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AUSSTELLUNGEN Ein Hund und andere Künstler

Die Kunst-Biennale von Venedig ist unterhaltsamer als die letzte Documenta: Der Klagegesang über die Schlechtigkeit der Welt wird durch viele kuriose Show-Einlagen gemildert.
aus DER SPIEGEL 25/2003

Skandal? Diskriminierung? Wer auf dieser Weltausstellung der Kunst die Schau von Santiago Sierra besichtigen will, muss einen spanischen Pass vorlegen können. Zwei Wachleute in Uniformen und mit Sonnenbrillen kontrollieren unerbittlich die Papiere. Auch Hinweise auf den besonderen Rang im Kunstbetrieb ("Wir kommen aber von der Guggenheim Sammlung aus New York") beeindrucken sie nicht. Und deshalb musste John Wadsworth, Vorstandsmitglied der mächtigen Guggenheim-Museumsstiftung, wieder abziehen. Er ist nun mal kein Spanier.

Wadsworth ("Das ist mir ja noch nie passiert") war von so viel Dreistigkeit trotzdem begeistert. Zumal Sierra, 36, ein gebürtiger Spanier mit Wohnsitz in Mexiko, diese Abfuhr an einem auserwählten Ort zelebriert - auf der Biennale von Venedig, dem ältesten und berühmtesten aller weltweiten Kunstspektakel, und zwar im spanischen Ausstellungspavillon.

Die 50. Ausgabe der Traditionsschau wurde vergangenes Wochenende eröffnet*.

62 Länder feiern bis Anfang November ihre jeweilige Kunstelite. Dazu kommen diverse Begleitausstellungen.

Vor allem der Wettstreit der Nationen lockt alle zwei Jahre Hunderttausende Besucher an. In diesem Jahr reist sogar die norwegische Königin an. Hoffentlich hat sie einen spanischen Ausweis in petto.

Der spanische Provokateur Sierra treibt schon seit Jahren sein Unwesen, begleitet vom Lob der Feuilletons - etwa als er in Berlin Asylbewerber stundenlang in Pappkartons ausharren ließ oder auf Mallorca ein Transparent mit dem knackigen Spruch »Inländer raus« aufhängte.

In Venedig sehen die paar Auserwählten mit dem spanischen Pass am Ende nichts als leere Räume. Das eigentliche Ereignis fand dort schon Wochen vor der Biennale-Eröffnung statt: Eine Frau saß eine Stunde lang still in der Ecke.

Was für ein Bluff. Trotzdem wollten bei der Eröffnung etliche Neugierige diese Kunstverweigerung besichtigen. Sierra hat zumindest beim Wettkampf um Aufmerksamkeit einen Punktsieg errungen - das ist als ironischer Aktionskommentar zum Kunstbetrieb allemal unterhaltsamer als der hehre Documenta-Versuch 2002, eine postkoloniale Ästhetik auszurufen.

Venedig liegen solche Weltverbesserungsallüren fern. Zur melancholischen Dekadenz der Lagunenstadt passt besser die resignative Einsicht, dass die Welt heute kurioserweise immer noch so schlecht ist, wie sie gestern war. Erstaunlich oft ist von »benachteiligten Minderheiten«, von schrecklicher »Unterdrückung« und quälender »Migration« die Rede. Was die Künstler nicht hindert, auf publikumswirksame Show-Einlagen zu setzen.

Dabei hadern die Niederländer besonders demonstrativ mit dem biennaletypischen Nationalstolz: Sie haben sich ein paar ausländische Künstler zur Verstärkung angelacht. Die Spanierin Alicia Framis inszeniert für sie eine glamouröse Modenschau mit kugelsicheren Roben und Dessous. Und Meschac Gaba, ein Künstler aus Benin, schenkt ein selbst gebrautes Getränk aus - Afrika, sagt man, ist arm, aber gastfreundlich. Doch Vorsicht: Die gelbliche Limonade wurde mit Wodka versetzt. Der Brummschädel am nächsten Tag ist wohl Teil des Kunstprogramms.

Einer der einfallsreichsten Moralapostel der Biennale ist der amerikanische Bildhauer Fred Wilson, 49. Seine bizarre Rauminszenierung huldigt kritisch einer Ikone des alteuropäischen Rassismus - dem dienstbaren und dekorativen »Mohren«, den europäische Fürstenhöfe einst gern importierten. Wilsons kleine livrierte Gestalten sind, weil Rassismus ja zeitlos ist, auch schon mal an moderne Feuerlöscher gefesselt.

An die Wunde Schwarzafrika erinnern auch die Briten. Sie kürten einen Maler nigerianischer Abstammung zu ihrem Pavillonhelden: Chris Ofili, 34. Er verfremdete die Fahne des ehemaligen Empires, den Union Jack, mit den Farben Rot, Schwarz und Grün - so sollte einst eine panafrikanische Flagge aussehen. Er fühle sich ja als Brite, sagt Ofili, »aber warum sollte man aus dem Union Jack nicht einen Union Black machen dürfen?« Sein eigenes Markenzeichen hat Ofili wie gewohnt in Szene gesetzt: psychedelisch bunte Bilder, dekoriert mit Klumpen aus Elefantendung.

Commonwealth-Kunst anderer Art bieten die Kanadier: Sie ließen die Künstlerin Jana Sterbak eine spezielle Ausrüstung entwickeln, die es ihr ermöglichte, einen kleinen Hund als Kamera-Mann durch die winterlichen Weiten des Landes zu schicken. Das Ergebnis ist ein Film aus lauter wackeligen Landschaftsimpressionen.

Und die deutsche Niederlassung? Sie bietet die bekannt sachlichen Aufnahmen von Candida Höfer, 58. Höfer fotografiert am liebsten imposante und menschenleere Innenräume. Von Recklinghausen bis zum amerikanischen New Haven.

Im pompösen Mittelsaal wird das Rundum-Genie Martin Kippenberger (1953 bis 1997) geehrt - mit einem dunklen, rechteckigen Lüftungsschacht im Boden. Kippenberger hat von einer märchenhaften Metro-Strecke geträumt: Man steigt an einem Ende der Welt ein, am anderen wieder aus. Vier fiktive U-Bahn-Eingänge ließ er noch bauen, in Kanada, Griechenland, Leipzig und Kassel. Und weil zu einer U-Bahn auch Lüftungsschächte gehören, entwarf er die seinerzeit gleich mit.

Francesco Bonami, 47, Museumskurator aus Chicago, ist zwar der Leiter dieser Biennale, aber auf die Länderpavillons hat er keinen Einfluss. Das kompensiert er durch eine Fülle von Zusatzveranstaltungen: nicht weniger als elf Ausstellungen mit mehr als 300 Künstlern.

»Zeitgenössische arabische Kunst« wird berücksichtigt, auch Asien fehlt nicht. Sogar Wales, als Kunstregion von den Briten vernachlässigt, wird gewürdigt. Ein lateinamerikanischer Künstler durfte eine eigene internationale Truppe aus jungen Kollegen zusammenstellen; Damián Ortega hat sich an einem frühen Exportschlager aus Deutschland vergriffen und einen alten VW-Käfer zerlegt. Nun schweben die Teile wie ein surreales Denkmal in der Luft. Gleich nebenan, in einer Schau namens »Utopia Station«, lernt ein Affe das Buchstabieren.

Noch auf den letzten Drücker hat Bonami eine Gemäldeschau eingerichtet, denn das derzeit so gefeierte Comeback der Malerei wollte er auf keinen Fall verpassen. Allerdings zeigt er vor allem das Maler-Establishment der sechziger und siebziger Jahre, nicht die Jungen dieser Tage.

Jeder irgendwie angesagte Kunsttrend dieser Welt, selbst die meist in schlecht gelüfteten Kabinen vorgeführte, hier nur noch spärlich präsentierte Videokunst, darf auftreten - Globalisierung light. Wer Bonami vorwirft, er wage keine klare These, vergisst die elf Mitkuratoren, die er sich holte. Sie sind seine Rückversicherung.

Wie war das noch mit der Fabel von den Kartografen, die ein Reich so exakt abbildeten, dass die Karte genauso groß ausfiel wie das Reich selbst? Bonami hat sie wohl missverstanden und als Rezept zur Spiegelung des etablierten Kunstbetriebs benutzt. Immerhin bietet er viel gehobenes Entertainment, zum Beispiel durch die Verpflichtung des italienischen Ulk-Künstlers Maurizio Cattelan, der ein Dreirad mit seinem Doppelgänger übers Gelände schickt.

Das Publikum indes darf noch einige Zeit über den Untertitel dieser Biennale rätseln: »Die Diktatur des Betrachters«. Die Diktatur des Überangebots lässt dem Betrachter kaum die Chance, Macht über irgendwelche Bilderwelten zu genießen. Wer den gesamten Parcours absolvieren will, braucht mehrere Tage und eine gute Kondition.

»Man muss ja nicht alles sehen«, tröstet Kasper König, der Museumsmann aus Köln, der den österreichischen Pavillon betreut. Dort überrascht er mit einem bedrückend originellen Außenseiter: dem Österreicher Bruno Gironcoli, 66, der klobige Skulpturen konstruiert, die wie bedrohliche Maschinen, wie phantastische Labore des Wahnsinns aussehen. Gironcolis Aussage: Die Maschinen sind dem Menschen längst über den Kopf gewachsen.

Darin steckt auch eine Metapher für die dröhnende Maschinerie des überbordenden Biennale-Zirkus. ULRIKE KNÖFEL

* Der Katalog in englischer und italienischer Sprache kostet 60Euro (im Buchhandel 70 Euro).

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