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»Ein bißle Absolutheitsanspruch«

aus DER SPIEGEL 1/1975

Guten Geschmack, der ihnen fehlt, beziehen staatliche deutsche Institutionen und Firmen mehr und mehr vom visuellen Gestalter und Mühlenbesitzer OtlAicher. Niemand hat hierzulande so große Chancen, Stil zu bilden, wie dieses bäurisch geniale Element aus Schwaben. Selbst die Bundeswehr wollte bei ihm Kunde werden, ihr jedoch verweigerte er sich.

Das ZDF dagegen erfuhr durch Aicher eine ästhetische Generalüberholung bis hin zu den Mainzelmännchen, welche er dann allerdings -- »noi, die laßt ihr« -- als Kontrastprogramm zu seinen geometrisch-kühlen Ordnungselementen hinnahm. Klarere Schriften bekamen die Mainzer, eine, sagt Aicher, »delikatere Palette«; dazu technisch-nüchterne Studiomöbel und programmatisch sichtbare Metallrohrgerüste von, sagt Aicher, »höchster rationaler Intensität«.

Auch bediente er sie mit einem unverwechselbaren Zifferblatt für ihre Zeitansagen. Mit dem ließ der zufriedene Entwerfer auf seine Kosten eine Serie Schweizer Armbanduhren ausrüsten, um sie Sympathisanten wie dem Professor Holzamer als eine Art Statuszeichen zu verehren.

Jede ZDF-Ansage« jedes »heute« befördert somit Aichers Ideen. von denen die Masse vorerst nichts merkt. Ähnlich ergeht es Millionen von Suchenden im Labyrinth des neuen Rhein-Main-Flughafens, wo OtlAichers naive Zeichensprache sie führt.

Den Kunden von weiland Elektro-Braun berührt Aichers Formwille unter anderem in Gestalt eines Rasierers. Die Kölner Universitäts-Klinik« auch der Pressekonzern G + J vertrauen Aicher bei der Gestaltung ihres Innern. Lufthansa und Westdeutsche Landesbank äußern sich optisch auf seine Art -- gesichert vom Seitenruder bis zum Pfandbrief. Und mit den Olympischen Spielen von 1972 erlebte die Welt eine wahre Aicheriade.

Erscheinungsbild nennt sich, was er in solchen Fällen besorgt. Und dieses Wort versteht er allumfassend. Ob Pappbecher, ob Uniform -es gibt keine Äußerlichkeit, welche er, einmal in Pflicht genommen, außer acht zu lassen bereit wäre. Bei den olympischen Ereignissen, denen er den Namen »Regenbogen-Spiele« und eine entsprechende Farbskala verordnete, entsprachen Wahrzeichen, Fahnenwälder. Eintrittskarten, Würstlbuden, Stadtpläne, Plakate, Overalls und Wegweiser seinen tüftelig genauen Intentionen. Und selbst den Trambahnen Münchens »erschrieb er nebenbei ein neues Blau. »Ein bißle Absolutheitsanspruch«, vermutet der sanftmütige Quadratschädel, »steht schon dahinter.«

Seiner nämlich. Dieser Freund der Kleinschreibung wandert ja auch, wenn ihm der Hausarzt Bewegung verordnet. ungeachtet seiner 52 Jahre zu Fuß durch Schottland, Grönland oder die Wüste Sinai. Allen Ernstes -- um beim guten Geschmack zu bleiben -- hat er geprüft, wie man ·durch entsprechende Färbung des Wegwerfbaren bei der Olympiade auch noch ästhetisch befriedigenden Abfall erzielen könne.

So rigide half Aicher, den hängenden Hosenboden des deutschen Images auf ein neues Niveau zu heben. Da bleibt die Frage offen, wieweit der Kosmetiker des Äußeren gelegentlich über den Inhalt hinwegsah. Aichers Farben, Formen und Normen signalisieren friedvolle Zurückhaltung, beschwingte Kühle -- das Gegenteil von Schnörkelprotz, Tschingbum und Aggressivität.

Entsprechend aggressiv rüttelten die Repräsentanten eines lauteren Deutschtums oft an seinen Entwürfen, bis sogar sie spürten: Aicher, das ist eine Trademark, die macht auch dem einen schönen Fuß, der sie von Herzen ablehnt.

Wenn Gerhard Löwenthal in dem von Aichers Graphikern gepflegten Rahmen seinen Mund auftut, kommt natürlich nichts anderes heraus als früher. Und ungeachtet des allerfriedlichsten Farbenspektrums mündeten die olympischen Ereignisse von München in politischen Massenmord. Dennoch lautet Aichers Überzeugung, daß à la longue die Form auf den Inhalt und jene zurückwirkt, die sich ihrer bedienen.

»Ansätze einer internationalen Zeichensprache« erblickt er in seinen »Piktogrammen«. den wortlosen Hinweistafeln des Frankfurter Großflughafens und der Spiele von München, die nun auch Montreal für 1976 und Moskau für 1980 übernommen haben. Das mit Aichers Hilfe von zweckfremder Prestige-Maskerade befreite Erscheinungsbild von Elektro-Braun schärfte unbestreitbar den Blick von Multimillionen bürgerlicher Konsumenten für die Vorzüge technisch ehrlicher Formen. Die funktionsgerechte Optik dieses Angebots war leider bald ihrerseits Prestigemarkierung einer das Understatement zelebrierenden Elite.

In diesem Zusammenhang entfremdete sich Aicher der Elektrofirma. Daß sie etwa einen weiß entworfenen Rasierer in mattem Schwarz und mit künstlichem Snob-Appeal vermarktete, schlug sich mit seinen Absichten. Einmal glaubt Aicher, Schwarz entspreche nicht den Funktionen eines solchen Toilettengegenstandes: »Man sieht doch beispielsweise gleich die Fingertapsen.« Zum anderen sträubt sieh der linke Katholik in ihm wider elitäre Ambitionen. Was er anzubieten begehrt, sind vernünftige Maßstäbe für jedermann.

Er selbst trägt übrigens zur schwarzen Lederjacke mit Vorliebe schwarze Hemden. Das aber, sagt er, widerlege ihn nicht, Im Gegenteil: »Ein schwarzes Hemd sieht länger sauber aus.«

So führen Gedanken über den Schmutz wechselweise zur Ablehnung oder Bejahung des gleichen Farbtons. Darin offenbart sich, worin Aicher auch das Ziel eines von Vernunft und Zweck bestimmten Erscheinungsbildes erkennt. »Eigene Entscheidungen zu treffen« will er »das Subjekt befähigen«. Als Aufklärer geht er einher. Dem durch unerklärliche Konsumverlockungen entmündigten Verbraucher soll etwas mehr Nachdenken über das jeweils Nützliche angeboten werden. und so am Ende Befreiung.« Reflexion«, sagt Aicher, »ist die Nabelschnur zum Produkt. Das Wichtigste ist, daß man sagen könnte: So muß es sein.

Wie"s denn sein muß, vermag er selber sich oft erst nach verschlungenen Irrwegen zu sagen, und wenn es sich um eine solche Nebensache wie eine Regenhaut handelt. »Ein halbes Leben habe ich gebraucht, um zu wissen, was für mich richtig ist.« Es ging ihm beim Fußmarsch durch die Highlands auf: Nichts hält ihn so trocken wie »Cotton paraffiniert«.

Ober Aichers Zeichentisch und Lebensalltag herrscht eine strenge Geometrie des rechten Winkels. Eßtische und Arbeitstische, alle im Verhältnis

Länge = zweimal Breite, alle aus weißbeschichtetem Holz und dem nämlichen weißen Vierkant-Eisenrahmen, lassen sich bei ihm zu Hause in der Mühle zu beliebigen Größenordnungen aneinanderrücken. Rohe Fichten dielen auf Böden und Wänden ergeben die Fluchtlinien einer innenarchitektonischen Askese, in der kein Platz für Wandschmuck ist.

Tischkanten, Fenster- und Türrahmen und sogar noch die draußen vor den Fenstern gepflanzten Bäume stehen zueinander in festen geometrischen Beziehungen. Die Steinbänke im Hof und den Brunnentrog dort und das in diesen zielende Wasserrohr duldet Aicher nur in absolut rechtwinkliger Beschaffenheit.

Entgegen seiner Ehefrau Inge Scholl, die sich beharrlich ein kleines Sofa wünschte, kann sieh Aicher zum Sitzen nichts Zweckentsprechenderes denken als die harten, leichten Stahlrohrstühle von Charles Eames. Leicht beweglich muß alles bei ihm sein -- aber fest geordnet. Ordnung bedeutet ihm »Erleichterung des Lebens«. Bücher und jegliches Arbeitsmaterial lagern deshalb in durchsichtigen, beliebig koppel- und stapelbaren Regalkörben aus Stahl. So wie diese sollen sämtliche notwendigen Bestandteile eines Meublements, glaubt Aicher, gleich den Elementen seiner Gebrauchsgraphik »multiplizierbar sein, austauschbar, variabel und doch einander zugeordnet«. Die Bauhütten des Mittelalters haben Dome nach diesem Gesetz errichtet. nach dem er auch noch Verbotstafeln und Briefköpfe stilisiert.

»Viele Linke fürchten immerzu Reglementierung«, bedauert Aicher, dem eine erklärbare Ordnung vielmehr die Zufahrtsregelung in jenen Bereich bedeutet. in dem er die Freiheit sieht. nämlich: »zu sich selbst zu kommen«. Er ist ein Zwingli des guten Stils.

Seit die weltbekannte Ulmer Hochschule für Gestaltung, die er mitbegründet hatte, durch die Stuttgarter Kulturbürokratie liqidiert worden ist, nährt Aicher in sich die Sehnsucht, »am Rande der Gesellschaft zu leben und doch für sie zu arbeiten«. Die mächtige Mühle zu Rotis, vor drei Jahren von ihm erworben, steht an diesem Rand, reichliche drei Autostunden von den Flugplätzen München und Zürich entfernt, einsam in einem Allgäuer Wiesengrund. Sie kündet den wenigen Vorüberfahrenden von der visuellen Gründlichkeit ihres Besitzers: weiße Mauern, schwarze Dächer, Wegweiser in strenger Schrift, graue Plattenhöfe, rechtwinklig zwischen Mühle und Müllerhaus.

Jenseits des Mühlbachs stehen elegant und fremd drei industrielle Pfahlbauten. Darin arbeitet jenes Dutzend Jünger beiderlei Geschlechts, das Aicher in die Idylle folgte und sie nicht wie er genießt. Er selber vereinte Ställe und Stübchen zu Allzweckhallen, in denen der Blick sich verliert. Für sich hob er die Trennung von Arbeits- und Wohnwelt auf. Ihn fesselt die Möglichkeit, mit seinem Mühlbach eigenen Strom zu erzeugen, er befestigte Brücke und Weiher, brachte höhere Ordnung in die Natur.

Die Säulenhalle eines ehemaligen Stalles wurde von Aicher dazu ausersehen, Kommunikationszentrum seiner eigentlich gedachten Lebens-, Kultur- und Arbeitsgemeinschaft zu sein. Doch dient sie mehr Kantinenzwecken.

Das Kollektiv seiner graphischen Mitarbeiter sah er im Geiste schon frei werdende Bauernhäuser der Gegend besiedeln und so der faustischen Freuden des Meisters teilhaftig werden. Diese Leute hingegen zieht es nun am Wochenende in die Großstadt, aus der sie ihm zuliebe aufgebrochen sind. Nach Dienstschluß steuern sie überwiegend den nahe gelegenen Flecken Leutkirch an, wo allein fünf von ihnen ganz für sieh im selben Hochhaus wohnen.

Insbesondere die Elevinnen Aicherscher Gestaltungskunst finden es bei ihm »zu klösterlich«. Ein Lied von ihren Landleiden singen sie den von weit her anreisenden Kunden aus deutschen Ballungsräumen, die ihrerseits en passant von Stadtflucht träumen.

Und was die ringsum erkennbare normative Kraft des Prinzipals angeht, so hat die bei den Leuten auf dem schönen Arbeitshof faktisch noch nichts weiter erzeugt als eine einheitliche Handschrift fürs Geschäft.

»Für mich selber will ich keine genormte Umwelt«, sagt einer von Aichers Scholaren, »ich für mich will auch mal Kitsch.«

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