WINDMILL-THEATER Fächer gesenkt
Die häuslichen Mattscheiben und die Strip-tease-Clubs von Soho schafften, was die deutschen Bomben und V-2-Raketen während des ganzen Krieges nie erreicht hatten: Das Londoner Windmill-Theater, dessen nackte Schönheiten über drei Jahrzehnte lang für Herren reiferen Alters die anziehendste Schau Englands waren, schließt.
Am 31. Oktober wird zum letztenmal in dem Haus unweit des Piccadilly Circus der blaue Vorhang mit der eingestickten Devise »Wir schlossen nie« aufgehen. In der letzten Vorstellung der 341. Windmill-Schau wird Lisa Hayes in dem Sketch »Borneo« noch einmal, nur in durchsichtigen Chiffon gehüllt, bei schummrigem Licht auf der Bühne herumflitzen, Eileen Wooding, mit zwei Fächern bewehrt, dem Publikum zu Tschaikowski-Musik ihre schmalhüftigen Reize darbieten und ein Mädchen, einzig mit einer Orchidee im Haar bekleidet, stocksteif am Rande eines exotischen Brunnens sitzen.
Als das Windmill 1932 eröffnet wurde, war es für die Insel eine Sensation. Erstmals in der Theatergeschichte Englands gestattete der Bühnenzensor die Zurschaustellung dezenter Nacktheit. Einzige Bedingung: Die nackten Windmill-Schönen, »Revudebelles« genannt, durften sich auf der Bühne nicht bewegen.
Obwohl die leichtgeschürzten Windmill-Vorstellungen bis zum Aufkommen der Strip-tease-Clubs Besuchern aus der Provinz als Inbegriff des Sündenbabels London galten, drängten sich die hübschesten Mädchen Englands nach einer Anstellung im Windmill.
Ab 16 wurden sie angenommen und mit mindestens 200 Mark wöchentlich entlohnt. Auch die Tochter eines Nobelpreisträgers - des Physikers Professor Edward Appleton - zierte eine Zeitlang unter dem Namen Wanda Alpar, hauchdünn angetan, die Bretter des Windmill. Meist fanden die Mädchen bald vermögende Ehemänner - von den 52 Revuegirls heirateten durchschnittlich 16 pro Jahr. Die Direktion bezahlte den Friseur, den Mitgliedsbeitrag für einen mondänen Club und Reitunterricht.
Gespielt wurde fünfmal täglich an sechs Tagen der Woche. Schon um zwölf Uhr mittags bildeten sich vor dem Theater meist Schlangen von Männern, die für die erste Vorstellung um 14.15 Uhr die begehrten unnumerierten Plätze in der ersten Reihe ergattern wollten. Operngläser waren verboten.
Seine Blütezeit hatte das Windmill im Krieg, als amerikanische Soldaten-Urlauber seine treuesten Kunden waren. Einmal detonierte eine Fliegerbombe unmittelbar vor dem Theater, tötete einen Elektriker und verwundete ein Mädchen. Aber die Schau ging weiter, nur zwei Besucher verließen das Haus. Als der Sieg erfochten war, ließ das Theater eine Woche lang jeden Mann in Uniform gratis ein.
Doch »seit 1956, als die Strip-Clubs aufkamen, das Fernsehen um sich griff und immer mehr Sittenfilme gezeigt wurden, ist es von Jahr zu Jahr schwieriger geworden, das Publikum anzulocken« - so die Rennfahrerin Sheila van Damm, die das Windmill-Theater von ihrem Vater übernommen hatte. Zu viele der 320 Plätze blieben ständig leer, die Unkosten waren zu hoch.
Denn das Windmill-Theater legte für jede Schau Laufzeit acht bis neun Wochen - fast 300 000 Mark an. Die Spelunken in Soho konnten für ein Zehntel dieser Summe Sex bieten. Die Strip-Lokale sind als Clubs aufgezogen und unterstehen so nicht dem Zensor: Ihre Tänzerinnen können auch die letzte Hülle fallen lassen, ohne an das Bewegungsverbot gebunden zu sein.
Der Zensor bemühte sich zwar, dem Windmill, das anständig-verzuckerten Sex bot, beizuspringen. Die Fächertänzerinnen durften sich dem Zeitalter der busenfreien Mode anpassen und ihre Fächer senken. Die »Revudebelle« jedoch blieb unbewegte Statue.
Immer weniger Mädchen meldeten sich im Windmill zum Ausziehen, da das Fernsehen den Showgirls mehr zahlte. Auch die jungen Komiker, die jede Windmill-Schau belebten - Weltstar Peter Sellers trat dort zum erstenmal auf -, wurden vom Fernsehen angeheuert.
Unter Tränen ihrer letzten 28 Girls, dem Bedauern vieler unentwegter Besucher und wehmütigen Kommentaren der Londoner Zeitungen kündigte Sheila van Damm Anfang Oktober die Schließung des Windmill an. Sie verkaufte das sechsstöckige Haus in der Great Windmill Street für 2,7 Millionen Mark.
Die Käufer kamen von der Konkurrenz: Tony Tenser und Michael Klinger hatten ihr Geld durch Strip-tease-Clubs und Sittenfilme gemacht. Sie wollen aus dem Windmill-Theater ein Windmill -Kino machen, das allerdings in der Auswahl der Filme die pikante Tradition des Hauses weiterführen soll.
Windmill-Theater-Szene: Abschied unter Tränen