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FERNSEHEN Dunkler Sinn

Ein ehrgeiziges TV-Programm, Fassbinders »Berlin Alexanderplatz«, verbittert die Zuschauer. Der Regisseur erhielt Morddrohungen.
aus DER SPIEGEL 45/1980

Er wollte aufräumen mit dem »peinlichen Serien-Mist«, an »die große literarische Kunst heranführen«; aber das »breite Publikum« ist dem Filmemacher Fassbinder nicht gefolgt.

Mit gewaltigen Erwartungen hatten die ARD-Zuschauer den monumentalen, vierzehnteiligen »Berlin Alexanderplatz« eingeschaltet. Epochales stand auf dem Programm, der WDR sprach von »einem der bedeutendsten Filmkunstwerke des Jahrzehnts«.

Fast einmütig annoncierten Vorauskritiken den verfilmten Döblin-Roman als »Fassbinders größtes und schönstes« OEuvre, das »zum Besten« gehöre, »was je im deutschen Fernsehen gesendet wurde« ("Die Zeit"). Millionen, die einst mit wehen Augen die edlen TV"Buddenbrooks« betrachtet hatten, erhofften nun von diesem »reifen Spätwerk« (DER SPIEGEL) einen noch opulenteren, prächtigeren Bilderstrom.

Doch als die Serie lief, da war der Bildschirm düster, Schwarzweiß-Sehern die Sicht genommen. Da kam ein hochstilisiertes Dunkelkammerspiel, mit Roman-Zitaten, die aus dem Off gelesen wurden, mit verwirrenden akustischen Montagen aus Musik, Geräuschen und Dialogen. So dunkel wie der Schirm blieb auch der Sinn des Werkes. Das breite Publikum war total überfordert.

Massenhaft flüchteten die Zuschauer von Fassbinders »Alexanderplatz«. Die Einschaltquoten sackten von anfänglichen 27 Prozent auf elende elf bei der vierten Episode am letzten Montag. Beim WDR meldeten sich telephonisch Fassbinder-Verächter, die in der Finsternis immerhin noch »ekelhafte Sexszenen« erkannt hatten und sich über die Verschwendung von Gebührengeldern für dieses »üble Machwerk« empörten. »Die Leute«, sagt ein WDR-Redakteur, »gaben am Telephon wieder, was sie in der ''Bild''-Zeitung gelesen hatten.«

»Bild« und andere Organe des Springer-Konzerns hatten ja schon, pünktlich zum Filmstart, klargestellt, was Fassbinder und Döblin zu bieten haben: »Eine Orgie von dummen Redensarten, dazwischen Fassbinders Schmuddel-Sex«, eine »Orgie von Gewalt, Perversion und Blasphemie«, »entnervende Pissoir-Atmosphäre«, »Bettszenen mit sado-masochistischem Einschlag«, kurz: »die teuerste und verheerendste Pleite« des deutschen Fernsehens.

»Bild am Sonntag« gab, bei dieser günstigen Gelegenheit, auch gleich dem Romancier Alfred Döblin den Gnadenschuß: Döblins dumme Redensarten seien »ein Produkt des proletarischen Naturalismus, eine Absage an die Poesie des bürgerlichen Romans. Diese Strömung haben wir heute längst überwunden«. Mit einem falschen Zitat versuchte die »Welt am Sonntag« den Döblin-Sohn Claude in die »Alexanderplatz«-Kampagne einzuspannen. Claude Döblin, laut »WamS": »Mensch, der hat ja das Unterste nach oben gekehrt.« Tatsächlich hatte Döblin erklärt, »daß ich den Fassbinder-Film einfach fabelhaft finde«.

Die Springer-Presse hat offenbar mit Fassbinder eine Rechnung zu begleichen. Denn kurz vor dem Filmstart hatten prominente Intellektuelle, in einer Resolution, zum Konzern-Boykott aufgerufen -- »wir arbeiten nicht für Springer-Zeitungen«. Mitunterzeichner: Rainer Werner Fassbinder. Der Döblin-Film, von dem sich das Publikum »verarscht« fühlte, bot wohl eine ideale Chance. Da traf sich gezielte Stimmungsmache mit massiven Zuschauer-Aggressionen.

»Hörzu«-Leser wie ein Kieler Augenarzt entsetzten sich über diese »wahre Zumutung an den guten Geschmack meiner Familie« und dies »wirkliche S.242 Brechmittel.« Jemand, der sich eine Notzucht wohl sehr gemütlich vorgestellt hatte, schreibt: »Da vergewaltigt der Lamprecht die Karin Baal mit Hut und einem Gesichtsausdruck, daß man sich fast übergeben hätte.«

Auch in Künstlerkreisen regte sich Widerstand. Der Kinoregisseur Geza von Cziffra ("Die Beine von Dolores"), der in den 20er Jahren mit Döblin, »diesem stillen, zurückhaltenden Menschen befreundet« war, bekundete: »Wenn er Fassbinders Film sehen könnte, würde er sich übergeben.« Oberinspektor Horst Tappert, der sich gewiß nur noch in der Welt des »Derrick« zurechtfindet, wird »mit diesem Kram nicht fertig«, Showregisseur Truck Branss, der die ZDF-»Hitparade« immer so inszenierte, daß der gute Geschmack Kieler Augenärzte keinen Schaden nahm, bündig: »Eine Zumutung.«

Aus Hamburg teilte Dieter Meichsner, Chef des NDR-Fernsehspiels, gönnerhaft mit: »Es gab im Fernsehen schon Trüberes, Schlechteres.« Er hätte Döblin nicht von Fassbinder verfilmen lassen -- was allerdings niemand erwartet hätte, weil die biedere Meichsner-Abteilung hartnäckig und mehrteilig mit der TV-Erschließung isländischer Prosa ("Fischkonzert") beschäftigt ist und schnellstens nach Reykjavik umsiedeln sollte.

Kritisch äußerte sich auch ein weinerliches Sprachrohr der deutschen Arbeiterklasse, der schriftstellernde Drögist Hermann Peter Piwitt, der Fassbinder in »Konkret« einen »wildgewordenen Kleinbürger« und ein »Arschloch« nannte.

Im WDR hat die Fassbinder-Schelte, mehr noch die katastrophalen Einschaltzahlen, beträchtliche Nervosität verursacht. Die Anstalt hatte mit einer Sehbeteiligung von 25 bis 30 Prozent gerechnet. Nun fragt sich mancher im Sender, ob ein zum Minderheiten-Programm geschrumpfter »Alexanderplatz« seine dreizehn Millionen Produktionskosten wert sei. Der Mut zum Risiko -- seltener Gast in deutschen Funkhäusern -- wird durch die Schlappe gewiß nicht beflügelt.

Aber es wächst auch die Einsicht, daß Döblins »Alexanderplatz« mit seiner komplizierten Ästhetik kein Stoff für die Montags-Serie ist -- zerstückelt in vierzehn Wochen-Häppchen und dadurch erst recht undurchschaubar für die Massen-Klientel.

Fassbinder, der die öffentliche Erregung gelassen zur Kenntnis nimmt, hat inzwischen schon den Zorn entfesselter Spießer zu spüren bekommen: Nach Morddrohungen aus Hamburg und Köln lebt er in München unter Polizeischutz.

S.240Mit Günter Lamprecht, Hanna Schygulla.*

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