Zur Ausgabe
Artikel 66 / 88

SPIELZEUG Echter Sound

Schweizer Tüftler entwickelten eine neuartige Antriebsquelle für ferngesteuerte Modellautos und -flugzeuge: den Kohlensäuremotor. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Die Versuchsperson durfte das Experiment zu Hause absolvieren, am Holztisch einer »heimeligen Bauernstube in der Innerschweiz": Nach knapp zwei Stunden hatte die 75jährige Frieda Jäger-Eggler aus Giswil-Großteil die knifflige Aufgabe gelöst, aus 30 Einzelteilen einen betriebsfähigen Miniatur-Motor zu montieren.

Die Oma bastelte auf Befehl. Sohn Walter Jäger, Chef der Pewa Technic

AG in Dietikon, hatte den Baukasten (und einen Pressephotographen) in die elterliche Wohnstube geschleppt, um so den Nachweis zu liefern, wie simpel sich die »Weltneuheit« seiner Firma zusammensetzen läßt.

Neu an dem »Wundermotor« (Jäger) ist der Antrieb. Um ihn in Gang zu setzen, wird weder Benzin verbrannt noch Strom benötigt. Das aus Leichtmetall und Stahl gefertigte Aggregat, »produziert für Hochtechnologie-Narren« (Pewa-Werbung), wird von komprimiertem Kohlendioxid (CO2) angetrieben.

Das farb- und geruchlose Gas ist in Patronenform für Soda-Siphons und Schlagrahmspender überall erhältlich. Allein der Druck des aus der Patrone entweichenden Gases (rund 54 Bar bei 20 Grad Celsius) reicht aus, den Kolben der Maschine bis zu 20 000mal auf- und niederschießen zu lassen. Jede handelsübliche CO2-Patrone enthält genug Gas, um den Motor rund zehn Minuten lang schnurren zu lassen. »Alles funktioniert wie bei einer Dampfmaschine«, sagt der Erfinder Peter Neukomm, »bloß ohne Verbrennungsenergie.«

Der winzige Motor, dessen gehärtete Präzisionsteile in Werkstätten der Schweizer Uhrenindustrie produziert werden, soll Auto-, Schiffs- und Flugzeugmodelle antreiben. Mittels Fernsteuerung läßt sich der Zylinderkopf der CO2-Maschine um bis zu 60 Grad verstellen. Auf diese Weise kann die Leistung variiert werden. Zur Verfügung stehen, je nach Drehzahl, maximal drei Watt - genug Kraft, um beispielsweise ein 250 Gramm schweres Modellauto auf mehr als 30 km/h zu beschleunigen.

Die Motorleistung wird über ein ebenfalls neu entwickeltes, automatisches Zwei-Gang-Getriebe auf die Hinterachse übertragen. »Kohlensäureantrieb«, hoffen die Investoren Jäger und Neukomm, »ist die Energiezukunft für Rennmotoren und Bausätze.«

An eine glorreiche Zukunft des CO2-Motors hatten allerdings auch schon früher zahlreiche Ingenieure und Erfinder geglaubt - bislang vergebens. Bereits 1905, in der Pionierzeit der Fliegerei, baute ein französischer Bastler ein rund 12 PS starkes Triebwerk. Installiert in eine vierrädrige Flugmaschine namens »Vuia«, reichte die Kraft aber lediglich aus, »einige kleine Sprünge« zu machen, wie Augenzeugen überlieferten. Die Überreste des sonderbaren Luftfahrzeugs mit Kohlensäurebetrieb kamen ins Museum.

Auch eine von dem US-Tüftler Bill Brown 1970 vorgestellte CO2-Maschine gelangte wegen akuten Leistungsmangels auf den Industriemüll, ebenso wie die fünf Jahre später präsentierten Kunststoff-Aggregate englischer Motorenfirmen.

»Aus den Fehlern der anderen haben wir gelernt«, erklärt Neukomm. Annähernd 6000 Einheiten wollen die beiden Schweizer noch in diesem Jahr verkaufen, zu Stückpreisen von 245 Mark. Spätestens 1986 sollen »weitere Varianten mit höherer Leistung« angeboten werden, um den Spieltrieb der Modellbauer zu befriedigen.

Während die Unternehmer aus der Schweiz sonst gern auf die Vorteile ihres Maschinchens verweisen ("Kein feuergefährliches Benzin, keine umweltgefährdenden Batterien"), sind sie wiederum stolz auf eine Eigenschaft, die Kenner sonst an hochtourigen Verbrennungsmotoren schätzen.

»Das Ding hat einen unnachahmlichen Sound«, betont Erfinder Neukomm, »wie ein echter Benzinmotor.«

Zur Ausgabe
Artikel 66 / 88
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren