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Blitzwarnung Einschlag am Tellerrand

Ein elektronisches Warnsystem gegen Blitzeinschläge soll die Überlandleitungen bundesdeutscher Strom-Unternehmen schützen.
aus DER SPIEGEL 34/1990

Wenn sich am Horizont Gewitterwolken türmen, eilt der Ingenieur Hubertus von Rheinbaben auch an freien Wochenenden in sein Büro im 16. Stock eines Karlsruher Hochhauses. Dort, in der Zentrale des Elektrizitätsversorgungsunternehmens Badenwerk, läßt er sich vor dem Computer nieder, zaubert mit wenigen Befehlen die Umrisse von Baden-Württemberg auf den Bildschirm und lehnt sich zurück.

In aller Regel erscheint dann schon nach kurzer Zeit piepsend ein weißer Punkt auf der Mattscheibe. Weitere Flecken gesellen sich hinzu. Sie verraten exakt jene Orte, an denen Sekundenbruchteile zuvor der Blitz eingeschlagen ist.

Vom Schreibtisch aus erlebt der Ingenieur das Gewitter live: Innerhalb von 30 Minuten, so ein Beispiel aus dem Monat Juni, zog ein Unwetter über die Stadt Karlsruhe hinweg, um sich dann in der Umgebung von Bruchsal erst richtig auszutoben - das Blitzortungssystem LPATS (Lightning Positioning and Tracking System) verfolgte und demonstrierte alle Einschläge.

Als erstes bundesdeutsches Stromversorgungsunternehmen testet das Badenwerk die in den USA bereits bewährte Technik. Blitzeinschläge sind der bedeutendste Störfaktor bei der Stromübertragung. Rund 600 Blitze schlagen jährlich allein im Versorgungsgebiet des Badenwerks in Hochspannungsleitungen ein und verursachen Kurzschlüsse. Zwar gehen nicht jedesmal gleich die Lichter aus (weil Parallelleitungen die Unterbrechungen überbrücken), doch stets ist die Wiederinbetriebnahme mit hohem Aufwand verbunden. Bisher fanden Reparaturkolonnen die Schäden nur, indem sie die getroffenen Leitungen absuchten. Das konnte Stunden dauern: 210 Kilometer ist beispielsweise die Nord-Süd-Trasse des Badenwerks lang.

Mit Hilfe von LPATS wird es nun möglich, in einem 13 244 Kilometer langen Teil des Kabelnetzes in Baden-Württemberg durch Blitzeinschläge verursachte Defekte zu orten - mit einer Abweichung von häufig nur 200, höchstens 300 Metern.

Ein ausgeklügeltes Prinzip verhilft zu dieser Präzision. Fünf Empfangsstationen registrieren die elektromagnetische Energie, die der Blitz auf seinem Weg aus den Wolken freisetzt. Da die Empfänger je nach ihrer Entfernung zum Blitz die elektromagnetischen Wellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfassen, kann aus der Zeitdifferenz der Einschlagpunkt bestimmt werden.

Die Schwierigkeit besteht darin, die sich mit Lichtgeschwindigkeit (300 000 Kilometer pro Sekunde) ausbreitenden Wellen auf die Mikrosekunde genau zu messen. Als »Uhren« sind deshalb in den Empfangsstationen Zehn-Megahertz-Oszillatoren installiert, deren Schwingungen kontinuierlich gezählt werden. Der Fernsehsatellit Kopernikus synchronisiert per Funksignal die Zähler.

Nach Abschluß der Testphase sollen die so gewonnenen Informationen in die rund um die Uhr besetzte Hauptschaltleitung übermittelt werden. Rechtzeitig zum Frühjahr, der Gewitterhochsaison, ist der diensthabende Schaltingenieur beim Badenwerk dann stets im Bilde: Hat ein Blitz die Leitung unterbrochen, dirigiert der Ingenieur den Technikertrupp ans Ziel.

Um heranziehende Schlechtwetterzonen schon frühzeitig aufzuspüren, muß das Ortungssystem über den badischen Tellerrand hinausschauen: 350 000 Quadratkilometer suchen die Sensoren dann nach Gewitterfronten ab; das überwachte Gebiet reicht im Westen bis zum französischen Reims, südlich bis an den Genfer See, im Norden und Osten bis Köln und Regensburg. Innerhalb dieses Vierecks können auf dem Computerschirm auch Flächen markiert werden, in denen Einschläge durch einen Alarmton angezeigt werden - Schutz vor dem unbemerkten Anschleichen einer Gewitterzone.

In Heidelberg wurde das Blitzwarngerät (Kostenaufwand: 350 000 Mark) kürzlich den anderen bundesdeutschen Stromversorgern vorgestellt. »Die fanden das sehr interessant«, faßt Eckhard Hoffmann, 55, Abteilungsleiter »Allgemeine Elektrotechnik« beim Badenwerk die Reaktionen zusammen. Aber auch Forstbehörden und Wetterämter zeigten Interesse.

Regelrechte Begeisterung legten jedoch Versicherungsgesellschaften angesichts der blitzgescheiten Technik an den Tag: Sie könnte ans Licht bringen, ob so manch abgebrannte Scheune tatsächlich einem Blitzschlag oder doch einer Brandstiftung zum Opfer gefallen ist.

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