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KINO »Er ist nicht als Monster geboren«

Sergej Bodrow, 60, russischer Regisseur, über seinen Film »Der Mongole« und die menschliche Seite Dschingis Khans
aus DER SPIEGEL 32/2008

SPIEGEL: Warum haben Sie einen der blutrünstigsten Tyrannen zum Helden erkoren?

Bodrow: Jetzt erinnern Sie mich an die Lehrbücher aus der Sowjetzeit. Da machten wir die Mongolen auch für das ganze Unglück Russlands verantwortlich. Sie haben uns fast drei Jahrhunderte beherrscht, doch Dschingis Khan hat sein Volk geeint und den Mongolen Gesetze gegeben.

SPIEGEL: Er ließ Tausende hinrichten.

Bodrow: Nur zwang er den Völkern, die er unterwarf, nicht den mongolischen Lebensstil auf. Die Mongolen haben in Russland die Kirche geduldet und sie von Steuern befreit.

SPIEGEL: Gibt es eine Lehre für das heutige Russland?

Bodrow: Ich warne davor, Ausländer zu verteufeln. In Russland sterben Menschen wegen ihrer Rasse, aber die Geschworenengerichte lassen Skinheads laufen. Das klage ich an.

SPIEGEL: Sie erzählen eine ergreifende Liebesgeschichte. Dschingis Khan hatte aber einen Harem und ließ seinen Blutsbruder töten. Idealisieren Sie ihn nicht?

Bodrow: Ich zeige vor allem seine Kindheit. Er ist nicht als Monster geboren. Ich gebe ihm ein menschliches Gesicht. Vergessen Sie nicht, dass die Besiegten sein Bild gemalt haben.

SPIEGEL: Wie hat die Mongolei Ihren Film aufgenommen?

Bodrow: Als das Land ein Satellitenstaat der Sowjetunion war, durfte Dschingis Khan nicht einmal erwähnt werden. Jetzt ist er dort ein Gott. Wie kann man einen Film über Gott machen, der alle zufriedenstellt? Fragen Sie Martin Scorsese. Sein Jesus-Film war auch ein Skandal.

SPIEGEL: Was hat sich im russischen Kino seit Sowjetzeiten geändert?

Bodrow: Die Zensur ist weggefallen, aber trotzdem trauern manche der alten Zeit nach. Damals hat der Staat das Geld gegeben. Heute muss man sich selbst kümmern. Russland sucht noch seinen Weg. Das ist wie in der Politik.

SPIEGEL: Welche Parallele sehen Sie?

Bodrow: Russland hat sich seine Freiheit nicht wirklich erkämpft, sie fiel uns nach dem Zerfall der Sowjetunion gleichsam in den Schoß. Und wir haben sie genauso schnell wieder aufgegeben. Die Zeit der Meinungsfreiheit geht dem Ende zu.

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