Kunst »Ein Ausflug ins Abenteuer«
SPIEGEL: Herr Berggruen, Sie gelten als leidenschaftlicher Sammler, haben aber nun mehr als hundert Spitzen-Werke der klassischen Moderne als Leihgabe nach Berlin gegeben. Fällt es Ihnen nicht schwer, sich von all diesen Kunstschätzen zu trennen?
Berggruen: Nein, es bleiben ja meine Bilder. Ich gebe den Kunstinteressierten nur die Möglichkeit, am Erlebnis meiner Gemälde und Skulpturen teilzunehmen. Aber sie bleiben in meinem Besitz.
SPIEGEL: Halten Sie es eigentlich für moralisch gerechtfertigt, daß viele der schönsten Kunstwerke in Privatsammlungen hängen und nie einer größeren Öffentlichkeit zugänglich sind?
Berggruen: Ach Gott, wenn einer eine Sammlung hat, sollte er damit machen können, was er will, natürlich nicht gerade verbrennen, das ist klar. Ein reicher Japaner hat mal gesagt, er würde seine Bilder - es ging um einen kostbaren van Gogh und einen Renoir - mit ins Grab nehmen. Das ist sicher nicht seriös. Aber wenn ein Sammler die Werke ganz für sich allein haben will, dann soll er das tun. Ich bin immer für Toleranz. Auch wenn ich das selber nicht so mache.
SPIEGEL: Warum nicht?
Berggruen: Schon aus egoistischen Gründen. Bilder sind für mich etwas Lebendiges. Meine Sammlung darf kein Mausoleum werden. Ich will den Kontakt mit den Menschen haben.
SPIEGEL: Haben Sie sich deswegen ein Refugium, eine Wohnung im Charlottenburger Stülerbau einrichten lassen?
Berggruen: Ja, ich werde dort mit meinen Bildern leben. Meine Frau und ich, wir behalten zwar unsere Wohnung in Paris, aber wir werden auch immer wieder hierher nach Berlin kommen und mit unseren Bildern zusammensein, eine wunderbare Sache.
SPIEGEL: Wegen der Nazis haben Sie 1936 Berlin verlassen müssen. Ist diese Rückkehr in Ihre Heimatstadt nun, nach 60 Jahren, auch eine politische Geste?
Berggruen: Absolut. Und ich bin auch entsprechend angegriffen worden ...
SPIEGEL: Weshalb?
Berggruen: Weil manche Emigranten, die anders als ich enge Verwandte und Freunde im Holocaust verloren haben, es nicht verstehen können, daß ein Jude nach Deutschland zurückkehrt. Auch der israelische Staatspräsident Weizman hat sich ja kürzlich in diesem Sinne geäußert. Ich teile diese Meinung nicht. So etwas verschließt doch alle Möglichkeiten, sich für die Zukunft zu öffnen.
Ich bin zwar jüdischer Herkunft, aber Agnostiker und in gar keiner Weise praktizierender Jude. Und doch finde ich, daß die Toleranz zu den Grundtugenden jüdischer Menschen zählt. Und das gehört dann auch dazu - daß man tolerant genug ist, um zu sagen: Wir wollen, gerade hier in Berlin, wieder etwas aufbauen.
SPIEGEL: Ist die Erinnerung nicht bitter an das Berlin der dreißiger Jahre?
Berggruen: Nein, gar nicht. Irgendwie lebte ich wohl auf einer Insel. Ich ging ins Goethe-Gymnasium, die Klassen waren alle überfüllt, und von den 50 Jungen in meiner Klasse waren 25 Juden. Es hat in all den neun Jahren bis zum Abitur 1932 nie eine Keilerei, nie eine antisemitische Äußerung gegeben, die mich hätte warnen können. Ich lebte in meiner eigenen, eher literarischen Welt und spürte gar nicht, was sich auftat.
SPIEGEL: Da gibt es auch ganz andere Erfahrungen aus dieser Zeit.
Berggruen: Ich weiß, natürlich. Aber auch meine Eltern - mein Vater hatte eine Papierwarenhandlung - haben mich schließlich überhaupt nicht verstanden, als ich 1936 weggehen wollte. Jetzt können Sie mich fragen, warum ich denn wegging: Weil ich sehr ehrgeizig war. Ich fing damals an, Feuilletons für die Frankfurter Zeitung zu schreiben. Und die sagten mir: »Bitte ohne Ihren Namen, zeichnen Sie Ihre Beiträge nur mit den Initialen.« Daran habe ich gemerkt: Hier kannst du nichts werden. Und so bin ich nach Amerika gegangen.
SPIEGEL: Haben Sie erst dort Kontakt zur Kunstszene gefunden?
Berggruen: Ja, das San Francisco Museum of Art gab mir zur Vorbereitung der Weltausstellung 1939 den Auftrag, den mexikanischen Maler Diego Rivera zu betreuen, der ein großes Fresko malen sollte, der aber kein Wort Englisch sprach, nur Französisch - und da war ich der richtige Mann.
SPIEGEL: Haben Sie sich für Riveras revolutionäre Botschaften interessiert?
Berggruen: Um ehrlich zu sein: Ich habe mich schon sehr bald vor allem für seine Frau interessiert, für Frida Kahlo. Daß sie auch Malerin war, wußte ich damals gar nicht ...
SPIEGEL: Sie hatten eine Affäre mit ihr?
Berggruen: Kurz, aber sehr intensiv. Wissen Sie, wenn man jung ist, dann vergißt man alles um sich - aber ihr ging es genauso. Sie hat ihren armen Mann, den großen dicken Diego Rivera, einfach stehenlassen und ist mit mir nach New York gekommen. Dort haben wir das Hotelzimmer kaum verlassen. Für sie war es nur ein Ausflug ins Abenteuer, wahrscheinlich nicht der einzige.
SPIEGEL: Diego Rivera war dem Vernehmen nach auch nicht eben treu.
Berggruen: Gar nicht. Es war, glaube ich, eine sehr heftige Ehe, so wie ein mexikanisches Erdbeben.
SPIEGEL: Wann haben Sie denn zum erstenmal ein Bild verkauft, wann begann die Geschichte des Kunsthändlers Berggruen?
Berggruen: Ich war 1944 als GI im Krieg nach Europa zurückgekommen und wollte hier auch bleiben. Dieses materialistische Amerika war einfach nichts für mich. Und noch auf der Überfahrt fragte mich ein anderer GI: »Was willst du denn in Europa machen?« Und ich habe nur geantwortet: »Dableiben, dableiben.« Mehr konnte ich nicht sagen.
In Berührung mit dem Kunsthandel kam ich erst nach dem Krieg. Die Deutschen durften damals keine Kontakte mit dem Ausland haben. Ich arbeitete in München, wieder als Journalist, schrieb vor allem Kunstkritiken. Und eines Tages fragte mich Gustaf Gründgens, ob ich nicht eines seiner Bilder, das er verkaufen wollte, nach Zürich zu einem Händler bringen könnte.
SPIEGEL: Was war das für ein Bild?
Berggruen: Ich erinnere mich an ein wunderbares Pastell von Renoir, ein Mädchenkopf, kein Jungenkopf.
SPIEGEL: Allzu viele Jungen-Porträts hat Renoir auch nicht gemalt.
Berggruen: Ja, Renoir hatte es wohl eher mit den Damen, im Gegensatz zu dem Besitzer des Bildes - obwohl der mit einer sehr reizenden Frau verheiratet war.
SPIEGEL: Diesen Handel haben Sie also nur vermittelt?
Berggruen: Ja, erst in Paris - ich hatte dort einen, wie sich bald herausstellte, ziemlich langweiligen Job bei der Unesco übernommen - habe ich 1947 meine eigene Galerie gegründet.
SPIEGEL: Einfach aus dem Stand heraus, ohne jede Starthilfe?
Berggruen: So ist es. Als Ausländer durfte ich kein eigenes Geschäft haben. Und
so mußte meine einzige Mitarbeiterin, die Tochter eines nach Monte Carlo emigrierten Zahnarztes mit dem geschätzten Namen Rothschild, alles für mich unterschreiben.
SPIEGEL: Und der Name hat Ihnen die Türen geöffnet?
Berggruen: Ja, ziemlich am Anfang meiner Zeit in Paris ging ich eines Tages in die große Galerie Maeght, um ein paar Lithographien von Chagall und Miró zu kaufen. Den Scheck hatte ich vorbereitet und gab ihn dann dem Chef des Hauses. Der guckte und sagte nur: »Jetzt verstehe ich, ganz klar, Berggruen wird von Rothschild finanziert.«
SPIEGEL: Was leider nicht der Fall war.
Berggruen: Nein, überhaupt nicht. Wichtiger war aber, daß die Leute mir vertrauten, daß sie mir Bilder in Kommission zum Verkauf gaben.
SPIEGEL: Wie haben Sie Pablo Picasso kennengelernt?
Berggruen: Mein Nachbar Tristan Tzara, der Mitgründer der Dada-Bewegung, hatte einen Gedichtband mit Illustrationen von Picasso gemacht. Tzara wollte das kleine Werk in meiner Galerie ausstellen - und damit mußte Picasso einverstanden sein. Also gingen wir zu ihm. Und irgendwie zündete es zwischen Picasso und mir. Das war so ein Moment, wie man ihn nur einmal im Leben hat. Und seither haben wir ja auch viel miteinander gemacht, Geschäfte, aber auch private Kontakte.
SPIEGEL: Wie hat Picasso denn den jungen, noch völlig unbekannten Kunsthändler Berggruen behandelt?
Berggruen: Freundlich, offen. Picasso war kein Malerfürst, der sich in Positur setzte. Er war einfach überaus menschlich. Ich erinnere mich da an eine Episode, die ich mit ihm Mitte der sechziger Jahre erlebt habe. Damals wollte seine Ex-Gefährtin Marie-Thérèse einige Bilder von ihm verkaufen, um zu Geld zu kommen. Diese Bilder waren aber nicht signiert. Also fuhr ich mit einem Freund zu Picasso und bat ihn um die Signaturen. Er war sofort bereit und sagte nur: »Kommt morgen wieder, dann ist die Ölfarbe getrocknet.« Doch in diesem Moment kommt seine Frau rein, wie eine Furie, und sagt: »Pablito, wie kannst du nur so etwas machen? Für diese gräßliche Person, diese Hure, nur weil du ein paarmal mit ihr geschlafen hast ...«
SPIEGEL: Also keine Signaturen?
Berggruen: Nein, Picasso war auf einmal ganz klein und sagte: »Was soll ich machen, ich lebe doch mit ihr.«
SPIEGEL: Und wie ist schließlich aus dem erfolgreichen Händler Berggruen ein Sammler geworden?
Berggruen: Das ging erst ganz langsam, ich hatte ja gar kein Geld dafür. Aber dann bekam ich von Picasso die Genehmigung für neun Abgüsse vom »Kopf von Fernande«, einem frühen kubistischen Werk. Die Abmachung lautete: Picasso bekam drei Abgüsse umsonst, der Rest gehörte mir. Also habe ich fünf verkauft, und zwar sehr gut - und einen behalten. Damit fing eigentlich alles an.
SPIEGEL: Haben Sie auch den prominentesten deutschen Picasso-Sammler kennengelernt, den Fabrikanten Peter Ludwig?
Berggruen: Ja, Ludwig hat mal eine Picasso- Zeichnung bei mir gekauft, stellte dann aber fest, daß der Rahmen, ein sehr schöner Louistreize-Rahmen, wurmstichig war. Er sagte mir: »Da müssen Sie was machen.« Und ich fragte nur: »Ja was macht man da, Herr Ludwig?« Und er, ohnehin ein großer Mann, wurde plötzlich noch größer, baute sich vor mir auf und antwortete laut und deutlich: »Vergasen, Herr Berggruen, vergasen!«
SPIEGEL: Wenig sensibel.
Berggruen: Ich erzähle Ihnen das ohne Kommentar. Aber so war es.
SPIEGEL: Sie hatten 1984 dem New Yorker Metropolitan Museum 90 Bilder von Paul Klee geschenkt und waren dann ganz unglücklich, weil die meisten davon schon nach wenigen Monaten im Depot verschwanden. Hat Sie diese Erfahrung dazu bewogen, Ihre Picasso-Sammlung nur als Leihgabe nach Berlin zu geben?
Berggruen: Ja, ich will diese schlechte Erfahrung nicht noch einmal machen.
SPIEGEL: Und was passiert im Jahre 2006, wenn die Zehnjahresfrist abgelaufen ist?
Berggruen: Das hängt nicht zuletzt vom Echo auf meine Sammlung hier in Berlin ab, vom Interesse des Publikums.
SPIEGEL: Also dürfen die Berliner auf eine Verlängerung der Frist hoffen?
Berggruen: Wenn es gut läuft, kann man darüber reden.
* »Betrachtung beim Frühstück« (1925).* Oben: »Tanzende Silene« (1933); unten: 1960 in Mougins,zusammen mit Stierkämpfern und Picassos Tochter Paloma.