FERNSEHEN Exotische Wesen
Wer im Pubertäts-Alter stand, als der Rock'n'Roll in der Bundesrepublik eingeschlagen hatte, dem verklärt der Rückblick die kalte wirtschaftliche Aufbauphase der fünfziger Jahre zu einer Oase diskreten Glücks: Was im Gedächtnis bleibt, sind lustvoll-rotzige Halbstarken-Attitüden, Pomaden-Halden im Haar, Ami-Zigaretten und Bourbon-Whiskey, die Brüste der Brigitte Bardot oder Elvis' vibrierende Hüften.
Der Puls der »Negermusik«, die von vielen Erwachsenen der Adenauer-Ära als Unkultur geschmäht wurde, schlägt noch heute; der Vorname Elvis hat seine Magie nicht eingebüßt.
Deshalb verheißt der Titel des Films von Peter F. Bringmann, 32, und Horst Königstein, 33, schwelgerische Jugenderinnerungen. Den Mittdreißigern von heute und Halbstarken von damals verspricht »Der Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam« schöne Reminiszenzen an einen Lebensabschnitt, der scheinbar erfüllt war von Liebe und Abenteuer.
Der Film verweigert sich indes mit seiner Sprödigkeit genießerischem Konsum. Er bietet keine »German Graffiti« nach dem Vorbild des amerikanischen Regisseurs George Lucas, der in seinem »American Graffiti« die Rock'n'Roll-Zeit der USA zu einem temporeichen Kino-Film gefügt hat; auch »Eis am Stiel« läßt sich hier nicht schlecken.
Was Bringmann und Königstein in manchmal ungelenker Handschrift und im langsamen Erzählfluß vorführen, ist kaum abenteuerlich und aufregend, eher kalt und trostlos wie die Zeit, in der die Akteure sozusagen auf der Stelle treten: Eine Gruppe Jugendlicher vom flachen Land, in Bremerhaven zu Hause, wo Presley am 1. Oktober 1958 zur Ableistung des Militärdienstes mit kurzer Bürstenfrisur deutschen Boden betreten hatte, langweilt sich sprachlos, linkisch und lahm dem Ende der fünfziger Jahre entgegen.
Im Tanzschuppen, wo er sich mit seinen Freunden meist zum bloßen Herumstehen trifft, lernt der 17jährige Dekorateurlehrling Karl-Heinz die zwei Jahre ältere Monika kennen. Das Mädchen zieht mit einem farbigen GI los und läßt sich von Karl-Heinz den Schlüssel zur familiären Schrebergarten-Laube geben.
Für den Zuschauer kaum registrierbar, weil sein Gesicht und seine Gesten keine Emotion verraten, hat Karl-Heinz ein Gefühl für Monika entwickelt. Trotzdem läßt er träge zu, daß der staksige Teenager und der US-Soldat zur Laube fahren, seinem Refugium fürs einsame Onanier-Vergnügen. Am Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kommt (das Ereignis wird dokumentarisch in Schwarzweiß gezeigt), kann schließlich Karl-Heinz in einer Hafen-Lagerhalle bei Doris landen.
Um dieses karge Handlungsgerüst ranken sich zeitkoloristische Detailbeobachtungen. In sorgfältig rekonstruierten Nierentisch-Dekors, in der heute wieder schick gewordenen Garderobe jener Jahre und vor dem akustischen Hintergrund reichlich servierter Rock'n'Roll-Oldies bewegt sich die Bremerhavener Jugend-Clique zwischen immer gleichen Fixpunkten, an denen sich die Zeit besser totschlagen läßt als in der Muffigkeit verständnisloser Elternhäuser.
Wie Jürgen Theobaldy in seinem Roman »Sonntags Kino« über Fünfziger-Jahre-Jugendliche in der Provinz verzichten Bringmann und Königstein in ihrem Film auf jede künstliche Erhöhung des Erzähltempos; der scheinbare Stillstand der Geschichte spiegelt das apathische Lebensgefühl ihrer Protagonisten.
Das aufreizend hölzerne Spiel der jungen Laiendarsteller trägt (unfreiwillig?) dazu bei, daß die Figuren der Vergangenheit wirken wie exotische Wesen, in deren Inneres nur schwer einzudringen ist.
Während Wolfgang Menge und Ulrich Schamoni in ihrem gemütlichen TV-Potpourri »Was wären wir ohne uns« mit sanftem Witz Sorgen und Nöte der Wirtschaftswunder-Generation belächelt hatten, sperrt sich Bringmanns und Königsteins Rückblick in die Fünfziger gegen nostalgisch eingelullte Einstimmungs-Gefühle.
Arnd Schirmer