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Theater Ein Schurke, ganz über Nacht?

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 46/1993

Niemand wird in kurzer Zeit zum Schurken.

Shakespeares Stück König Richard III. ist eines seiner bekanntesten Königsdramen. Man kann es spielen, wenn man ein funktionierendes Haus und den richtigen Richard zur Verfügung hat, einen wie Werner Krauss, 1937 unter dem Regisseur Jürgen Fehling am Berliner Staatstheater.

Jürgen Flimm am Thalia Theater in Hamburg verfügt derzeit über beides. Sein Hauptdarsteller Hans Christian Rudolph bringt den schurkischen König, wie Shakespeare ihn sich gedacht haben mag, als einen buckligen, hinkenden Oberschurken auf die Bühne, bei dessen Anblick die Hunde anfangen zu heulen.

Sonst allerdings ist die Aufführung, die zum 150. Geburtstag des Thalia Theaters stattfand, wenig preiswürdig. Die Frankfurter Allgemeine resümierte: »Der Thalia-Geburtstag war der Tag des Intendanten Jürgen Flimm. Der Tag des Regisseurs Jürgen Flimm war er nicht.« Und die Zeit erblickte in dem Richard-Abend einen »Kessel Buntes, ein buntes Nichts«.

Es lohnt sich also, zu Shakespeare zurückzukehren und den wirklichen König Richard mit Shakespeares Mißgeburt zu vergleichen. Das Recht des Dichters, die _(* Gemälde in der ) _(National-Portrait-Gallery London; mit ) _(Katharina Thalbach und Hans Christian ) _(Rudolph; mit Werner Krauss. ) Wirklichkeit zu verfälschen und seiner Phantasie anzupassen, versteht sich dabei von selbst.

Shakespeare schrieb sein Stück über Richard III. während der Herrschaft der Tudor-Königin Elizabeth I. Ihr Vater, Heinrich VIII., ist gewiß schlimmer gewesen als Richard.

Was hält Shakespeare ihm, hauptsächlich gestützt auf den heiligen Thomas Morus, nicht alles vor: Er soll seine Frau Anna Neville vergiftet, seinen Bruder Georg, Herzog von Clarence, ertränkt und seine minderjährigen Neffen im Tower zu Tode gebracht haben. Auch am Tode eines seiner Vorgänger, des kunst- und schwachsinnigen Königs Heinrich VI., soll er beteiligt, wenn nicht gar der Hauptbeteiligte gewesen sein.

Nichts von all dem ist erwiesen. Vielmehr ist richtig, daß Richard III., der nur zwei Jahre lang, von 1483 bis 1485, der gesalbte König von England war, seinem Bruder Eduard IV. 22 Jahre lang in Treue gedient hat. Für den ungetreuen mittleren Bruder Georg hat er als einziger aller Großen des englischen Reiches Fürbitte eingelegt, vergebens.

Zu Shakespeares Zeiten war der Tower ein Staatsgefängnis geworden, aus dessen Schlund kaum jemand wiederkehrte, den man hineingerudert hatte. Zu Zeiten König Richards III. diente er als eine Art Regierungsgebäude, wo Ratsversammlungen abgehalten wurden.

So gibt es für die Ermordung des Königs Heinrich VI. auch keinen anderen Beweis als denjenigen, daß Richard III. sich vermutlich zur gleichen Zeit im Tower aufgehalten hat. Beim Mord an seinem mittleren Bruder Clarence streiten sich die Gelehrten noch heute, ob er in einem Faß von Malvasier oder Falerner oder vielleicht doch in Kreterwein ertränkt worden ist. Sicher ist, daß König Eduard IV. den Tod dieses mittleren Bruders, eines notorischen Unruhestifters, selbst verfügt und hinterher bitterlich darüber geweint hat. Richard, den »Moralischen« in der Familie, trifft hingegen keine Schuld, auch wenn Thomas Morus ihm vorwirft, er hätte dringlicher um die Rettung des Bruders bitten müssen.

Richard hatte zwei voreheliche Kinder, was aber damals keine Schande war, man denke an Don Juan d''Austria, den unehelichen Sohn Kaiser Karls V. Er führte ein nahezu altertümliches Familienleben mit einer kränkelnden Frau, die im Alter von 29 Jahren starb. Beim Tod ihres einzigen Kindes Eduard weinten beide Eltern herzzerreißend. Wahr ist aber auch, er hat sich noch zu Lebzeiten seiner Frau nach einer anderen umgesehen.

Sein königlicher Herr Eduard IV. war zwar gut im Kriege und im Kabinett, hatte aber sonst nur Weiber im Kopf. Er aß und trank so unmäßig, daß er sich künstlich erbrach, nur um zweimal genießen zu können, ganz wie zu Zeiten des Petronius im Rom des Kaisers Nero.

So starb Eduard IV. nicht völlig unerwartet im Alter von fast 41 Jahren, einer der stattlichsten Herren dieser großen Welt. Lordprotektor und somit zweiter Mann im Reich war der »Lord des Nordens«, der Herzog von Gloucester, eben Richard. Nachdem ihn die Nachricht vom Tode seines Königs erreicht hatte, wurde seine Lage kritisch.

Der Sohn Eduards, Eduard V., war noch nicht einmal 13 Jahre alt und galt als nicht regierungsfähig, weil er »noch kein Schwert tragen konnte«. Er war umgeben von Leuten, die Richard haßten: von der Sippe der Frau seines Bruders, Elisabeth Woodville, die den 13jährigen sofort zum König krönen lassen wollte. Richard wußte, was dies für ihn bedeutet hätte: einen schnellen oder langsamen, in jedem Fall einen gewaltsamen Tod.

Natürlich war auch er ein Renaissance-Mensch, dem das Köpfen leicht von der Hand ging. Er mußte sofort handeln, oder man handelte an ihm. Hinter ihn stellten sich der Herzog von Buckingham, der sich bald darauf aber aus schierer Dummheit gegen Richard empörte, und der Freund seines Bruders, Lord Hastings. Auch ihn läßt Richard köpfen, weil er eine Annäherung dieses Regierungsmitgliedes an die Woodville-Sippe argwöhnte; dies sicher zu Recht, aber Unrecht bleibt das Schnellverfahren doch; nicht mal Zeit blieb zum Beichten.

Die beiden Kinder König Eduards IV., die Richard 1483 im Tower festsetzen ließ, wurden dort noch einige Zeit beim Spielen beobachtet, dann aber nicht mehr gesehen. Die Szenen ihrer Ermordung rühren auf der Bühne zu Tränen. Aber ob Richard III. den Thronfolger Eduard V. und dessen Bruder Richard hat umbringen lassen, ob Buckingham der Mörder war oder am Ende keiner von beiden, das muß offenbleiben. Auch der Herzog von Buckingham hatte ja als legitimer Nachfahre Eduards III. ein Anrecht auf die Krone (den Buckingham Palace kaufte die britische Königsfamilie im 18. Jahrhundert).

Der Mord am Kronprätendenten galt noch unter der Zarin Katharina als salonfähig. Dennoch, der Verdacht ist an Richard III. hängengeblieben, nicht an Buckingham. Nur kann der Mord sich so, wie Shakespeare ihn auf die Bühne bringt, nicht abgespielt haben.

Richard, mit 31 Jahren König von England geworden, verwaltete sein Land mit Geschick. Er tat viel für den Buchdruck und legte den Grundstein zu vielen Bauten. Aber ihm blieb kaum Zeit, seine erworbenen Fähigkeiten als König zu beweisen. Im Ernstfall war er doch mehr Soldat als Diplomat.

Auch hatte er andere Sorgen. In Frankreich wartete der junge Henry Tudor, der denn auch bald sein Nachfolger sein wird, auf seine Chance. Er machte Ansprüche geltend, die gewiß nicht begründeter waren als die des Herzogs von Buckingham. Als Heinrich VII. wird er später direkter Vorfahre Heinrichs VIII. und Elizabeths I.

Richard scheint den Zulauf von englischer Seite, den sein Feind hatte, unterschätzt und seine eigenen Kräfte überschätzt zu haben. Der Tudor landete an der Küste von Wales, und das muß Richard nervös gemacht haben. Obwohl die Wetterlage nicht günstig war, stellte _(* Hans Christian Rudolph und Stefan Kurt ) _(in der Flimm-Inszenierung am Hamburger ) _(Thalia Theater. ) er sich bei Bosworth, nahe der Stadt Leicester, zur Schlacht.

Der andere war kein Kriegsmann, mit seinen Soldaten Richard auch zahlenmäßig nicht überlegen. Der aber suchte nun die Entscheidung. So ist sein berühmter Ausruf »Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für''n Pferd!« nicht als versteckte Absicht zur Flucht zu verstehen, sondern als Wille zum Sieg, hier und heute, um jeden Preis.

Bei sich lichtendem Nebel hatte er Henry Tudor auf einem Hügel erspäht und wollte ihm strikt zu Leibe. Das Fußvolk blieb zurück. Henry Tudor wich geschickt aus. Richard schien seinen Feind allein besiegen zu wollen. Er muß in einen Morast geritten sein, wo er nicht weiterkonnte und absteigen mußte. Vielleicht fiel er auch vom Pferd. Die feindlichen Soldaten erschlugen ihn wie einen tollwütigen Hund. Den nackten Körper Richards warf man über ein Pferd und brachte ihn so nach Leicester.

Der letzte York war tot, das Ende der »Rosenkriege« zwischen den Häusern Lancaster und York gekommen. Ein Tudor, nämlich Heinrich VIII., wird den heiligen Thomas Morus hinrichten lassen, von dem der meiste Schmäh gegen den geweihten König Richard III. ausgegangen war.

Flimm läßt seinen Helden hinken, er hat auch einen Buckel und eine blutrot verfärbte, verkrüppelte Hand. In seinem dunklen Maßanzug, dem dunklen Hemd und dem pomadig zurückgekämmten Haar gleicht Rudolphs Richard eher einem italienischen Faschisten-Führer der dreißiger Jahre, in seinen Bewegungen eher einem bösen Kasperl. Man sieht allerdings nicht, wie dieser Richard in der Schlacht hoch zu Roß die Streitaxt hätte schwingen können.

Diese eine Gerechtigkeit wenigstens hat Shakespeare seinem Richard angedeihen lassen. Aber bei manchem, was er über Richard III. schrieb, mag er wohl eher an die Praktiken der beiden Tudor-Heinriche gedacht haben.

Richard III. starb als einziger englischer König im Kriege, auf dem Felde damaliger Ehre. Y

* Gemälde in der National-Portrait-Gallery London; mit KatharinaThalbach und Hans Christian Rudolph; mit Werner Krauss.* Hans Christian Rudolph und Stefan Kurt in der Flimm-Inszenierungam Hamburger Thalia Theater.

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