Zur Ausgabe
Artikel 37 / 63

DÜRRENMATT Etwas, das einfällt

aus DER SPIEGEL 5/1966

Wann krepiere ich denn endlich?!« schreit der Literatur-Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter.

Die Frage bleibt im Maleratelier stehen, Schwitter auf dem Bett. Die Heilsarmee intoniert mit Posaune die vierte Strophe eines biederen Auferstehungsgesangs, und der rotplüschene Vorhang fällt.

So endete, mit Posaunenstoß, Stoßseufzer und Pfiffen, am vorigen Donnerstag im Züricher Schauspielhaus die Uraufführung der elften Schauerkomödie von Friedrich Dürrenmatt, 45.

Der astronomische Titel - »Der Meteor« - wird wörtlich im Stück weder wiederholt noch ist er Formel für den Inhalt. »Dürri« (so der Spitzname für den figürlich runden Schweizer Dramatiker) will ihn metaphorisch verstanden haben: »Ein Meteor ist ein elementares Naturereignis«, sagt er, »etwas, das einfällt, ein Ein-Fall, wie ein Theaterstück.«

Das (mit der Pause) 120 Minuten dauernde makabre Drama, vom Autor wie fast immer als »Komödie« ausgegeben (Dürrenmatt: »Uns kommt nur noch die Komödie bei"), ist eine Fortsetzung seiner zehn vorigen Stücke mit anderen Mitteln, aber nach den gleichen Methoden.

Es entstand wieder aus einem Einfall, wie der - 1956 uraufgeführte - »Besuch der alten Dame«. Damals hatte Dürrenmatt bei Eisenbahnfahrten vom Wohnort Neuchâtel nach Bern bemerkt, daß der Zug auf einigen kleinen Stationen, anders als früher, nicht mehr hielt. Der »Besuch der alten Dame« ausgelöst durch diese Beobachtung, beginnt mit einem Zug-Stopp.

Die Idee, aus der sich »Der Meteor« entwickelte, war ebenso verblüffend einfach. Dürrenmatt: »Für gewöhnlich stehen die Toten im Theater erst auf, wenn der Vorhang gefallen ist; Schwitter aufersteht, als sich der Vorhang hebt.«

Nobelpreisträger Schwitter, konzipiert als »ein Lazarus unserer Zeit« (Dürrenmatt), kann zwar, wie vor fast zweitausend Jahren der sagenhafte Lazarus, sich vom Totenbett erheben - er kann aber nicht mehr sterben. Dafür gehen andere an ihm zugrunde.

Er trägt überm Pyjama einen Pelzmantel (Dürrenmatt: »Genau so einen wie ich"), in den Händen zwei Koffer voller Geld und unter die Arme geklemmt zwei Kerzen, als er das Atelier des Aktmalers Nyffenschwander betritt.

Schwitter kommt aus einer Klinik, wo kurz zuvor sein klinischer Tod festgestellt wurde, um sich in Nyffenschwanders Zimmer zum Sterben hinzulegen. Den Grund für den seltsamen Ortswechsel erzählt Schwitter gern: Das Atelier war einst sein eigenes gewesen, denn er hatte, ehe er zu schreiben begann, Bilder gemalt.

Von zwei Großgeldscheinen noch stärker beeindruckt als von der Prominenz des Sterbegastes, bereiten Nyffenschwander und seine Frau Auguste Bett und Szene - Vorhänge werden zugezogen, die Kerzen entzündet. Schwitter aber schafft es nicht, er lebt noch, als der Pfarrer aus der Klinik herbeieilt.

Wenig später ist der Pfarrer (an einem Herzschlag) entschlafen. Nach ihm sterben:

- Olga, vierte Schwitter-Frau, vormals Call-Girl. Sie war, so sagt ihre Mutter, »dem Geschäftsleben nicht gewachsen«;

- Maler Nyffenschwander, nach einem

Treppensturz;

- Frau Nomsen, Olgas Mutter. Die Abortfrau und Hausbesitzerin verscheidet an Erschöpfung.

An Schwitters ungeheurer Vitalität (schlecht - weil immer zu laut - gespielt von Leonard Steckel) während der endlosen Agonie leiden außerdem sein Sohn Jochen - weil Schwitter das inden Koffern mitgeschleppte Barvermögen verbrannte - und Schwitter-Verleger Koppe, dessen Ruin bevorsteht, weil sein Verleger-Anteil mitverbrannte.

Der Chirurg Professor Schlatter geht, nach einem zweiten Schwitter-Scheintod im Atelier, geschädigt ab: Sein Ruf ist, nach zwei Fehldiagnosen, lädiert. Der Unternehmer Muheim schließlich wird zum Mörder: Nachdem Schwitter ihm erzählt hat, daß er einst Muheims Frau für Geld liebte, wirft der zornige 80jährige Unternehmer den Maler Nyffenschwander die Treppe hinunter.

Schwitters nur für andere tödlicher Todestrieb wird monologisch begründet: »Das Leben ist grausam, blind und vergänglich«, erkennt der Literat. »Es ist nicht wert, daß man es lebt.« Logische Folgerung aus dem Postulat: Schwitter, der nur noch im Tod einen Sinn sieht, kann die Konventionen der Lebe-Welt brechen. Er kann ehrlich sein - und daran zerbrechen seine Mitmenschen.

»Das macht ihn zu einem Ungeheuer«, sagt Dürrenmatt. »In ihm triumphiert die selbstzerstörerische Seite des Menschen. Er will seinen Tod, er braucht ihn als Ausrede für seinen brutalen Egoismus.«

Absurd ist mithin nur die Pointe: Lazarus Schwitter wird von der Heilsarmee mit »Halleluja« und Gesangbuchversen als »Auferstandener« gepriesen, während er sich, so suggeriert es das Stück-Ende, weiter ums Sterben bemüht.

In Zürich inszenierten der Schauspielhaus-Direktor Leopold Lindtberg und der Autor den »Meteor«. Dürrenmatt: »Zwei Regisseure sind besser als einer.« Regie-Ergebnis: ein schreierischer Wort -Abtausch in einem langweiligen Sterbe -Kabarett. Das Publikum applaudierte dem matt erleuchteten Sternstück, das am 9. Februar in München und Hamburg zugleich in der Bundesrepublik erstaufgeführt wird, trotzdem ausdauernd - elf Minuten lang. Fünf Jung-Schweizer pfiffen auf Dürrenmatt.

Dramatiker Dürrenmatt

Vier Personen sterben ...

... an der Auferstehung des Nobelpreisträgers: Dürrenmatt-Drama »Meteor« in Zürich*

* Leonard Steckel als Schwitter, Peter Brogle als Nyffenschwander und Ellen Schwiers als Auguste

Zur Ausgabe
Artikel 37 / 63
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren