EIN PROBLEM DER UMWELTVERSCHMUTZUNG?
Wenn er auftritt, läßt er Blut und andere Leibessäfte spritzen, und deshalb hat der Wiener Künstler Otto Muehl, 45, so wenig Freunde auf der Welt.
Seine treuesten Feinde sind die Staatsanwälte, doch auch einfache Menschen nehmen eifrig Anstoß an den Muehlschen »Materialaktionen«; zuweilen stimmen selbst Minister in die Entrüstungs-Ritornelle ein.
Als er, etwa, zum letzten Weihnachtsfest in Braunschweig ein Schwein abschlachten ließ und das Tier nebst mitspielendem Mädchen dann noch notdürftig besudelt hatte, erbebte das gesunde Volksempfinden und wünschte dem Muehl KZ und Kastration; Minister Genscher gelobte, Muehl-Taten »zu unterbinden«.
Otto ist, kein Zweifel, der Größte seiner Klasse und ein Greuel für die Rechten ("linker Exkremist") wie die Linken ("sadomasochistischer Bourgeois"). Aber selbst Pornophilen wird er zuviel: Eine für die Offenbacher Sexmesse gedachte Aktion mußte er in eine Privatgalerie verlegen. Sie zeigte damals einen maßvollen Muehl:
Inmitten des Raumes war eine Art Katafalk errichtet; nackt wie gewohnt, die Stimmung durch etwas Hasch-Genuß gehoben, trat Muehl in die Arena, gefolgt von zwei knackigen, nackigen Fräuleins, deren eines eine matte Gans im Arme trug.
Einer Einkaufstasche entnahm Muehl sodann eine Plastiktüte mit Gedärm, eine Bierflasche voll Rinderblut, ein Metzgermesser, einen Riemen, einen Kunst-Phall und ein Nudelholz; und während die Fräuleins, antikem Vorbild folgend, mit dem Vogel kosten, begann Muehl eine sexualanarchistische Frankensteinerei.
Otto züchtigte die Mädchen, ließ sie Phall und Nudelholz-Griff fühlen, bekleckerte sie mit dem Mitgebrachten und griff schließlich nach der Gans: Düster wie ein Heidenpriester köpfte er das Vieh mit Andacht, schwang den sprudelnden, flatternden Kadaver und wälzte sich dann mit den Seinen orgiastisch und platschend im Blute.
Was denkt dieser Muehl sich eigentlich? »Koitus, Folterungen, Vernichtung von Menschen und Tieren sind das einzige sehenswerte Theater«, hatte er trompetet. Beim jüngsten Auftritt, während der Kölner Happening-Retrospektive, ließ Otto Muehl den Kunst-Vorbehalt fallen: »Um eine 2000jährige Geisteskrankheit rückgängig zu machen«, müsse er »das Äußerste an sexueller Schweinerei zeigen«.
Wieder hantierte er mit den knackigen Fräuleins, mit Federvieh, Riemen und Nudelholz, doch nun vergurgelte die Aktion (Titel: »Der geile Wotan") als debiler, nachtmahrischer Selbstvernichtungs-Koller; da gingen selbst Otto-Manen betreten hinweg.
Hat er wieder Hemd und Hose an, ist der Unhold aus der Ostmark ein urgemütliches Haus. Aus den Schlitzaugen im tiefgekerbten Antlitz dringt Treuherzigkeit; väterlich sorgt er, nachher beim Bier, für seine jungen Partnerinnen.
Sie sind Glieder seiner Wiener Kommune. Mica, 23, kommt aus »sehr feinem Haus« und hat ein abgebrochenes Sportstudium hinter sich; Elke, 22, unvollendetes Pädagogik-Studium, entlief beengten Familienbanden. Ihr linker Eckzahn dringt vampirisch vor.
Auch Muehl, Sproß eines burgenländischen Volksschullehrers, hat ein bürgerliches Plusquamperfekt. Im Krieg hatte er es zum Leutnant und zum EK II gebracht, nachher war er österreichischer Mittelschulprofessor; die Ehe mit einer Volksschullehrerin ist mittlerweile geschieden.
Den Ruf der Wildnis vernahm er Anfang der sechziger Jahre in Form von Destruktionslust: Er zerschnitt ein Bild, an dem er gerade pinselte, zerhackte den Rahmen und trampelte darauf herum; das war seine erste Materialaktion, und damit »hatte ich auch den Mitteischullehrer in mir zerdroschen«.
Mit den Wiener Aktionisten Brus und Nitsch entwickelte Muehl dann eine spezielle Spielart des Happening: satanische Messen, groteske Enthemmungs- und Abreaktions-Bacchanale in denen das fälschlich Schwein genannte Unter-Ich die Kultur-Kutten abwarf und seinen Trieben freien Lauf ließ -- Revanche für Repression.
Wie's da drunten aussieht, hatte Muehl bei de Sade und Freud gelesen. Während der Kompagnon Nitsch als religiöser Lamm-Zerreißer eigene Abwege ging, widmete sich Muehl zunehmend den Katakomben des Sexuellen und Analen.
Malerei habe, nach Freud, ihren Ursprung im Kotschmieren. Mit Fäkal-Aktionen, sagt Muehl, führe er die Malerei auf ihre Ursprünglichkeit zurück: »Ich scheiße direkt.« Und auf dem Sexual-Sektor will er, Leser des Wilhelm Reich, die »Dämonisierung abbauen«. Also: »Ich arbeite mit dem Nudelholz.«
»Zur Sexualität«, sagt Muehl, »gehört natürlich auch das Morden.« Haustiere dienen ihm als Notbehelf. Demnächst will er, im LSD-Rausch, einen »perfekten Lustmord« verüben, »mit einer Ziege, die ich als Frau anerkenne«.
Dann sagt der Gemütsmensch: »Meine Aktionen sind kein Protest, sondern ein pures Freudenfest.« Hoch auf dem Katafalk, nämlich, durchfährt den Muehl das »tollste Glücksgefühl": »Daß Ich vollkommen ich bin.« Und diesen Zug zur Ego-Vergottung hat er vom Anarchisten Max Stirner.
Dieser Mann, dem schon Wagner, Heidegger und Dietrich Eckart ungesellige Ansichten verdankten ("Mir geht nichts über Mich"), gibt dem Aktionisten Kraft zur Selbstausstellung. Gleichzeitig, freilich, ist man auch einer, der hinwegnimmt die Sünden der Welt, indem man sie begeht.
So zwischen Gral und Phall, also, ist das Muchische Lebenswerk errichtet. Doch daheim mag er kein Nimrod sein. Eine Gans etwa für den Hausgebrauch zu köpfen, will ihm nicht gelingen, und Tiere fürs Schlachten zu züchten, hält er überhaupt für eine »unheimliche Perversität«. Auch ist er »absolut gegen Gruppensex«.
Derlei surreale Kohlhaaserei kann, vermutlich, heute nur Wien hervorrufen. Umgeben von »analfixierten Gartenzwergen«, sagt Muehl, »muß man, will man nicht verkommen, aufs Äußerste gehen«. Die liebliche Elke läßt dazu den Vampirzahn blinken.
Der Professor Unrat aus Wien -- auch nur ein Problem der Umweltverschmutzung? Die obszöne Lynch-Lust, die er gegen sich weckt, scheint tiefere Wirkung zu belegen. Muehl selbst nennt sich einfach »bedeutend, und wenn ich zurückblicke, werde ich fast größenwahnsinnig«.
Ob er verstörten Gästen seines Bacchanals ein Wort auf den Weg mitgeben könne? Muehl sagt: »Beten Sie zur Buße drei Vaterunser.«