KUNST Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild
Gebundene Liliensträuße stehen auf Marmorsockeln, die Schuhe klappern auf dunklem Parkett. Die Damen tragen Strumpfnähte und Hochsteckfrisuren, die Herren Manschettenknöpfe und Halbglatzen. Die, die hier arbeiten, nennen sich Specialists, Directors und Co-Heads of Day Sale, und ihre Arbeit besteht darin, aus Kunst ein Geschäft zu machen. Im Auktionshaus Christie's in London, das Ritz nicht weit, sind Gemälde Aktien, die man sich an die Wand hängt.
Der vorvergangene Freitag war ein guter Tag für Christie's. Nur zweieinhalb Minuten brauchte es, bis das Gemälde »Paris Bar« einen neuen Besitzer gefunden hatte, einen Sammler aus den USA, für zwei Millionen Pfund. Mitgeboten hatten die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz, die Kunsthändler Jeffrey Deitch und Tony Shafrazi aus New York City sowie drei Unbekannte, die per Telefon der Auktion beiwohnten.
Fast 2,5 Millionen Euro also für ein Gemälde, 2,07 mal 3,8 Meter groß, Öl auf Leinwand, 1991 gemalt, von dem deutschen Künstler Martin Kippenberger, so steht es zumindest im Katalog von Christie's.
Das Bild hing länger als ein Jahrzehnt an der Stirnseite der Paris Bar in Berlin-Charlottenburg. Es ist ein Trompe-l'OEil des Innenraums, warme Farben, gemalt in der Tradition niederländischer Interieurbilder. Die Bar ist taghell, menschenleer, der Schachbrettboden sauber, das Tischtuch unbefleckt, die Tische und Stühle leer, Salz und Pfeffer warten auf Benutzung. An der gelben Wand hängt eine Vielzahl von Kunstwerken, in Petersburger Hängung, Rahmen an Rahmen. Es ist der exklusive Blick des Wirts auf sein Lokal, eine gemalte Momentaufnahme zwischen den Nächten. Wenn alles schon vorbei ist und doch alles noch passieren wird.
Das Gemälde hat viel gesehen in diesen Jahren in der Bar, und es kann viel erzählen: von einem genialen und manchmal ziemlich irren Künstler, dessen Leber irgendwann nicht mehr durchhielt. Von einem mythischen Ort in West-Berlin, von einer Ära des Exzesses, aber auch davon, wie der Kunstmarkt funktioniert, was für Kapriolen die Geschichte schlägt, und wie Legenden entstehen.
Kippenberger starb 1997, zwölf Jahre nach seinem Tod erlebt er das erfolgreichste Jahr seines künstlerischen Schaffens. Noch nie zuvor waren Werke von ihm so teuer. Im Mai wurde ein unbetiteltes Selbstporträt von 1988 zum Rekordpreis von 3 Millionen Euro in New York versteigert, nun kamen in London die »Paris Bar« für 2,5 Millionen Euro und »Kellner des ...« für 1,2 Millionen Euro unter den Hammer. Kippenberger ist jetzt einer der teuersten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. »Paris Bar« war das begehrteste und teuerste Bild dieser Abendauktion. Und das, obwohl alles, was die Bar zur Legende werden ließ, darauf gar nicht zu sehen ist: die Gäste, der Exzess, die Nacht. Und der Kondomautomat.
Es herrschte eine besondere Atmosphäre dort, die Kellner sprachen Französisch, »Table trois, Foie Gras«, aber auf das Essen kam es nicht so an. Der Service sei »auf die Bedürfnisse von Sado-Masochisten zugeschnitten«, schimpfte einmal ein Gast über das Restaurant mit der geschwungenen roten Leuchtschrift in der Berliner Kantstraße 152.
Was die Paris Bar ausmachte, waren vor allem die Gäste. Jene, die schon einmal da gewesen waren, die, die am Nebentisch saßen, und die, mit denen man jederzeit rechnen konnte. Nach Galas, Premieren oder Bällen strömten sie herein: Jack Nicholson, Robert De Niro, Madonna. Helmut Newton war da, David Bowie, Robert Rauschenberg, Damien Hirst, Iris Berben, Udo Lindenberg, Claudia Schiffer, Jörg Immendorff, Sigmar Polke, Georg Baselitz. In den Achtzigern und Neunzigern war das Lokal famos, es war die Zeit, in der Karl Lagerfeld noch aß.
Der Dramatiker Heiner Müller sagte, wer die Bar betrete, solle lieber gleich »alle Hoffnungen fahren lassen, dass er herauskommt, ehe es Morgen wird«. Tausende haben hier einen Absacker getrunken. Manche auch mehrere, Martin Kippenberger sicherlich zu viele.
Die, die in diesen Jahren dort ein Nachtasyl fanden, passen nicht auf das Bild. Aber
in der Vorstellung des Betrachters können sie alle Platz nehmen an den frisch eingedeckten Tischen. Auch das macht das Bild so kostbar. Es macht etwas sichtbar, was gar nicht zu sehen ist.
Kippenberger kam oft in die Paris Bar, einen Stammplatz hatte er nicht. »Martin setzte sich hin, wo frei war«, sagt sein guter Freund Michel Würthle, langjähriger Wirt der Bar, ein Österreicher. Kippenberger gab ihm Bilder, dafür bekam er Freigetränke und kostenloses Essen auf Lebenszeit. Am liebsten aß er französische Blutwurst, Boudin Noir. Dazu trank er Rotwein. Martin schenkte Kunst, Michel schenkte ein.
Die Bar war Kippenbergers Wohnzimmer, er war nie zu übersehen, sein Auftritt laut, seine Kunst inszenierte er genauso wie sein Leben. Er war ein »Neuer Wilder«, auch privat. »Er war flott unterwegs«, erinnert sich Michel Würthle.
Die berühmte Fotografin Elfie Semotan war seine Lebensgefährtin, sie sagte über Kippenberger: »Es waren immer 50 Menschen um ihn herum, alle lagen ihm zu Füßen.« Zu seinen engsten Freunden gehörte auch der Künstler Albert Oehlen, dem er eines Nachts in der Paris Bar einen schmutzigen Doktorwitz erzählte, sich dabei bis auf die Unterhose auszog und zur Untersuchung auf einen der Tische des vollbesetzten Lokals legte. »Er trug übrigens dieselben weißen Schiesser-Unterhosen, die er auf den gemalten Selbstporträts trug«, sagt der Berliner Galerist Volker Diehl, auch ein Kumpel Kippenbergers. Und den Maler Michael Krebber ermunterte er dazu, sein Bierglas erst leer zu trinken und dann aufzuessen, unter großem Oho und Gelächter.
Künstler, die Kippenberger mochte, hat er auf »Paris Bar« verewigt, die Bilder an der Wand sind von Oehlen und Krebber, Werner Büttner, Julian Schnabel, Matthias Schaufler, Hubert Kiecol, Heimo Zobernig, Josef Strau, Laurie Simmons, Ronald Jones, Charline von Heyl, Robert Frank, Jochen Krüger und Valeria Heisenberg. Es sind Arbeiten aus seiner Sammlung, Fotografien und Bilder in realistischer, kubistischer, expressionistischer Manier. Kippenberger hatte sie in der Paris Bar aufgehängt, es war eine Art Protest, weil man ihn bei der großen Metropolis-Ausstellung in Berlin im Frühjahr 1991 ignoriert hatte.
Kippenberger war mal ein Punk, Mitbetreiber des legendären Kreuzberger Konzertclubs SO 36 und schließlich als Künstler ein Meister aller Stilrichtungen. Die »taz« schrieb, Kippenberger sei »kein guter Mensch« gewesen. Die »Paris Bar« aber ist ein gutes Bild, auch wenn er es selbst gar nicht gemalt hat. Kippenberger hatte einen Ghostpainter.
Gemalt hat die »Paris Bar« ein Maler namens Götz Valien, 49, der heute vor allem davon lebt, riesige Plakate für große Kinofilme zu malen. Er arbeitet in einer Werkstatt im grauen Reinickendorf, Markstraße 22. Zwischen einem Lottoladen und einer Videothek steht im Hinterhof ein heruntergekommener Schuppen mit Spinnweben und Staub, es riecht nach Terpentin und Farben. Hier entstand »Paris Bar«, in der Malerwerkstatt von Werner-Werbung. Kippenberger rief an, so erinnert sich Valien, und fragte, ob jemand ein Bild für ihn malen könne. Er schickte ein paar 10 x 15-Abzüge vom Innenraum der Paris Bar, sie sollten fotorealistisch kopiert werden. »Ich bekam dafür damals 1000 Mark«, sagt Valien. »Das war im Sommer 1992.«
Der Besitzer der Werkstatt, Michael Werner, ein gelernter Koch, hielt Kippenberger für einen »netten Spinner«, aber dem Maler Valien war der bekannte Künstler ein Begriff. Auch Valien trank damals den ein oder anderen Absacker in der Paris Bar. Nicht so häufig, aber er musste ja auch seine Drinks bezahlen.
Kippenberger war ein Lautsprecher, Valien ist ein Leisetreter. Kippenberger war der geborene Bohemien ohne Ausbildung. Die Schule brach er ab, seine Dekorateurslehre scheiterte am Alkoholgenuss, das Kunststudium in Hamburg schmiss er. Valien diplomierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, wo er altmeisterliche Techniken studiert hatte. »Es war unglaublich schwer, die verschiedenen Stile der Bilder an der Wand genau zu kopieren.« Eine Woche malte Valien daran, jeden Tag von 9 bis 16 Uhr. Als es fertig war, lieferte Michael Werner das Bild mit dem Lkw in der Paris Bar ab.
Kippenberger war zufrieden. Ein Jahr später, 1993, fragte das Centre Pompidou nach einer Leihgabe von der »Paris Bar«. Weil das Original im Restaurant bleiben sollte, drehte Kippenberger seine Idee weiter und ließ eine zweite Version von Valien malen: Das erste »Paris Bar«-Gemälde war nun selbst Teil des Gemäldes »Paris Bar« von 1993. Ein Bild, auf dem Bilder zu sehen sind, im Bild.
Bei einem Galeristen hatte sich Kippenberger mal als »bester Maler überhaupt« angepriesen. Das stimmt wahrscheinlich nicht, aber darum ging es auch nie. »Er war nicht der beste Maler der Nachkriegszeit, aber einer der besten Künstler«, sagt Volker Diehl, und Würthle teilt diese Meinung. Kippenberger war ein Pointenproduzent, seine Kunstwerke mussten Witz haben, Esprit.
Sie konnten Phantasiegebilde sein, wie der U-Bahn-Eingang aus Beton, den er 1993 auf der griechischen Insel Syros bauen ließ, oder ein einfacher Lacher, wie die verbogene »Laterne an Betrunkenen«, die seit 1988 vor der Paris Bar steht. Unvergessen auch sein gekreuzigter Frosch mit herausgestreckter Zunge, »Zuerst die Füße«. Ihm ging es »24 Stunden am Tag« um das »Kunstgefummele«, sagt Würthle.
Eines seiner Hauptwerke ist die »Lieber Maler, male mir«-Serie von 1981, als Kippenberger Fotos großformatig von Malern auf Leinwand abmalen ließ. Er erkor die Auftragsmalerei dabei zum Konzept. Seine Handschrift war, dass er keine hatte und keine haben wollte. Alle ließ er nach seiner Pfeife tanzen. »Er war wie ein Vampir an allen Hälsen«, sagte die mit ihm befreundete Künstlerin Charline von Heyl. »Die Idee ist das, was zählt«, posaunte Kippenberger, er wollte sich »vor der Idee schützen, man müsse alles selber machen«.
So sah das zumindest in der Theorie aus. In der Praxis war Kippenberger manchmal nicht so souverän. Götz Valien erinnert sich an das einzige Zusammentreffen mit Kippenberger, in den Neunzigern bei einer Vernissage in Berlin: »Kippy stand im Eingang der Galerie, wie ein Türsteher, in einer Hand eine Flasche Rotwein, in der anderen ein Glas.« Valien stellte sich als Maler der »Paris Bar« vor, aber Kippenberger nickte nur, drehte sich weg, redete mit anderen. »Vielleicht hatte er Angst, ich komme da jetzt mit Forderungen«, sagt Valien, »aber ich wollte nur ein bisschen plaudern.« Kippenberger ließ sich ungern eine Pointe versauen.
Das Londoner Auktionshaus Christie's versteht sich als »Traditionshaus«, das ist eine Welt, in der man keine Scherze macht, schon gar nicht über Kunst. Eine Gruppe von Kunstexperten mit jahrelanger Erfahrung legt vor einer Auktion den Startpreis fest, setzt den Schätzpreis maßvoll an, prüft den Zustand der Kunstwerke. Hier arbeiten Analysten, keine Künstler. Wenn ein Künstler stirbt, spricht man hier davon, dass »der Primärmarkt nun versiegt«, und behält im Auge, was das »für Auswirkungen auf den Sekundärmarkt« haben wird. Im Fall Kippenberger bedeutete das, dass die Preise exorbitant gestiegen sind, seit er nichts mehr für den Primärmarkt produzieren konnte.
Für Kippenberger ging es mit der »Paris Bar« nicht um Geld, sondern um Freigetränke. Für Christie's um 281 250 Pfund. Den Specialists scheint der Umstand, dass Kippenberger das Bild nicht selbst malte, heute Magenschmerzen zu bereiten: Kein Wort über den Auftrag an Valien findet sich in den Abhandlungen des Katalogs oder auf der Homepage von Christie's. »Es war ein offenes Geheimnis, dass die 'Paris Bar' nicht er selbst gemalt hatte. Es hat ja gar nicht die Pinselschrift von Martin«, sagt auch Würthle. Gegenüber von der »Paris Bar« hing im Ausstellungsraum im ersten Stock von Christie's in der Londoner King Street noch ein anderer Kippenberger, signiert mit »M. K. 91«. Einen Reim darauf, wieso »Paris Bar« nicht signiert ist, kann man sich bei Christie's nicht machen. Auch dass die »Paris Bar« nicht mit »Öl auf Leinwand« gemalt wurde, sondern mit verdünnter Außenfassadenfarbe, hat man übersehen. Pressesprecherin Alexandra Kindermann präsentiert die »Paris Bar« zwar als »das Bild, das Kippenberger, tja, in Auftrag gegeben hat«, spricht später aber wieder davon, dass »diese Version wohl von Kippenberger« gemalt wurde. Ein anderer Angestellter sagt, man habe einige Mühen in Kauf genommen, aber man habe »wirklich nicht herausfinden können, ob das Bild nun von Kippenberger gemalt wurde oder nicht«. Andreas Rumbler, International Director bei Christie's, formuliert es so: »Darauf kommt es doch nun wirklich nicht an.«
Bis 2004 hing das Bild dort, wo es hingehörte, in der Paris Bar. Es gab dann noch eine dritte Version, diesmal von dem Hamburger Maler Daniel Richter, längst schon eine Kunstgröße, er nannte es ebenfalls »Paris Bar«, aber er hat es selbst gemalt, jedenfalls zum Teil. Die Bilder, die in dem Bild zu sehen sind, sind seine, immerhin. Den Raum hat ihm sein Assistent gemalt. Auch dieses Bild hing in der Bar.
Wirt Michel Würthle, Schöngeist und Kunstliebhaber, schmerzt der Verlust des Originals bis heute. Er musste das Bild abstoßen. 2005 war kein gutes Jahr für ihn. Erst starb seine Frau, dann kam die Steuerfahndung. Im November war er gezwungen, Insolvenz zu beantragen. Die glamourösen Zeiten der Paris Bar waren vorüber. Kippenberger war gestorben, der Schwerpunkt der Berliner Kunstszene verlagerte sich, man feierte nun in neuen Restaurants wie dem »Borchardt« oder dem »Grill Royal«.
»So schrieb das alte West-Berlin nach dem Fall der Mauer noch schnell seine Mythologie, ehe Kunst und Leben gänzlich ins östliche Berlin-Mitte umsiedelten«, stand in der »Berliner Zeitung«. Es war der Niedergang eines mythischen Ortes, der unbefleckt nur noch auf dem nun versteigerten Gemälde zu sehen ist.
Würthle verkaufte das Gemälde an den Berliner Galeristen Volker Diehl, der damalige Marktpreis für einen solchen Kippenberger lag bei 700 000 Euro. Diehl ließ das Bild von Rauchspuren säubern und verkaufte es bald schon an Charles Saatchi in London, einen der wichtigsten Kunstsammler Europas. Der hatte es nun bei Christie's eingeliefert. Vermutlich wird es noch im November per Luftfracht in die USA geschickt. Wahrscheinlich weiß der Käufer, was für ein Künstler Kippenberger war und dass er das Bild nicht selbst gemalt hat. Kurz vor der Auktion klagte Würthle sein Leid einer Lokalzeitung: »Wenn es einen großzügigen Menschen gäbe, der es ersteigert und wieder in die Paris Bar hängt, hier gehört es doch her.«
Auch Götz Valien wird das Bild so schnell nicht wiedersehen. Bitter ist er nicht darüber, dass das Bild, das er für 1000 Deutsche Mark malte, für 2,5 Millionen Euro unter den Hammer kam. Eher belustigt über die Mechanismen des Kunstbetriebs. »Ich kann sagen, ich habe einen der teuersten Kippenberger gemalt. Teurer als die meisten, die Kippenberger selbst gemalt hat.«
Den Verlauf der Auktion verfolgte er online auf der Homepage von Christie's. Es war 20.32 Uhr in Deutschland, als sein Bild den Besitzer wechselte, danach schaute Valien sich eine DVD an, es war eine harte Woche gewesen. In seiner unbeheizten Werkstatt hatte er das Kinoplakat für den Film »Das weiße Band« gemalt. Lohn: 400 Euro.
Die Leinwand, 9 mal 6,71 Meter, hängt nun an der Fassade des Kino International in der Karl-Marx-Allee in Ost-Berlin. Nur acht Kilometer von der Paris Bar entfernt. Gut sichtbar.
Ganz im Geiste seines Auftraggebers hat Valien einen Witz in Kippenbergers Bild gemogelt.
In ein Stuhlbein pinselte er schwarz auf braun seine Signatur »Valien«. Sie ist kaum sichtbar. NORA REINHARDT
* Links: mit Valiens Signatur; rechts: Entstehung des Bildes1992.