Ein Griff ins volle Nazi-Leben
Draußen, auf der Straße, prügeln sich Nazis mit Kommunisten. Drinnen, im Souterrain, läßt sich Albert Speer aus der Hand lesen.
Die Wahrsagerin: »Sie würden für einen Auftrag alles geben, nicht wahr?« - »Alles.« - »Auch Ihre unsterbliche Seele?« - »Ja.« Doch dann besinnt sich der Jungarchitekt - die Seele, das führte denn wohl doch zu weit.
So faustisch gibt sich das Drehbuch eines Films, der noch bis Anfang Februar in der Münchner Filmstadt Geiselgasteig gedreht wird und der, wenn es nach Regisseur Marvin J. Chomsky geht, »ebenso eindrucksvoll wie ''Holocaust''« sein wird.
Chomsky machte aus den Memoiren des Rüstungsministers, Architekten und Führer-Günstlings Albert Speer eine fünfstündige Fernsehserie.
Acht Millionen Dollar läßt sich der amerikanische Medienriese ABC sein »Inside the Third Reich« kosten. Das ist der englische Titel von Speers »Erinnerungen« und läßt sich am besten mit »Hinter den Kulissen des Dritten Reichs« übersetzen.
In den Bavaria-Hallen 1, 4 und 5 gestalteten Oscar-Preisträger ("Cabaret") Rolf Zehetbauer und Herbert Strabel penibel Nazi-Kulissen nach - neben Hitlers Arbeitszimmer und Teilen der Reichskanzlei etwa einen Krankenhaus-Komplex oder des Führers Feldquartier Wolfsschanze.
Als sei es Geheime Reichssache, so dicht schottete ABC das Projekt ab. Nicht einmal die Hausherren wußten, was genau in ihren Hallen vorging, ein Bavaria-Sprecher munkelte gar von einem »Fast-Sprechverbot für die Stars«. Fernsehcrews wurden vergrault, Reportern wurde fast routinemäßig die Entfernung vom Drehort angedroht.
In drei Monaten hetzte das Team durch mehr als hundert Dekorationen und Schauplätze - vom Englischen Garten zum Haus der Kunst, fürs Dokumentarische nach Nürnberg und nach Miesbach, Oberbayern, in die Idylle.
Der Holländer Rutger Hauer spielt Albert Speer, Elke Sommer die Goebbels-Ehefrau Magda. In den Kulissen des Dritten Reiches agieren Robert Vaughn ("Solo für O.N.C.E.L.") als Generalfeldmarschall und Speer-Freund Erich Milch, Maria Schell und Sir John Gielgud als Speer-Eltern, der Amerikaner Mort Sahl als Kabarettist Werner Finck und Derek Jacobi als Adolf Hitler.
»Tagelang«, »seit 1977 immer wieder« hat Drehbuch-Autor und Produzent E. Jack Neuman Albert Speer auf der Terrasse von dessen Heidelberger Villa »ins Kreuzverhör« genommen. Zum letzten geplanten Plausch kam es nicht mehr: Drei Tage vor Speers Tod in London am 1. September vergangenen Jahres verhinderte schlechtes Wetter den Treff.
Damit die Serie, die das US-Fernsehen im Frühsommer nationwide ausstrahlen will, ähnlich schwer einschlägt wie die Vorbilder »Roots« und »Holocaust«, verpflichtete ABC mit Chomsky eben den Regisseur, der »Roots« und »Holocaust« gedreht hat.
Aus der Fernseh-Serie will Paramount anschließend eine Filmfassung zusammenschneiden und vertreiben, worldwide.
Es wird ein Griff ins volle Nazi-Leben, mit Kitsch, Klischees und dramatischer Aktion zuhauf. »Inside«-Drehbuch, Einstellung 221; Hitler hat gerade wohlwollend die Vorschläge des jungen Speer für den Nürnberger Reichsparteitag studiert. Da flippt im Vorzimmer auch schon der eifersüchtige Rudolf Heß aus:
Heß: »Was ist Adolf Hitler« - Speer: »Eh ...?« - »Was ist er? Was ist Adolf Hitler, Speer?« - Speer: »Na ja, Reichskanzler halt« - Heß: »Führer! Führer! Führer! Adolf Hitler ist Ihr Führer! Immer und in allem, ist das klar?«
So schnell kommt der Kulissen-Film zur Sache, daß sich schon beim ersten Auftritt Propagandaminister Joseph Goebbels, unter schnöder Zurücklassung Elke-Magdas auf dem Diwan, an die nächstbeste hübsche Brünette wirft, immer mit Grandezza.
Magda wiederum, wenn sie nicht gerade mit dem schmucken Speer Tapeten aussucht, entzündet sich in Flirts mit dem Speer-Förderer und Goebbels-Vorzimmerlöwen Karl Hanke. Und niemand anders als der sensible Speer ist sofort zur Stelle, wenn Hitler-Geliebte Eva Braun beim Ausflug in die Bergwelt, abseits der Picknick-Party mit dem Führer, am Alpenbach einen Hauch von Weltschmerz spürt. Eva: »Sie wirken auch aus der Nähe wie von fern.«
Oder - auch das ein süffiges Klischee zum Thema Umgangston im Dritten Reich - der Speer-Satz: »Ich werde nicht S.149 zögern, den Reichsmarschall zu bitten, Sie erschießen zu lassen.«
Nun sind historische Fehler - Speer durfte nicht für einen Reichsparteitag, sondern für eine Feier zum 1. Mai seine erste Massenveranstaltung inszenieren - in Spielfilmen und Fernsehserien zum Dritten Reich so üblich wie etwa falsche oder gar Phantasieuniformen.
Gewiß auch zwingt die Filmdramaturgie zur historisch oftmals unzulässigen Verknappung - gelegentlich sogar zum Nutzen des Publikums. So entwirft Drehbuchautor Neuman eine Szene, die in gedrängter Form deutlich macht, wie die beutegierigen und verfeindeten Hitler-Paladine Goebbels, Göring, Heß und Bormann ätzend wie mittlere Manager den Führerliebling Speer gemeinsam demütigen. Goebbels: »Um den Führer gibt es einen inneren und einen äußeren Kreis. Ihnen wird im inneren Kreis keiner Platz machen.«
Was jedoch - Kitsch hin, Klischee her - die Mammut-Serie fragwürdiger noch als »Holocaust« (dessen Hauptfiguren fiktiv waren) zu machen droht, ist dies: Spätestens, wenn Speers Taten einem Millionenpublikum per Leinwand und Bildschirm konsumgerecht vorgeführt werden, hat der Großarchitekt des Führers posthum erreicht, was er kühl und beharrlich ansteuerte, seit er 1966 aus Spandau entlassen wurde: einen endgültigen Platz in der Weltgeschichte als »feinsinniger Schuldig-Unschuldiger« (Alexander Mitscherlich), gekoppelt mit dem Rang der letzten und höchsten Instanz in Sachen Moral und Drittes Reich.
Endgültig festgeschrieben ist dann Speers eigene Legende, die ihm der Historiker Joachim C. Fest erst so recht griffig auszuformulieren ermöglichte, indem er Speer Schreibhilfe bei seinen »Erinnerungen« gab (auf die sich Fest später in seiner Hitler-Biographie wiederum bezog).
Sei es in »Playboy«-Interviews, sei es in seinen Büchern: Wirkungsvoll wie einst die Lichtdome auf den Reichsparteitagen inszenierte Speer die Legende vom Technokraten Albert, der nur grandiose Bauten errichten wollte und darüber jeden Gedanken zum Charakter des Regimes versäumte.
Es war das Dilemma des Drehbuchautors E. Jack Neuman, daß er diese Sichtweise übernehmen mußte, wollte er filmische Spannung ins Speer-Leben bringen.
Zwei amerikanische Filmgesellschaften und eine englische, sagt Neuman, hatten sich Optionen für die Speer-Memoiren gesichert. Alle gaben auf. Neuman: »Das Buch lag auf dem Markt wie Fallobst.«
Denn der menschenscheue Zahlenfetischist Speer hatte in seinen »Erinnerungen« alle innere Gespaltenheit, all jenes Menschlich-Allzumenschliche, alle Seelen-Dramen vermissen lassen, die eine Personality-Story in Hollywood braucht.
Neuman behalf sich mit einem Trick: Für innere Konflikte mußte Speers Ehefrau Margarete (Blythe Danner) herhalten. Neuman stilisiert sie zur Verkörperung dessen, was Speer nie recht zu erkennen gab: Gewissensnöte. Margarete zu Albert, Einstellung 243: »Nein, versuch'' nicht wieder, mich in die Arme zu nehmen. Und mir zu erzählen, es wäre alles bloß Propaganda.«
Oder, vor der Regieanweisung »Leise weinend« dann der Satz: »Nie mehr werden wir uns einfach anlächeln, miteinander Musik hören, einfach nur Liebende sein können« - gesprochen nach der Bücherverbrennung im Mai 1933: die Tyrannei des Dritten Reiches als Ehekrise.
Nur irritiert und eher unangenehm berührt läßt Neuman seinen Speer-Darsteller S.151 nach der Reichskristallnacht 1938 sich in einer von Scherben übersäten Straße bewegen. Und geradezu zur »Tunnelvision« (Neuman) soll Speer-Hauers Blick nach Neumans Vorstellung schrumpfen, wenn er, Ehefrau Margarete im offenen Cabrio neben sich, an einem provisorischen Lager vorbeirauscht.
Ein naiver Nur-Technologe ist der Karrierepolitiker Speer nie gewesen. Der Berliner Geschichtswissenschaftler Matthias Schmidt etwa weist anhand neuer Dokumente nach, daß die Speer-Forschung bisher ein arg geschöntes Bild malte.
Das Fazit seiner demnächst erscheinenden Untersuchung: Hitlers Großbaumeister war nicht bloß gigantomanischverblendeter Kunst-Ehrgeizling, sondern in erster Linie ein Machtpolitiker, der bedenkenlos Intrigen zu spinnen verstand. Und zum Holocaust, so Schmidts These, herrschte beim Rüstungsminister wesentlich mehr Klarheit, als selbst die Speer-Kritiker bislang annahmen.
Dem wahren Speer am nächsten kommt der Film in einer Szene mit Zwangsarbeitern. Der Rüstungsminister, hier an der Baustelle für die Geheimwaffe V 2, fordert von den Lagerverwaltern bessere Unterkunft, Nahrung und Kleidung für seine Sklaven. Auf den Satz: »Ihr Mitgefühl überrascht mich«, antwortet Albert Speer: »Kranke und Sterbende produzieren mir zuwenig, und was mein Mitgefühl angeht, so gilt das nur meinen Produktionsziffern.«
Der Zwang zum verkäuflichen Kitsch aber bewirkt, daß Autor und Produzent Neuman dann doch immer wieder einen Weichzeichner über die Kunstfigur Speers legen muß.
Was dem »skrupellosen, opportunistischen Macher«, erkannte Neuman nach langen Recherchen, zu seiner Karriere verhalf, war Speers Fähigkeit, »in jedem Moment genau zu spüren, was andere von ihm erwarteten - und das sagte er dann«.
So legte er sich bei den Nürnberger Prozessen in die Bekennerpose, so kokettierte er später mit Neuman auf der Terrasse seines Heidelberger Hauses - sei es als vom Schaffensdrang Besessener, als Bekenner, manchmal als Kollege aus dem Show-Business.
Durchaus mit Erfolg. Produzent Neuman inszeniert auf dem »Bavaria«-Gelände ein Werk, das dem Großmeister der Licht-Effekte Speer gefallen hätte.
S.148Hitler-Darsteller Derek Jacobi, Elke Sommer und Ian Holm als EhepaarGoebbels.*