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Jürgen Hohmeyer über Gerhard Bott: "Das Museum der Zukunft" EIN MINDERER MOLOCH?

Dr. Jürgen Hohmeyer, 34, ist Redakteur für Kunst im Kultur-Ressort des SPIEGEL.
aus DER SPIEGEL 53/1970

Der Krakauer Museumsdirektor Jerzy Banach empfindet, wenn er auf Kollegen trifft, eine Art von besonderer Genugtuung«; ihm wird dann »besonders klar, daß die Generation, welcher ich angehöre, die Museumsprobleme weit vorangetrieben hat«. 0 ja, bis an die Sterne weit.

So weit nämlich, daß nun das Museum einigermaßen allen problematisch geworden ist, denen es überhaupt noch in den Gesichtskreis reicht. Gerhard Bott, Chef im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, brauchte dieses Problembewußtsein nur anzuzapfen, als er seinem 100jährigen Haus eine unkonventionelle Festschrift verschaffen wollte: 43 Museumsleute, Künstler und Kulturpolitiker schrieben ihm prompt einschlägige Zweifel, Apologien und Zukunftsträume auf.

Kein Zweifel, der Erbauungstempel einer privilegierten Bildungsschicht ist brüchig geworden, in extremer Sicht »tot und tötend«, ein »Moloch, wenn auch minderer Bedeutung« (Ulf Martens). Denn wie tröstlich steigende Besucherzahlen am Sonntagvormittag (Kirchgang-Ersatz) für manchen sein mögen: als »Dienstleistungsbetrieb öffentlicher Bildungsarbeit« -- wie Stephan Waetzoldt, sinngemäß für viele, die Bestimmung des Museums formuliert -- versagt das ehrwürdige Institut Tag für Tag. Zu wenige Besucher werden zu oberflächlich informiert.

Zaghafte Verbesserungen sind im Gang, gewiß. Doch schon ein so plausibles, gar nicht mehr zu beredendes Desiderat wie die Öffnung In den Abendstunden (man stelle sich vor, Theater und Fernsehanstalten würden nur zur Bürozeit spielen!) scheitert am Stellenplan.

Einmal vielleicht in aufwendigen Neubauten installiert, pflegen die Museen dann auf der »Schattenseite der Kultur- und Bildungspolitik« (Waetzoldt) zurückzubleiben, hoffnungslos unterdotiert und unterbesetzt -- In absurdem Mißverhältnis etwa zu den Opernhäusern, »die unstreitig weniger zu einer Kultur der Gegenwart beizutragen haben, aber natürlich mehr Glamour abgeben.

Spätestens bei Eingrenzung der Diskussion auf das Kunstmuseum (Carlo Schmid: »Die erlauchteste Art") kommen hinter den vordergründigen materiellen Schwierigkeiten weitere, immanente zum Vorschein; Ihr Kern ist das Dilemma von historischem und aktuellem Auftrag.

Daß »das moderne Museum ganz offen zur Gegenwart hin« sein müsse, ist selbst einem so gebremsten Avantgardisten wie Werner Haftmann geläufig. Wie wohl anders? Historische Betrachtung, auch Kunstbetrachtung, die den Blick auf die Gegenwart prinzipiell vermeidet, hebt sich selber auf.

Umgekehrt ist Bilder- und Museumsstürmern aus der Nachfolge der Futuristen ("Brennt den Louvre ab!") soviel entgegenzuhalten: Der visuelle Fundus der Geschichte muß bewahrt und zugänglich bleiben; das Verständnis der Gegenwart auf dem Umweg über die Historie, gleich dem Museum eine Eroberung des 19. Jahrhunderts, ist nicht rückgängig zu machen, allenfalls zu verdrängen.

Mit den Futuristen war freilich noch leicht ins reine zu kommen: Sie revoltierten in Manifesten und malten dazu Bilder, die heute längst in den Museen hängen. Marcel Duchamp hingegen begann Flaschentrockner und Pissoirbecken zu Installieren -- eine »Antikunst«, die Im Museum nicht durch schöne Vollkommenheit wirkt, sondern (Haftmann nennt das »parasitär") durch den Kontrast. Mit Filz und Fett, mit Land Art und Concept Art, mit Environments und Aktionen stiften heutige Künstler noch mehr Verwirrung.

Gegen so befremdliche Erscheinungen verschanzt sich Haftmann hinter einem sonderbaren Naturrecht: »Aus seiner Natur« habe das Museum nur mit »Ergebnissen und Werken« zu schaffen, nicht aber mit »Prozessen«. Kunst, die sich diesem Anspruch verweigert, ist offenbar unseriös und hat draußen zu bleiben.

Darauf ist mit Wieland Schmied zu erwidern, daß es gerade ein Wertkriterium sein kann, wie weit mit einem künstlerischen Entwurf »unser Verständnis der Kunst In Frage gestellt und zugleich erweitert wird«. Ein Museum, das solche Erweiterungen Ignoriert oder im hergebrachten Rahmen bloß beerdigt, wird selbst museal.

Schmied weiter: »Die eigentliche Herausforderung ... aber liegt darin, daß die Kunst sich dem Museum wie den eiligen Umarmungen einer allzu aufnahmebereiten Gesellschaft entziehen will.«

Bei Annahme dieser Herausforderung, in der Bemühung, gerade solche Künstler einzuholen, die mit Fleiß produzieren, was nicht ins Museum geht, müßte sich das Museum, den nötigen technischen und personellen Apparat vorausgesetzt, tiefgreifend verändern.

Es würde nicht nur ganz nebenbei Haftmanns Antithese »Museum -- Ausstellungsunternehmen« aufweichen. Es würde, durch Mitarbeit der Künstler, das Publikum stärker bewegen. Das Museum würde allerdings, wohl und übel, auch kräftig politisiert und dadurch zwischen den Künstlern, die (nach Jean Leering) »feindlich der Obrigkeit« gesonnen sind, und eben dieser geldspendenden Obrigkeit ins Gedränge geraten. Es würde ferner, da sich viele neue Künstler-Aktivitäten nur noch mittels Photo, Film und Tonband konservieren lassen, mehr und mehr das »Charisma des Originalen« (Carlo Schmid) verdunkeln und so auch in den historischen Abteilungen die Präsentation von nicht-originalem, ja nicht-künstlerischem Vergleichs- und Hilfsmaterial erleichtern. In der Fluchtlinie dieser Tendenz liegt endlich ein »Gesamtmuseum« (Paulgerd Jesberg) in dem das »Schisma von Wissenschaft und Kunst« (Harald Deilmann) überwunden wird.

Wenn also die »Zukunft des Museums« davon abhinge, daß es recht »viele Leute gibt, die sich Gedanken machen über das Versagen des Museums in der Gegenwart« (Hugh Wakefield), dann allerdings wäre Grund zur Zuversicht. Doch es sind zumeist Gedanken aus dem ohnmächtigen inneren Zirkel.

Ob das Museum tatsächlich seine Chance bekommen oder aber an der Grenze des Existenzminimums weiter sich selber konservieren soll, wird in erster Instanz von den Verwaltungen und Parlamenten entschieden. Und daß auch ihnen das Museum einen Gedanken wert ist -- das wäre in den meisten Fällen noch zu beweisen.

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