-Song gehörte. nächst Händels »Largo«, zu den beliebtesten Musiken in deutschen Leichen hallen.

Heintjes »Lieder für wunde Herzen« (FAZ), von Kritikern und Branchen-Konkurrenten als »Rückfall in den schlechten Geschmack der dreißiger Jahre« (Musik-Promoter Hans R. Beierlein) eingestuft, zielten speziell auf die Knaben-Liebe älterer Damen »Wenn du Kummer hast«, so schmeichelt er, »dann sing' ich für dich, du liebe Omi.«

Daß »die auf mich stehen«, wußte der Bergmannssohn aus dem deutschniederländischen Grenzort Bleyerheide sehr wohl. Und er machte seine Avancen mit »kältester Routine« die bei altgedienten Showstars wie Udo Jürgens »Hochachtung und Entsetzen« erregte. -- Selbstbewußt erteilte der Knirps Bühnenratschläge für nervöse TV-Kollegen, und seinen Troß wies er zurecht: »Was wollt ihr denn, ihr lebt doch alle ganz gut von mir.«

Von Heintjes Gesang zehrte nicht nur die fünfköpfige Familie Simons. sondern auch sein niederländischer Entdecker Addy Kleyngeld (vom Sänger als »Großgeld« gefrotzelt) und der deutsche Produzent Wolfgang »Ronnie« Roloff, der pro Lied und Plattenexemplar fünf Pfennig einstrich. Der Bremer Ex-Polizist Hans Hee machte sich mit Texten verdient, die er (für je drei Pfennig) meist urheberrechtlich freien Volksmelodien unterlegte.

Doch unausweichlich versiegte der Quell der Lieder und Moneten. Hobbyreiter Heintje wurde seinen Omis untreu, er entwickelte Interesse für »scharfe Amazonen«, und auf seine helle Stimme legte sich ein männliches Timbre. Die Zeit für eine »Entwicklungspause« (so »Ariola«-Pressechef Willy Klofat) war gekommen.

Bevor aber die Manager »1973 sehen, wie es weitergeht«, und ihren Star »vielleicht in eine Karriere wie Peter Alexander« schicken, gönnen sie sich noch einen Rückblick in die gute alte Heintje-Zeit: Im Herbst bringt die »Ariola« zwei vorproduzierte Heintje-Platten auf den Markt.

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