MUSIK / BEATLES Eins überbraten
Der große Rummel ist vorbei, das hysterische Yeah-Yeah-Geschrei verstummt. Nun sitzen die vier, weltberühmt und millionenschwer, in ihren englischen Parklandschaften, ihren Bungalows und Herrenhäusern, und meditieren. John Lennon etwa meditiert: »Jetzt interessiert mich hauptsächlich das Nirwana, der buddhistische Himmel.« Und George Harrison meditiert: »Das einzig Wichtige im Leben ist das Karma. Diese Welt ist eine bloße Täuschung.«
Wahrlich, die Beatles, alle noch im Twen-Alter, sind mächtig gereift. So reif sind sie schon, daß sie den britischen Journalisten Hunter Davies, 32, zu einer ersten gründlichen Beatles-Biographie autorisiert haben, die demnächst in England, Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, den USA und Deutschland erscheint*.
Mehr noch: Zum Nutzen der Leser in neun Abendländern haben die vier Liverpooler Arbeitersöhne Lennon. Harrison, Paul McCartney und Ringo Starr ihren Biographen auch noch mit ausgiebigen Maximen, Reflexionen und Reminiszenzen versorgt. Harrison zum Beispiel, der »Rabauke« mit der »ordinären Liverpooler Schnauze« (so Lennons Tante Mimi), erinnert sich an die Lehrer seiner Schulzeit: »Sie sind alle Idioten ... Nicht zu brauchen, dieses Lehrerpack!«
Ringo Starr sinniert über Politik ("Alles, was die Regierung anfaßt, verwandelt sich in Dreck und nicht in Gold") und Frauen: »Alle wollen mich bemuttern. Er weckt Mutterinstinkte, der sentimentale, kleine Ritchie.«
McCartney denkt an sein erstes Mädchen zurück: »Mit fünfzehn kam ich zum erstenmal 'ran. War wohl ein bißchen früh.« Und der Ober-Beatle Lennon, zeitweise Kunststudent, bekennt: »Für richtige Arbeit habe ich nie etwas übrig gehabt ... Im Grunde wußte ich nicht, was ich werden wollte. Nur eins wollte ich auf jeden Fall: als exzentrischer Millionär enden ... Falls ich es nicht fertigbringen sollte, ohne ein Gauner zu werden, mußte ich eben ein Gauner sein.«
Doch Lennon wurde kein Gauner, er gründele in Liverpool eine jener »Beatgruppen, die sich zumeist aus schäbigen Halbstarken zusammensetzten« (Davies), und schlug in Arbeitervereinen, Teenager-Clubs und Striptease-Lokalen mit mäßigem Erfolg die Gitarre. Erst 1960, während eines Engagements in Hamburgs St. Pauli, fand Lennon mit seiner Gefolgschaft den rechten Beat.
»Am Anfang«, sagt Lennon, »waren wir zahme, brave Musiker gewesen. Jetzt wurden wir ein Kraftwerk. In Hamburg haben wir uns erst wirklich entwickelt. Um die Deutschen in Gang zu bringen und die Sache zwölf Stunden lang in Gang zu halten, mußten wir draufloshämmern. Und den Deutschen gefiel es, solange es nur recht laut war.«
Das gefiel auch bald den Engländern, den Skandinaviern, den Australiern, den Neuseeländern, den Japanern, den Amerikanern. Die Beatles, von ihrem 1967 gestorbenen Manager Brian Epstein im »Image gründlich aufpoliert« (Lennon), sorgten von da an in aller Welt für einen gewaltigen Beatle-Koller, für einen Aufstand der Massen in den Konzertsälen und auf den Flughäfen. Die Beatles-Fans kreischten und rauften sich ekstatisch die Haare, die Polizisten aller Länder machten ihre Knüppel frei, im Parkett zersplitterten Tische und Stühle.
»Die Beatles explodierten«, so rühmte ein Kritiker, »in eine ermattete Umwelt hinein«, und wurden, so rühmte ein anderer, »die größten Komponisten seit Beethoven«. »Lediglich Hitler«, informierte der Manager ihrer New Yorker Gastspiele die Amerikaner, »übertraf jemals ihre Macht über die Menge.« Muhammad Ali, bürgerlich Cassius Clay, sprach: »Ich bin der Größte, aber ihr seid die Schönsten.« Und die Platten der Beatles liefen und liefen.
Für Harrison jedoch und die übrigen drei aus Liverpool war dies alles »nichts weiter als ein übler, gewaltiger Tumult": Als Musiker wurden wir immer schlechter. Jeden Tag spielten wir den gleichen alten Mist. Darin lag überhaupt keine Befriedigung mehr.«
Also machten die Beatles ihrer Hoch-Zeit ein Ende - sie sagten ihre Tourneen ab, bestellten ihr Haus, setzten Kinder in die Welt, zogen sich ins Schallplatten-Studio zurück, schrieben Gedichte, Lieder und Bücher, machten Filme, gründeten Firmen, kauften sich kleine Inseln, schluckten Rauschgift (Lennon: »Als ich das erstemal LSD nahm, hatte ich plötzlich große Visionen"), ließen sich einen Orden vom Britischen Empire verleihen, versenkten sich in die indische Musik und übten sich beim Jogi Maharischi Mahesch in transzendentaler Meditation.
Sie sind nun nicht mehr die Adepten einer niederen Pop-Kunst, sondern werden von LSD-Mystikern, Zen-Intellektuellen oder gar christlichen Katecheten sinnreich interpretiert (siehe Kolumne Seite 93) dies freilich sehr zu ihrem Unwillen:
»Ich glaube«, meint Lennon, »mir ist unsere Musik deshalb so egal, weil andere Leute sie so ernst nehmen. Es ist nett, wenn sie den Leuten gefällt. Aber wenn sie anfangen, sie zu 'würdigen', große, tiefe Dinge aus ihr herauszulesen, ein 'Anliegen' daraus zu machen, dann ist das Quatsch. Es ist alles großer Quatsch.«
»Wir haben all den Scheißdreck nicht leiden können, den sie über Beethoven und das Ballett geschrieben haben, wobei sie sich selber eingeredet haben, wie bedeutsam das alles ist. Nun passiert mit uns das gleiche. Nichts davon ist bedeutsam. Es brauchen sich nur ein paar Leute in Bewegung zu setzen, und schon machen sie sich was vor und glauben, es sei wichtig. Alles wird nur zu einem einzigen Schwindel.«
»Wir«, sagt Lennon, »sind natürlich auch Schwindler. Wir wissen, daß wir ihnen eins überbraten, weil die Leute eins übergebraten bekommen wollen. Sie haben uns die Erlaubnis dazu gegeben, ihnen eins überzubraten ... Ich bin überzeugt, das tun alle Künstler, wenn sie sich erst einmal darüber klargeworden sind, was für ein Schwindel das ist. Ich möchte wetten, daß Picasso sich allerhand leistet. Bestimmt hat er sich während der letzten 80 Jahre ganz schön seine Eier abgelacht.«
Und auch dies sagt Lennon: »Die Sache ist die: Wissen Beethoven und Leute seines Schlages, daß sie Schwindler sind? Oder glauben sie wirklich, bedeutend zu sein? Weiß der Premierminister, daß er nichts weiter ist als ein doofer Heini?«
* Hunter Davies: Alles, was du brauchst, ist Liebe. Droemer-Knaur, München; 336 Seiten; 19,80 Mark.