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Ein Vorname für die Hälfte der Menschheit

Angela Praesent über die Ausstellung »Eva und die Zukunft« in der Hamburger Kunsthalle Große Themen-Ausstellungen sind publikumswirksam: 15000 Besucher drängten in den ersten zehn Tagen in eine Hamburger Kunsthallen-Schau, die »Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution« vorführt. - Angela Praesent, Schriftstellerin und Herausgeberin der Taschenbuchreihe »neue frau«, lebt in Hamburg. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Was haben sie eigentlich zu klagen, die Frauen?

Da leben sie, for ever young, in einer Welt, in der sie sich kaum je warm anziehen müssen. Sie sinnen auf Paradieswiesen, tollen über Strände, locken auf Lotterbetten, träumen neben (männlichen und weiblichen) Geliebten, verschmelzen mit Säuglingen oder schweben über den Wolken als Sinnbilder für alles, was hehr und heilig ist - von der Freiheit über das Vaterland bis zur Chemie. Stets werden sie begehrt oder sind, der runde Bauch verrät es, kürzlich begehrt worden, en gros oder en detail.

Sollten sie zufällig wahnsinnig oder tot sein, so geben sie prachtvoll hemmungslose Verrückte oder wunderschöne Leichen ab; sollten sie einmal hungrig wirken, so wird ihnen dafür der Status der Heldin zuerkannt, die auf die Mißstände der Welt verweist; und arbeiten sie am Bügeltisch oder unter Tage, so sichtlich mit stolzer Anmut und aus freier Wahl. Sogar als Teil eines Paars erscheint die Frau im Bild, schon aus Gründen der Komposition, als nahezu gleichrangige Gefährtin.

Welch eine Dauerlust, zumindest seit 1789, auf Erden Frau zu sein! Was immer dem weiblichen Geschlecht von Vätern, Begattern, Gesetzesgebern, von Theologen und Philosophen Erniedrigendes angetan worden sein mag, von einer Sorte Männer wenigstens sind die Frauen stets liebevoll und ehrfürchtig behandelt worden: von den Künstlern. Wenn man die Kunstwerke beim Inhalt nimmt.

Eine lästige Einsicht für engagierte Kunsthistoriker(innen), die just anhand der bildlichen Darstellung von Frauen nachweisen wollen, was sie aus anderen Quellen wissen: daß Frauen unterdrückt worden sind und daß sie nach Wegen suchten, sich dagegen zu wehren. Vorteil: Wenn an die Bilder erst herangetragen werden muß, was sie aus guten Gründen nicht enthalten, dann machen sich Spezialisten - Museumsleute - einfach unentbehrlich.

Dabei hegen schon die matronigen Salonbesucherinnen auf Daumiers Karikatur von 1865 den Verdacht, daß die ästhetische Vorzugsbehandlung der Frau nicht recht der erlebten Wirklichkeit entspreche: »In diesem Jahr schon wieder diese Schönheitsgöttinnen ... immer nur Venusdarstellungen ... als ob es solche Frauen gäbe...« Der mythisch überhöhte nackte Augenschein, argwöhnen die gestrengen Damen, verweise nicht aufs Leben, sondern auf die Bereitschaft der Künstler, männlichen Juroren und Käufern der Vor-Pin-up-Ära unter ideellen Vorwänden milde Pornographie zu bieten.

Auf eben diese ideellen Vorwände - mythischer, biblischer oder gar politischer Provenienz - fallen Museumsleute heute aufs Gebildetste herein, wenn sie

Werke des 19. und 20. Jahrhunderts mit einer an der religiösen Kunst früherer Zeiten entwickelten Methodik interpretieren. Die Schlange zum Beispiel, das weiß jeder, hat mit dem Bösen zu tun, und wo die böse Schlange auf einem Bild in der Nähe eines Frauenkörpers erscheint, so lautet die kunsthistorische Deutung vereinfacht, da wird der nackten, also sinnlichen Frau Verderbtheit und verderbende Macht unterstellt.

Daß ein Maler wie Jacob Edward von Steinle ("Adam und Eva nach dem Sündenfall« 1867) die cartoon-komisch im Hintergrund züngelnde Schlange vor sich und seiner Klientel als Ausrede dafür benutzte, daß er sich mit einer nackten Frau beschäftigte, paßt viel schlechter ins ideologiekritische Schema. Nicht, daß es kein Spaß wäre, dem bösen Untier einen ganzen Museumssaal weit durch die Kunstgeschichte zu folgen und seine sinnigen Teil-Häutungen zu registrieren: Bei Max Ernst ist die Schlange auch Strumpfband, bei Max Beckmann Rettungsring, bei Niki de Saint Phalle wird sie zum schlingkräftigen Penis und bei Elvira Bach zu einer Art von blitzendem Löschschlauch.

Nur: Dem »Bild der Frau seit der Französischen Revolution« - so der Untertitel der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle _(Bis 14. September, Katalog 40 Mark; im ) _(Buchhan del gebunden 78 Mark. )

- kommt man angesichts einer solchen Kollektion von Zitatszitaten nicht näher. Noch weniger wird man durch sie zum Sehen von Kunst - im Gegensatz zu: Entziffern - verführt, obwohl sich Museumsleute doch gerade diese Verführung zur Aufgabe machen könnten. In Themen-Ausstellungen dieser Art sollen gefälligst Zeichen gelesen und wiedererkannt werden - sie verlangen vom Betrachter nicht mehr als den alltäglichen Raffblick und sind vielleicht deswegen so populär. Form, Farbe, Licht und Struktur, die genuinen Erkenntnisbereiche visueller Kunst, bleiben da so nebensächlich wie die Gestaltung des »Herrn« und der »Dame« auf Toilettentüren für die Wahl der richtigen Klinke.

Dennoch lassen sich, gegen den Strich der Ausstellung, Entwicklungen entdecken, wenngleich nicht notwendig solche des Frauenbilds. Der ideelle Vorwand für das Sujet, zum Beispiel rutscht, je näher man der Gegenwart kommt, mehr und mehr aus dem Werk in den Titel - wie als ein letzter Köder der Künstler für die Einordnungswut der Kunsthistoriker (Munchs »Madonna«, Dubuffets »Olympia«, Kirchners »Urteil des Paris«, Elvira Bachs »Ich bin nicht gut, ich hin nicht böse"), die ihn prompt dankbar schlucken.

Und noch eine Tendenz läßt sich in der Hamburger Ausstellung gut beobachten, mag sie auch aus anderen Zusammenhängen geläufig sein: die allmähliche Befreiung der Kunst von dem, was jeweils in der Gesellschaft als schön gilt, etwa an einer Frau. Auch um dem Zwang zu entschlüpfen, immer nur Schönheiten liefern zu müssen, haben sich wohl Künstler des 19. Jahrhunderts bestimmter allegorischer Versatzstücke und konventioneller Stoffe als Vorwand bedient: Eine »Vanitas« durfte schon einmal Eigenart besitzen, eine »Kindsmörderin« das Gesicht verzerren. Wenn die Bürger dies mit moralischer Befriedigung aufnahmen oder wenn es heute als Zeichen einer subtilen Frauenfeindlichkeit interpretiert wird, dann war und ist das nicht Sache der Künstler.

»Das Bild der Frau ist das Bild des Mannes von der Frau«, formuliert Kunsthallen-Direktor Werner Hofmann im Katalog. Das ist nicht überraschend angesichts des gewaltigen historischen Übergewichts männlicher Künstler, wäre aber vielleicht doch den Versuch einer Ergänzung, eines Vergleiches wert gewesen.

Denn ob sich der weiblich-künstlerische Blick auf die Frau in einer gegebenen Epoche wirklich vom männlichen unterscheidet, wie es der Frauenglaube gegenwärtig gern hätte, darüber lassen

die rund 370 in Hamburg exponierten Werke kaum Betrachtungen zu.

Doch wir verstehen ja schon: Das wäre eine andere, vielleicht viel kargere Ausstellung geworden - eine von den vielen möglichen Ausstellungen, die, nicht zu Ende gedacht oder mit den erreichbaren Leihgaben nicht realisierbar, in der Riesenschau der Kunsthalle untergegangen sind. (Weitere solche Themen, deren Reste in dem vorliegenden Arrangement wenig Sinn ergeben, sind »Das Bild der Frau in der Zensur« oder »Der menschliche Rücken«, offenbar ein Lieblingsmotiv von Werner Hofmann.) Anregung für Ausstellungsbesucher: Man achte einmal darauf, wie Künstler und Künstlerinnen den weiblichen Schoß darstellen. Gibt es ihn, den geschlechtsspezifischen Blick? Entsteht er vielleicht erst »wie von selbst« im Betrachtenden, sobald der (Vor)Name des Künstlers bekannt ist?

»Freundinnen« heißt eine Sektion der Ausstellung und in den programmatischen Texten des Katalogs wird die lesbische Liebe - neben der Aneignung beruflicher Eigenständigkeit und dem Entschluß zu politisch-gesellschaftlichem Handeln - zu den Ausbruchsversuchen der Frauen aus den Zwängen des Patriarchats gezählt. Nimmt man die Bilder jedoch beim Erzählinhalt, so müßten die Männer ausgerechnet diesen weiblichen Ausbruchsversuch von Herzen unterstützt haben, und das zu Zeiten, in denen »Lesbianismus, Perversität, Prostitution und Frauenemanzipation als Synonyme galten«, so Sigrun Paas, von der das Ausstellungskonzept stammt. Wieder verraten die Werke selbst nichts über die Bewertung des Dargestellten zu seiner Zeit - man achtete das einst als Autonomie der Kunst.

Wie immer öffentlich über sexuelle Beziehungen zwischen Frauen geurteilt wurde, der Blick der malenden Voyeure Courbet, Rodin und Schiele wirkt zärtlicher (frauenfreundlicher?) als die Schlachter-Erotik, mit der Heike Ruschmeyer ("Froschkönigin«, 1981) zusammenliegende Frauen malt. Offenbar erschien das sinnliche Weib sogar schon in der von Befreiung suchenden Frauen arg bedrängten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs nur als Kopf- und Schopfjägerin vom Typus Salome oder Delila, auf Manneshäupter spezialisiert.

In die Gruppe der »Freundinnen«-Bilder ist, kurios, aber nicht falsch, auch Larry Rivers'' »Doppelporträt von Berdie« (1955) geraten, das wahrhaft malerische Bild einer nackten, alten, dem eigenen Körper traumwandlerisch fernen Frau. Ein gütiges Bildnis, voller Sinn für die Schönheit dessen, was als häßlich gilt.

Ist er nun ein Feminist, dieser Larry Rivers? Im Katalog steht eine geradezu klassische Macho-Äußerung des Künstlers über sein Modell zu lesen, die Schwiegermutter, die ihm nach der Scheidung half, seine Söhne großzuziehen: »Sie war ein hingebungsvolles Geschöpf. Unter allen Leuten, die ich gekannt habe, kam sie einer Heiligen am nächsten. Aber wie man von Heiligen behauptet, hatte sie überhaupt kein Ich. Sie schien einfach glücklich und vergnügt über das Leben zu sein.« Die biographische Hintertreppe führt eben nicht an das Kunstwerk heran, sondern in ganz andere Räume. So hilft es auch nicht Rodins »Eva« genauer zu sehen wenn man erfährt, daß Rodin das Modell für seine Plastik verstoßen hat, als es schwanger wurde.

In das Geschoß unter der Beletage ist die Sektion »Künstlerinnen« verrutscht oder verbannt - ein verlegen unkonsequenter Gruppierungsgesichtspunkt in einer sonst nach Motiven ("Delila Judith, Salome") oder nach Kompositionsmustern ("Drei Frauen") gegliederten Ausstellung. Dort im Untergeschoß hängt, ungünstig, einer der von weit her herbeigereisten Superstars: Angelika Kauffmanns grandioses, innig- sachliches Selbstporträt von 1770-75 aus der National Portrait Gallery in London.

Dieses Bild allein hat, wenn Erzählen denn schon gefragt ist, mehr über den kühnen, einsamen Aufbruch einer begabten Frau zu erzählen als ein Schock Leinwände von Paula Modersohn-Becker, als Säle voller Arbeiter-Madonnen, Bergwerksamazonen und Salon-Salomes. Nur hat Angelika Kauffmann ein paar Fehler gemacht: Sie hätte sich als Rückenakt mit einer Schlange darstellen und ihr Gemälde »Eva« nennen sollen - das hätte ihr womöglich einen würdigen Platz in der Eingangshalle eingetragen.

»Was nun?« (Ein weiterer verlegener Abteilungstitel) Im nämlichen Untergeschoß, ebenfalls unter »Künstlerinnen«, ist eine »Besenschrank«-Installation von Lili Fischer (1986) zu betrachten, die Anregungen für den Gebrauch von Besen enthält, darunter: »Ausstellungshalle zusammenkehren als Ideenstaub. - Besucher-Augen, gegen visuellen Ballast.«- Sie können schon haarig werden wenn man ihnen Besen oder Pinsel überläßt, diese Evas. Aber das wäre eine andere Motivgeschichte. Eine andere Ausstellung.

Bis 14. September, Katalog 40 Mark; im Buchhan del gebunden 78 Mark.

Angela Praesent

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