»Ein letztes Aufbäumen«
SPIEGEL: Herr Bachmann, Sie sind seit vergangenem Herbst einer der jüngsten Schauspielchefs im deutschsprachigen Raum. Spüren Sie Gegenwind aus der konservativen Ecke?
Bachmann: Nicht mehr als erwartet - weil das natürlich dazugehört, wenn eine junge Truppe ein Haus wie das Theater Basel übernimmt. Da wirft man uns dann halt vor, daß wir nur mißglückte Inszenierungen auf die Bühne bringen und »Verpackungsdramaturgie« oder »Gagaismus« betreiben - was immer das heißt.
SPIEGEL: Nehmen Sie eine allgemeine Roll-Back-Stimmung unter Kritikern und Kulturpolitikern wahr?
Bachmann: Der Trend dazu ist im Augenblick nicht zu übersehen. Die Frage ist, ob das nicht bloß ein letztes Aufbäumen ist oder ob sich da tatsächlich ein konservativer Geist breitmacht, der in den nächsten Jahren die Kulturpolitik bestimmen wird.
SPIEGEL: Ist die Auswahl zum diesjährigen Berliner Theatertreffen, die keine Ihrer Basler Produktionen berücksichtigt, ein Signal in diese Richtung?
Bachmann: Wir haben ja gerade erst angefangen. Außerdem kenne ich die meisten Aufführungen nicht, und schon deshalb werden Sie von mir keine Schelte vorab hören. Ob sich auch in Berlin eine Sehnsucht nach dem sogenannten guten alten Erzähltheater manifestiert, kann man erst hinterher beurteilen.
SPIEGEL: Fühlen Sie sich überhaupt als Neuerer?
Bachmann: Als wir vor ein paar Jahren in Berlin mit dem freien »Theater Affekt« antraten, bezeichneten wir uns selbst ein bißchen witzelnd als »neokonservative Generation« - weil wir uns von dem Zertrümmerungstheater etwa an Castorfs Volksbühne absetzen wollten. Es ging uns darum, die Geschichten eher wieder zusammenzusetzen, sie dabei aber in einer heutigen Sprache zu erzählen.
SPIEGEL: Hat sich Ihre Haltung verändert?
Bachmann: Ich stelle bei meinen eigenen Arbeiten fest, daß ich im Augenblick gar keine Lust habe, Gags oder Modernismen einzufügen. Statt dessen interessiert mich das Spiel mit Genres. So habe ich das 68er-Stück »Magic Afternoon« über den Aufruhr junger Menschen ganz und gar konventionell inszeniert und nur dadurch verändert, daß ich die Rollen statt mit 20- bis 30jährigen mit lauter Schauspielern besetzt habe, die 1968 in diesem Alter waren. Im Augenblick arbeite ich an einem Musical aus dem Jahr 1927, »Strike up the Band« von George Gershwin, einem Stoff, der schon von Haus aus so witzig ist, daß man da nichts hinzutun muß.
SPIEGEL: Kann man von Ihnen nicht ein wenig größere Würfe erwarten?
Bachmann: Ich habe den Eindruck, daß es vielen Theaterkritikern stärker als noch vor ein paar Jahren darum geht, ihre theater- und kulturpolitischen Meinungen zu verbreiten. Vor der Urteilsverkündung müßte aber erst mal eine genaue Beschreibung dessen stattfinden, was auf der Bühne zu sehen ist - nur ist das leider aus der Mode gekommen. Auf diese Weise ermöglicht man es dem Leser der Kritiken kaum mehr, sich selber ein Bild zu machen, sondern unterteilt die Theaterwelt in jung und alt, gut und böse.
SPIEGEL: Machen Sie junges Theater?
Bachmann: So kann man sich gar nicht definieren, nicht in einer Stadt wie Basel, wo ein eher bürgerliches Publikum ins Theater geht. Im übrigen sind auch die Erwartungen junger Zuschauer ans Theater oft ziemlich konservativ.
SPIEGEL: Ist also junges Theater gleichbedeutend mit jenem Theater, das von jungen Regisseuren gemacht wird?
Bachmann: Nach meinem Empfinden gibt es unter den jungen Regisseuren wie Thomas Ostermeier, Stefan Pucher, Andreas Kriegenburg, mir und anderen eine unausgesprochene Gemeinsamkeit im Blick aufs Theater, die auf einem gemeinsamen Erfahrungshintergrund und gemeinsamen Interessen beruht - bei aller Konkurrenz und bei allen ästhetischen und inhaltlichen Unterschieden. Mit dieser unausgesprochenen Übereinstimmung hat es zu tun, daß in unserem Spielplan für die nächste Saison fast nur noch Regisseure auftauchen, die um die 30 sind.
SPIEGEL: Ist die unsanfte Verabschiedung des Bochumer Intendanten Leander Haußmann, der einst als jüngster Theaterchef Deutschlands gefeiert wurde, ein symbolischer Angriff auf Ihre Generation?
Bachmann: Haußmann hat, glaube ich, stellvertretend für uns alle den Kopf hingehalten. Er war der Vorreiter, und natürlich hat er Fehler gemacht - und wir müssen ihm dafür dankbar sein, daß wir jetzt aus seinen Fehlern lernen können: zum Beispiel, daß man nicht auf jeden Angriff der Kritik mit einem Gegenangriff antworten muß, weil das unnötigen Verschleiß in der künstlerischen Arbeit zur Folge hat.
SPIEGEL: Gibt es Angriffe, bei denen auch Sie sich zu Gegenattacken herausgefordert fühlen?
Bachmann: Für mich war die Grenze erreicht mit dem Nachruf auf die junge britische Dramatikerin Sarah Kane in der »FAZ«. Wenn man einer so bedeutenden Autorin noch ins Grab hinterherspuckt und die Leute, die sie gefördert haben, für ihren Selbstmord mitverantwortlich macht - das ist für mich so übel, so jenseits, da wird mir wirklich schlecht.
INTERVIEW: WOLFGANG HÖBEL