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WILLIAMS-PREMIERE Endstation Eheglück

aus DER SPIEGEL 50/1960

Auf der Bühne stand ein Weihnachtsbaum - wie ein Symbol für die Wandlung des amerikanischen Dramatikers Tennessee Williams vom pessimistischen Seelenzergliederer zum versöhnlicher gestimmten Komödienschreiber. Im Helen Hayes Theatre am New Yorker Broadway gab es »Period of Adjustment« - wörtlich: »Zeit der Anpassung«.

Ermattet von der immer böseren Blutrünstigkeit seiner vorangegangenen Stücke - in »Orpheus Deseending« zerreißen-Bluthunde den Helden, in »Suddenly Last Summer« wird ein Dichter von Kindern aufgegessen -, hat der 46jährige Williams in seinem Schauspiel »Period of Adjustment« ein schon vor längerer Zeit gegebenes Versprechen eingelöst und sich um einen Optimismus bemüht, der Publikum wie Kritik gleichermaßen überraschte.

»Tennessee versucht es auf die zarte Tour«, wunderte sich der »New Yorker«, und die Londoner »Times« applaudierte höflich: »Mr. Williams ist ungewöhnlich tolerant und feinfühlig; er läßt seine gequälten Charaktere Lösungen für ihre Probleme finden, oder richtiger: eine einzige Lösung finden, nämlich die, Liebe.«

Sosehr sich freilich das neue Bühnenwerk dank seines Happy-Ends auch von den düstereren Vorgängern abheben mag - tatsächlich hat sich an der von Williams bevorzugten Thematik wenig,geändert. Was kurz vor dem versöhnlichen Ende des dritten Aktes von einer der Hauptfiguren ausgesprochen wird, unterscheidet sich in keiner Weise vom üblichen Fazit der Williams-Dramen: »Die ganze Welt ist ein großes Krankenhaus.«

»Period of Adjustment« spielt am Heiligen Abend in einer Villa spanischen Baustils im Süden der Vereinigten Staaten. Der einstige Fliegerheld Ralph Bates bewegt sich, lediglich von seinem Hund begleitet, durch das verlassene Haus: Nach fünfjähriger Ehe ist ihm seine Frau Dorothea davongelaufen, die Tochter seines Chefs, die er Ihrer Unansehnlichkeit zum Trotz in der Hoffnung auf eine beträchtliche Erbschaft geheiratet hatte.

Bates schickt sich an, ein einsames Weihnachten zu verbringen, als sich zwei unerwartete-Besacher aus einem Schneesturm in- das Landhaus retten: George Haverstick - wie sich herausstellt, ein Kriegskamerad Ralphs - und dessen Frau Isabel.

Für die Dauer des Weihnachtsabends - und des Stücks - sieht sich Bates vor die Aufgabe gestellt, dem jungen Paar Ratschläge zu erteilen, die sich angesichts seiner eigenen Ehekrise recht seltsam anhören. Die Haversticks haben eine mißglückte Hochzeitsnacht hinter sich; sie befinden sich, einen Tag nach der Trauung, an dem Punkt, den Ralph erst nach fünf Jahren erreicht hat: Sie halten ihre Ehe für gescheitert.

So wie der Gastgeber, der Ratschläge gibt, die er selber am nötigsten hätte, erfährt das Publikum drei Akte lang von George und Isabel die Details ihres Seelenzustands. Es erfährt, daß George Haverstick, ehedem wie Ralph Bates ein furchtloser Kampfflieger, in der Hochzeitsnacht von einer Art Veitstanz befallen wurde. Seine junge, ohnehin von Angst vor

dem Doppelbett ergriffene Frau Isabel mußte während der Hochzeitsnacht in einem Sessel schlafen, weil ihr Mann so heftig zitterte.

Bei immensem Bierkonsum und den männlichen Reminiszenzen der beiden, Kriegsgefährten an ruhmreiche Heldentaten und Amouren versucht Ralph die Haversticks zu überzeugen, daß sie sich in einer vorübergehenden Krise befänden, und predigt ihnen, nur der Wille zur Anpassung an die Schwächen des Partners könne zu einer guten Ehe führen.

Eben der gleiche wohlgemeinte Rat wird ihm freilich auch von Isabel und George zuteil. Viele der komischen Wirkungen des Williams-Stücks, so kommentierte die »Times«, beruhen auf dem menschlichen Bedürfnis, »die persönlichen Probleme der anderen einer genauen Betrachtung zu unterziehen, während wir hingegen nicht zugeben wollen, daß wir selbst auch Probleme haben«.

Nach ausgiebigen Diskussionen, Wutausbrüchen, offenherzigen Enthüllungen und psychologischen Exkursen wird am Ende alles gut. Im dritten Akt kehrt sogar Frau Dorothea zurück, und Ralph versichert ihr: »Dotty, du bist früher häßlich gewesen, aber jetzt siehst du besser aus.«

Nachdem die vier Eheleute den Entschluß gefaßt haben, sich gemeinsam der Viehzucht zu widmen, fällt vor den Wiedervereinigten der Vorhang.

»Ein neuer, sanfterer Tennessee Williams ist jetzt am Broadway in Erscheinung getreten«, lobte einer der prominentesten New Yorker Kritiker, Walter Kerr, in der »New York Herald Tribune«. »Er beweist genau das gleiche Talent wie der alte.« Dagegen fand das amerikanische Nachrichtenmagazin »Time«, Williams habe zwar in seinem letzten Stück »endlich die Bluthunde zurückgerufen«, indes zeige er in »Period of Adjustment« zuviel Sinn für die Oberfläche der Probleme.

Tennessee Williams war allerdings schon vor der Premiere kritischen Einwänden dieser Art zuvorgekommen. Er gab zu bedenken, daß seine Komödie im Grunde gar kein Happy-End habe. »Es ist glücklich nur insofern, als die Personen am Leben bleiben und weiterleben wollen.«

Williams: »Das ist so ungefähr die Grenze, bis zu der ich mit diesem optimistischen Zeug gehen, konnte. Ich will nicht den Anschein eines bekehrten Menschen erwecken. Es stimmt zwar, daß ich die dunkle Gewalttätigkeit aus dem Spiel gelassen habe, aber sie mag wiederkommen. Ich lege mich nicht fest.«

Szenenbild »Period of Adjustment"*: Ein sanfterer Tennessee

Komödien-Autor Williams: Bluthunde zurückgepfiffen?

* James Daly als Ralph Bates, Robert Webber als George Haverstick.

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