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Marielouise Janssen-Jurreit über Peter Handkes "Die linkshändige Frau" Ein Buch für traurige Tage

Marielouise Janssen-Jurreit, 35, aktives Mitglied der Frauenbewegung, hat soeben bei Hanser das historisch-theoretische Buch »Sexismus. Ober die Abtreibung der Frauenfrage« veröffentlicht.
aus DER SPIEGEL 42/1976

Anfangs gefiel mir Handkes »Linkshändige Frau« ziemlich schlecht. Ich hegte den Verdacht, Handke habe sich nun auch an die Vermarktung des Themas Frauenbefreiung gemacht, und dann fand ich es einfach unverschämt, daß er solche Sätze schreibt wie: »Die Augen der Frau schimmerten von Tränen« oder »vom unteren Rand ihrer Augen stieg langsam etwas auf, erreichte die Pupillen, die davon leuchteten ...« oder »es war kein anderes Geräusch zu hören als ihr Atem an der Bettdecke und eine Ahnung ihres klopfenden Herzens.«

Dürften wir anderen mittelmäßigen Erzeugerinnen und Erzeuger von Sätzen, ohne auf blanken Hohn zu treffen, so etwas schreiben? Ist dies das neue poetische Verfahren, mit dem er Begriffe auflöst und festgelegte Standpunkte anknackst? Handke ist als Virtuose bekannt, der Sprache so planmäßig und genau wie einen Rechenschieber benutzt. Läßt er uns also seine sprachliche Überlegenheit diesesmal nur auf andere Weise fühlen, indem er uns mit Unbeholfenheiten und Kitsch irritiert und uns mit Sätzen wie aus schlechten bürgerlichen Romanen verlegen macht? ("Die Familie war nicht wohlhabend, lebte aber in bequemen Verhältnissen. ohne an Geld denken zu müssen ...")

Seitdem ich es gelesen habe, bin ich dabei, ungefähr einmal täglich meine Meinung über dieses Buch zu ändern. Mittlerweile gebe ich mich damit zufrieden, daß dies ein Buch der permanenten Meinungsumschwünge für mich bleiben wird. Mal überwiegen meine Einwände, mal bin ich fasziniert von Handkes Methode.

Eine dreißigjährige Frau sitzt da »in einer terrassenförmig angelegten Bungalowsiedlung am südlichen Abhang eines Mittelgebirges« und hat unausgesprochene Eheprobleme ... Sie hatte braune Haare und graue Augen, die, auch wenn sie niemanden anschaute, manchmal aufstrahlten, ohne daß ihr Gesicht sich sonst veränderte.« Das ist ein Satz, der zunächst Widerwillen erzeugt. Handke leiht sich ein Erzählklischee, das aus einem Frauenroman stammen könnte, vermeidet aber die darin übliche Komplettierung der Person. Statt dessen wirkt der Satz« wie ein Hinweis darauf, daß Handke es ablehnt, diese Frau in irgendeiner Weise zu definieren, sie mit einem erfundenen Ich zu versehen. Er stattet sie weder mit Eigenschaften noch mit einem Äußeren aus, er verfolgt ihr Verhalten. Daß er seine Figur nicht in Besitz nimmt, läßt mich Zutrauen fassen.

Der Ehemann Bruno, ein leitender Angestellter, kommt an diesem Abend von einer mehrwöchigen Auslandsreise zurück. Er will mit seiner Frau feierlich essen gehen. Sie solle sich umziehen, das Kleid mit dem Ausschnitt bitte.

Durch eine Bemerkung, die scheinbar nichts mit den ehelichen Machtverhältnissen zu tun hat, beleuchtet Handke schlagartig die Grundlage dieser Paar-Beziehung. Im Restaurant erzählt Bruno von einem englischen Roman und einem Diener, »,an dessen würdevoller Dienstbereitschaft der Held des Buches die reife Schönheit jahrhundertealten Feudaldienstes bewundert. Das Objekt dieser stolzen respektvollen Dienerarbeit zu sein, das bedeutet ihm. wenn auch nur für die kurze Stunde des Teetrinkens, nicht allein die Versöhnung mit sich selber, sondern, auf eine seltsame Weise, auch die Versöhnung mit der gesamten menschlichen Rasse. Die Frau wendet sich ab ...«

Die indirekte Art, wie der patriarchalische Ideologieproduzent hier die feudale Dienstleistungsstruktur der Ehe preist, die er als Ausgleich braucht, um sein Selbst in Harmonie zu bringen. wenn auch nur für ein paar Momente am Tag (kurze Stunde des Teetrinkens), vermittelt mir mehr als viele lange Betrachtungen über Abhängigkeit und Emanzipation.

Am Morgen nach der Rückkehr. nachdem ihr Bruno erzählt hat, wie sehr er sie liebt und sich ihr verbunden fühlt, redet sie von der Trennung. Er holt widerspruchslos seine Koffer ab und zieht zu einer befreundeten Lehrerin, die Franziska heißt.

Die ersten Wochen nach einer Trennung werden in nichtssagenden Einzelheiten wie die Schübe einer Krankheit beschrieben. Motive und Begründungen sind konsequent vermieden. Mit all seinen fehlenden oder überdeutlichen Zusammenhängen ist dies das unzugänglichste Buch, das Handke bisher geschrieben hat.

Zunächst hatte ich mich auf seinen Symbolismus nicht einlassen wollen. Ich wollte gar nicht wissen, wo die Bedeutung seiner Bedeutungen liegt. Aber immer dann, wenn ich versuchte, dieses Buch als reinen Manierismus abzutun, ertappte ich mich beim Entschlüsseln dieses Textes, als wäre ich auf der Suche nach einem vernähten Faden, dessen Anfang gefunden werden muß, wenn man einen Pullover aufribbeln will.

Die Personen sind in dieser Geschichte eingeteilt in solche, die einen Namen haben (Bruno, der Ehemann, und Franziska. die Lehrerin, bei der er wohnt, ohne daß klar wird, ob die beiden ein Verhältnis haben), und in solche, die nur eine Gattungsbezeichnung tragen, die Frau, das Kind und alle Personen, die ihr nahestehen oder mit denen sie Kontakt aufnimmt: der Vater, der Schauspieler, der Verleger, der Fahrer des Verlegers, die Verkäuferin. Die Frau heißt Marianne und das Kind Stefan, aber das erfährt man nur dadurch, daß sie von anderen angeredet werden.

Für einen strukturalistisch geübten Literaturkritiker, der ich nicht bin, könnte dieses Buch eine Offenbarung sein. Handke verwendet fast nur symbolische Oppositionen, um seine psychologische Geschichte zu chiffrieren: Gegensätze wie Mann/ Frau, Winter! Frühling, Tag/Nacht, nah/fern, draußen/drinnen, Ruhe/Bewegung, Stadt/ Natur, trivial/literarisch, Menge/Alleinsein, Vorgesetzter/Untergebener tauchen in Variationen auf und strukturieren den Ablauf der Geschichte. Die Zeiten, die Seiten und die Rollen werden auf so unauffällige, dann wieder auf so auffällige Weise verkehrt, daß man beim Lesen aufpassen muß wie ein Luchs. So kennzeichnen die Anspielungen auf die Seiten Rechts/Links, ihre Verschiebungen und Vertauschungen die Paar-Rollen und die Versuche zu ihrer Aufhebung.

Der Ehemann Bruno kommt am Anfang der Erzählung aus einem Land im Norden (Finnland) zurück, in dem es immer dunkel war, in dem eine Sprache gesprochen wurde, die mit anderen Sprachen keine Ähnlichkeit hatte: »Die Dunkelheit, die Kälte in den Nasenlöchern, und ich konnte mit niemandem reden. Daß ich einmal in der Nacht die Wölfe heulen hörte, war fast schon ein Trost.«

Hier wird die innere Gesetzmäßigkeit dieser antagonistischen Paarbeziehung sichtbar. Denn gerade in diesem dunklen kalten Land, das für die entfremdete Außenwelt des Mannes steht, ist ihm am schärfsten zu Bewußtsein gekommen, wie sehr er die warme, intime Gegenwelt liebt, verkörpert in seiner Ehefrau und in seinem Sohn. Trotz der Bekenntnisse der Verbundenheit hält er es in der Welt der Frau, im Selbst-Gefängnis Bungalow, nicht einmal am ersten Abend aus, weil es ihm dort »zu verwunschen« ist. Er besteht darauf, daß sie zum Essen ausgehen.

Nach der Trennung macht Marianne mit ihrem Sohn zwei Ausflüge. Der erste führt sie in die Großstadt, wo sie ihren Mann im Büro besucht, der zweite Ausflug ist eine Bergbesteigung. Auf die feindselig-aggressive Welt des Mannes. in der der Verkehrslärm rauscht. »als sei eine gleichmäßige Katastrophe im Gange«, folgt als Antwort der Frau ein Ausflug in die Natur.

Handkes Hauptthema ist Einsamkeit und Isolation, die Unfähigkeit zu einem Dialog, zu Gesprächen und Gesten, die sich wirklich aufeinander beziehen. Alle reden, keiner antwortet dem anderen. Ein alternder Dichter wird erwähnt (und dann wieder geleugnet), der nur noch Geräusche ausstößt.

Das Buch hat aber den Kommunikationsmangel diesmal nicht nur zum Inhalt, sondern die Kommunikationsunfähigkeit wird von Handke in dieser Erzählung auch zur Form erhoben. Das Buch ist geschlossen wie eine Auster, ein Zeichen- und Bedeutungslabyrinth wie das Universum eines Schizophrenen, in dem Sprache nicht mehr zur Mitteilung verwandt wird, sondern um Mitteilung zu verschlüsseln.

Um Handkes Meta-Sprache zu begreifen, haben wir nur zwei Anhaltspunkte. den Song-Text von der linkshändigen Frau und ein Zitat aus den Wahlverwandtschaften, das am Ende des Buches folgt, und Handkes Vorgehen erläutert. »wie man auch in ungeheuren Fällen, wo alles auf dem Spiele steht, noch immer so fortlebt, als wenn von nichts die Rede wäre«.

Die Schlußbeschreibung wirkt versöhnlich. Marianne liegt auf der Terrasse, »ohne Decke auf den Knien«. Eine Patientin nach der Genesung?

Ist die Vereinzelung, das Ertragenkönnen und die Aussöhnung mit der Einsamkeit Befreiung?

Handke gibt durch das Verhalten von Marianne deutlich seine Ablehnungen von Frauengruppen zu erkennen -- die Möglichkeit in einer solchen Gruppe Unterstützung zu suchen, wird von ihr nicht genutzt.

Die Frau, die einer Gruppe angehört, Franziska, wird als Frau mit den festgelegten Meinungen geschildert. Möglichkeiten für gemeinsames Erkennen und Handeln werden zwar angedeutet, aber auch abgewertet. Die einzige politische Handlung, die sie versteht, ist der Amoklauf, sagt Marianne.

Ich teile Handkes politische Perspektive nicht. Warum kann ich mich dann trotzdem dem Reiz, ja dem Sog seiner literarischen Methoden nicht einfach entziehen? Beide bedingen einander. Ich nehme an, daß ich mit meiner Inkonsequenz nicht allein bin. An Tagen der Trauer gibt mein eines Ich dem Handkeschen Ich recht, an anderen Tagen, zum Beispiel dann, wenn ich abends zu meiner Frauengruppe gehe, fühle ich mich stark genug, ihn zu widerlegen.

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