MEDIZIN Einfach wegsehen
Drei englische Nervenärzte haben jetzt das Repertoire der Leiden erweitert, von denen Fernsehverbraucher bedroht werden. Nach dem Fernseh-Hals, dem nervösen Fernseh-Zucken und den Fernseh-Blähungen. (SPIEGEL 1/1960) beschrieben sie als neues TV -Phänomen: die Fernseh-Epilepsie.
In der angesehenen britischen Mediziner-Zeitschrift »Lancet« veröffentlichten die Forscher zwei wissenschaftliche Arbeiten über die Beziehungen zwischen Fernsehen und Fallsucht. Die Londoner Doktoren Pallis und Louis sowie der Neurologe Mawdsley aus Manchester wußten rund ein Dutzend Fälle zu nennen, in denen gesunde Menschen, die niemals zuvor epileptische Attacken erlitten hatten, vor dem Fernsehschirm fallsüchtig geworden waren.
Eine 42jährige Hausfrau hatte, so berichteten beispielsweise Pallis und Louis, ihren Fernsehapparat nicht richtig eingestellt. Die Szenenfolge riß plötzlich ab, auf der Mattscheibe erschien die übliche »Tapete« eines gestörten Bildempfangs: dicke schwarze Balken, die zitternd von oben nach unten rasten. Um die Störung zu beseitigen, kniete die Frau vor dem Fernsehgerät nieder und drehte an den Einstellknöpfen. Sekunden später wand sie sich in epileptischen Krämpfen am Boden. Der herbeigerufene Arzt konstatierte, was in medizinischen Lehrbüchern als »großer Anfall« umschrieben ist.
In gleicher Weise verliefen alle bisher beobachteten Fälle von Fernseh -Epilepsie. Immer traten die Krämpfe auf, wenn das Fernsehbild durch das flackernde Muster einer Bildstörung verdrängt, worden war und die Patienten an den Einstellknöpfen hantierten.
Dieser Sachverhalt erlaubte den Forschern, die Fernseh Fallsucht einem Phänomen zuzuordnen, das der römische Schriftsteller Apulejus (um - 125 bis 180 nach Christus als erster »beschrieben hat. Die Sklavenhändler, so bezeugt Apulejus, testeten ihre Menschenware auf Fallsucht, indem sie vor den Augen der Sklaven sein Töpferrad rotieren ließen. Erst Ende des vergangenen Jahrhunderts untersuchten Ärzte diese Erscheinung. Sie stellten fest, daß alle Arten flackernden Lichts epileptische Anfälle auszulösen vermögen.
So bewirken zuweilen einfache Blinksignale epileptische Krämpfe: Andere Patienten erleiden Anfälle, wenn sie mit dem Auto über eine von Bäumen dicht gesäumte Straße fahren und Sonnenstrahlen durch das Laub fallen. Mitunter sind Kranke sogar imstande, auf ähnliche Weise willkürlich epileptische Anfälle zu provozieren: Sie blicken gegen die Sonne und bewegen die gespreizten Finger vor den Augen schnell hin und her.
»Das moderne Leben« konstatierten Pallis und Louis besorgt, »hat viele neue Formen des Flackerns eingeführt - zum Beispiel Neonröhren und fluoreszierendes Licht, Film und Fernsehen.«
Bislang haben die Ärzte freilich weder Neonröhren- noch Film-Epilepsie beobachtet. Allein TV-Epileptiker sind nun bekannt geworden. Jedoch: »Die Zahl der Leute, bei denen durch Fernsehen Anfälle ausgelöst wurden, ist überraschend niedrig.«
Die Fernseh-Neurologen begnügten sich denn auch damit, Anfall-Anfälligen einen binsenweisen Rat zu erteilen: Gefährdete Personen sollten einfach wegsehen, wenn der Bildschirm flackert.
Fernseh-Empfangsstörung
Anfälle vor dem Bildschirm