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»Es gibt keine Moral der reinen Hände«

aus DER SPIEGEL 6/1979

SPIEGEL: Herr Metz, in seiner Rede vor der dritten lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla hat Papst Johannes Paul II. von Bischöfen und Priestern totale politische Enthaltsamkeit gefordert. Bedeutet das das Ende jeder politischen Theologie?

METZ: Nein, das bedeutet nicht das Ende jeder politischen Theologie. Trotzdem halte ich die Enthaltsamkeit, die der Papst gefordert hat, für bedenklich. Denn in seiner Grundsatzerklärung empfiehlt er zwar den Laien eine Art politischer Theologie, aber er dekretiert die politische Enthaltsamkeit für Priester und Bischöfe. Darin sehe ich die Gefahr eines neuen Dualismus zwischen Glaube und Politik, der gerade durch die voraufgegangene Bischofskonferenz von Medellín im Jahre 1968 überwunden worden war.

SPIEGEL: Will der Papst eine politisch schweigende Amtskirche?

METZ: Mein erster Eindruck, als ich den Text las, war in der Tat, daß hier aus einer übertriebenen, gewissermaßen nackten Kommunismus-Angst eine Stimmenthaltungskirche, eine Nichteinmischungskirche gegenüber faschistischen Militärdiktaturen empfohlen wird, die gerade angesichts unserer eigenen Geschichte bedenklich sein muß. Denn es gab ja in unserer jüngsten deutschen Geschichte auch so etwas wie eine Kirche, die sich offiziell der politischen Stimme enthielt.

SPIEGEL: Sie denken an die. Judenverfolgung?

METZ: Ja, ich denke daran, daß eben damals die Einheit von Glaube und Politik aufs Spiel gesetzt worden ist. Wir haben sozusagen mit dem Rücken zu den Juden weitergebetet. Wir haben Glaubensgeschichte und politische Widerstandsgeschichte auseinandergerissen, und dies ist nicht eines der reinsten und leuchtendsten, sondern eines der dunkelsten Kapitel unserer eigenen Glaubens- und Kirchengeschichte. Wir haben uns deshalb von einem Mann wie Bonhoeffer vorwerfen lassen müssen, daß nur wer für die Juden schreit, auch gregorianisch singen darf.

SPIEGEL: Sie befürchten also, daß sich die Kirche in Lateinamerika nun in ähnlicher Weise gegenüber den Militärdiktaturen verhalten könnte?

METZ: Ja. Ich fürchte, daß man auf dem politischen Auge blind werden könnte, daß der Papst zu sehr situationslos gesprochen hat -- so als wären die politischen Herrschaften der lateinamerikanischen Länder nicht der direkten Kritik durch das Evangelium würdig.

SPIEGEL: Könnte es sein, daß der Papst dieses neue -- nennen wir es so -- Dogma der Nichteinmischung in politische Angelegenheiten mit Rücksicht auf die Kirche im Ostblock, speziell auf die Kirche in Polen, verkündet hat?

METZ: Nun, das könnte sein. Das ist eine Vermutung; ich teile sie nicht. Ich bin eher der Auffassung, daß durch den polnischen Papst die Kirche wieder stärker ihre eurozentrische Orientierung zurückgewinnen soll. In Europa geht es der Kirche, schlicht gesagt, um den Kampf gegen den kommunistischen und bürgerlichen Atheismus. Das ist nicht einfach identisch mit den Prioritäten der Kirche in der Dritten Welt.

SPIEGEL: Wenn wir es richtig verstanden haben, hat der Papst in Mexiko eine Stellung bezogen, die gleicherweise Distanz hält sowohl zum Kapitalismus als auch zum Sozialismus. Liegt darin nicht eine gewisse Stärke?

METZ: Ja, das kann man sagen. Die Frage ist nur: Wie bestimmt sich diese Position? Läßt sie sich gerade in ihrer Stärke unpolitisch definieren? Oder ist sie nicht gemeint als Angebot eines sogenannten dritten Weges? Aber auch dieser dritte Weg müßte doch wohl politisch artikuliert werden. Er könnte doch auch nicht an den politischen Verhältnissen und Konstellationen vorbeiführen.

SPIEGEL: Warum nicht?

METZ: Das Interesse, das hinter dem Papstvorschlag steckt, scheint mir zu sein, sozusagen eine moralische Konzeption der Politik zu entfalten. Das halte ich nicht für falsch. Ich möchte geradezu sagen, daß der Primat der Moral in der Politik heute eingeklagt werden muß.

SPIEGEL: Mit welchen Konsequenzen?

METZ: Wenn wir für Lateinamerika, das immer ärmer wird, während wir immer reicher werden, wirklich etwas tun wollen, dann müßte sich zuvor bei uns eine ungeheure Revision vollziehen, gewissermaßen eine Umkehr unserer bürgerlichen Herzen, und zwar auf der Ebene der Politik und der Ökonomie. In diesem Sinne wäre Politik moralisch einzuklagen, heute mehr als je.

SPIEGEL: Ist das nicht der Weg, den der Papst in Puebla vorgezeichnet hat? Er hat doch eben dies gesagt, daß erst die Herzen umgeformt werden müßten und dann die Systeme und Strukturen.

METZ: Der Satz, es sei Sache des Evangeliums, die Herzen umzuformen und nicht etwa die Verhältnisse, dieser Satz ist wahr und falsch zugleich. Er ist wahr in dem Sinne, daß in der Tat die Umkehr der Herzen die Schwelle ist jenes Weges, den das Christentum geht. Aber diese Umkehr der Herzen ist keine rein innerliche Angelegenheit. Sie geht wie ein Ruck durch die Menschen, ändert ihre Verhältnisse, revidiert ihre Interessen, ist also allemal eine eingreifende und angreifende Sache. Eben deshalb gibt es keine Moral der reinen Hände. Wer als Christ meint, er brauche sich die Hände durch Politik nicht schmutzig zu machen, huldigt einer idealistischen Moral der Nichteinmischung. Der Absolutheitsanspruch der Moral wird nicht im Prinzip, sondern im Konflikt vor Ort erfahren. Gott ist im Heute Gott.

SPIEGEL: Aber kann man diese Moral der reinen Hände nicht bei einem Papst verstehen, der Erfahrungen in der Unterdrückung auf sozialistischer Seite gesammelt und auch einen Blick für die Ausbeutung und Unterdrückung in westlichen Gesellschaften hat und deswegen nach einer Position über den Gesellschaftssystemen sucht? Etwa in der Parole der Umformung der Herzen.

METZ: So wie die Christen nicht nur an die Liebe glauben dürfen, dürfen sie auch die Umkehr nicht nur glauben, sondern müssen wirklich umkehren. Diese Umkehr ist aber immer eine Einmischung in die Verhältnisse.

SPIEGEL: Bleiben wir beim Stichwort »Umformung der Herzen«. Im Gegensatz zur Befreiungstheologie mit ihrer Option nur für die Armen fordert der Papst die Umformung auch der Herzen der Kapitalisten.

METZ: Nun, ja, es müssen alle Herzen umgeformt werden. Es gibt eine biblische Universalität. Diese bedeutet aber nicht Neutralität in der Auseinandersetzung zwischen den Armen und den Reichen. Wer für alle dasein will, und zwar unterschiedslos, läuft Gefahr, für niemanden dazusein. Demgegenüber gab es bei Jesus durchaus Privilegierte, und das waren in der Tat die Armen und die Ohnmächtigen und Unterdrückten ...

SPIEGEL: ... nicht die Zöllner? METZ: Nicht in erster Linie. SPIEGEL: Nicht die Kapitalisten?

METZ: Die Liebe, die das Evangelium verkündet, ist nicht eine unparteiische Liebe, sie stellt ihre Bedingungen.

SPIEGEL: Der Papst hat demgegenüber gesagt: Die Kirche ist für alle da. Er hat ferner gesagt, daß Jesus nicht Klassenkämpfer war, nicht Revolutionär, nicht Umstürzler. Jesus hat Herrschaft akzeptiert, indem er sich freiwillig dem Gericht des Pilatus gestellt hat. METZ: Zunächst einmal war Jesus einem Rebellen zum Verwechseln ähnlich, wie hätte er sonst von den Römern als Rebell verurteilt werden können? Der Christ muß deshalb immer auch für sich mit einer solchen Verwechslung rechnen. Das bezeichnen Worte wie Kampf und Klasse, übrigens keine Begriffe, die es nicht auch im positiven Sinne im kirchlichen Wortschatz gäbe.

SPIEGEL: Sie müssen also nicht unbedingt marxistisch gedeutet werden.

METZ: Sie müssen nicht mit den Grundlagen marxistischer Anthropologie gedeutet werden. Tatsächlich gibt es doch wachsende Gegensätze, sozialer und ökonomischer Art, etwa zwischen Lateinamerika und uns -- Gegensätze, die auch mitten in der Kirche durchschlagen und die wir Christen in Rechnung stellen müssen, wenn wir unsere Rede von der eucharistischen Tischgemeinschaft zwischen den armen und den reichen Kirchen ernst nehmen. Dabei sollte man doch nicht auf den augenblicklichen Erkenntniswert dieser Begriffe von vornherein verzichten -- aus lauter Berührungsangst vor marxistischen Kategorien.

SPIEGEL: Der Papst hat doch aber von der besonderen Fürsorge für die Armen gesprochen?

METZ: Aber in seiner Rede fehlte mir der Hinweis auf den Reichtum Europas, und daß gerade wir bereit sein müßten, auf eine erworbene Wirklichkeit zu verzichten. Müssen wir nicht so handeln, daß unsere christliche Praxis wie ein Verrat an unserem bürgerlichen Wohlstand aussieht?

SPIEGEL: Der Papst-Besuch in Mexiko war aber doch angesichts aller Kritik ein großer Erfolg. Meinen Sie nicht, daß davon ein Anstoß für das lateinamerikanische Christentum ausgehen könnte?

METZ: Ja. Ich möchte das alles nicht unterschätzen. Man sollte das nicht aus Besserwisserei und intellektueller Arroganz abqualifizieren. Ich glaube, daß darin tatsächlich auch ein Stück Kraft und Möglichkeit der Kirche sichtbar wird. Ich bin aber nicht der Meinung, daß man sich damit beruhigen dürfte. Volkstümlichkeit eines Papstes ist noch nicht identisch mit Volksfreundlichkeit, das heißt, eine patriarchalisch anmutende Betreuungskirche für das Volk muß noch nicht identisch sein mit einer Kirche, in der das Volk selber Subjekt seiner eigenen Geschichte vor Gott ist und wird. Und eben darum ringen ja die lateinamerikanischen Kirchen seit der letzten Konferenz von Medellín, und das dürfte in keinem Fall rückgängig gemacht werden, auch dann nicht, wenn es immer mehr zu Konflikten mit den dort herrschenden politischen Mächten käme.

SPIEGEL: Könnte man sagen, daß hier doch ein Plebiszit für den Papst stattgefunden hat, ganz im Sinne seiner Vorstellungen von einer Umformung der Herzen, und zwar gegen die: Absichten des fortschrittlichen Klerus?

METZ: Ich hoffe, daß der Papst, wenn er nach Rom zurückgekehrt ist, sich fragt, wie denn die Geschichte der Leute weitergeht, die ihm, einige Tage aus dem Dunkel ihrer Existenz heraustretend, zugejubelt haben, dankbar und hoffnungsvoll, ob sie nicht erneut in Apathie und Hoffnungslosigkeit zurücksinken. Wer wird ihnen dann beistehen und Mut machen?

SPIEGEL: Für diesen Beistand hat ja der Papst von seiner Kadertruppe, von den Klerikern, Geschlossenheit und Einigkeit verlangt. Eine starke Priesterkirche als Garant für ein stabiles Christentum.

METZ. Von seinem Selbstverständnis her kann man das Kirchenamt nicht mit einer auf Effizienz bedachten Partei vergleichen.

SPIEGEL: Wenn der Papst immer auf die Einheit der Kirche und auf die Einheit der Lehre hingewiesen hat, hat er ja auf eine Stärke der katholischen Kirche hingewiesen.

METZ: Ja, die Einheit ist eine Stärke. Sie hat aber auch ihre Gefahren. Die Kirche wird dann leicht zur Fluchtburg, eingeigelt in ein statisches System, das selber nicht mehr auf dem Weg zum Gottesreich ist.

SPIEGEL: Ihre Kritik an Papst Johannes Paul II. geht also dahin, daß die Kirche Angst hat, aus dieser Fluchtburg auszubrechen und sich auf Politik einzulassen.

METZ: Es gibt eine Situation, die ich für die gefährlichste halte, nämlich die, daß die Kirche aus einem Kalkül der Schwäche, der höchstmöglichen Gefahrenlosigkeit sich von der immanenten Gefährlichkeit des Evangeliums entfernt.

SPIEGEL: Warum ist das Evangelium gefährlich?

METZ: Seine Gefährlichkeit wird deutlich, wenn man bei der Bestimmung des Christentums einen etwas anderen Akzent setzt als der Papst. Christentum ist nämlich nicht nur und in erster Linie eine Lehre, die es möglichst rein zu halten gilt, sondern eine Praxis, die es radikal zu leben gilt. Ihre Imperative sind in der Bergpredigt festgelegt. Die Bergpredigt, von der Bismarck gesagt hat, daß mit ihr kein Staat zu machen sei, läßt es nicht zu, daß sich das Christentum schiedlich-friedlich mit den etablierten politischen Mächten aussöhnt. In der Geschichte des Christentums ist diese Gefährlichkeit vielfach verschüttet worden durch ein Übermaß an politischer Anpassung und ein Defizit an politischem Widerstand.

SPIEGEL: Sollen die Priester in Lateinamerika auf die Barrikaden gehen?

METZ: Widerstand heißt ja nicht nur Barrikadenkampf, und Widerstand heißt auch nicht, daß der Priester Parteisekretär wird.

SPIEGEL: Sollen sich dann die Kleriker zu Vorsitzenden von Kooperativen, von Kolchosen machen?

METZ: Ich würde sagen, es gibt ja Modelle ...

SPIEGEL: ... denken Sie an den Jesuitenstaat von Paraguay?

METZ: Nein. Aber dies: Seit der letzten Bischofskonferenz von Medellín gab es einen religiös-politischen Aufbruch in der lateinamerikanischen Kirche. Man könnte ihn kennzeichnen als eine Bewegung weg von der Kirche gegen das Volk zu einer Kirche mit dem Volk. Er war getragen von vielfältigen Basisinitiativen in Verbindung mit Bischöfen und Klerikern. Dort wurden auch neue Modelle gesellschaftlicher Solidarität ausgearbeitet und praktiziert.

SPIEGEL: Hat der Papst jetzt diesen Aufbruch gestoppt?

METZ: Er hat ihn in meinen Augen jedenfalls nicht genügend ermuntert, stabilisiert und ihm den gesamtkirchlichen Beistand angeboten.

SPIEGEL: Der Papst will eben keine Politik treiben.

METZ. Der Papst benützt einen sehr engen. Politikbegriff, der praktisch strikt auf Parteipolitik eingeschränkt ist. Sowohl die Dokumente von Medellín als auch die Theologen der Befreiung haben ein Verständnis von Politik, das bis in die gesellschaftlichen Wurzeln des politischen Lebens reicht. Darum konnten und mußten sie auch die kirchliche und christliche Praxis als eine religiös-politische Praxis auslegen.

SPIEGEL: Aber gilt die vom Papst geforderte Enthaltsamkeit nicht auch für diesen Politik-Begriff?

METZ: Wenn man Politik auch in diesem Sinne wegstriche, würde man das Christentum amputieren. Weder darf man den Glauben für das Linsengericht der Welt verkaufen noch um des Glaubens willen die profane Leidensgeschichte der Menschen verraten. Man kann in meinen Augen das Christentum nicht nur dadurch gefährden, daß man es überpolitisiert, sondern auch dadurch, daß man es im Kern schlechthin entpolitisiert. Der Kampf um Gott ist kein rein innerlicher, er ist auch ein Kampf um solidarisches Menschsein. Erst dadurch gewinnt die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen ihre Kraft.

SPIEGEL: Herr Metz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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