KUNSTMARKT / KÄTHE KOLLWITZ Fahne hoch
»Darf ich's noch mal sehen«, wünschte der Auktionator verblüfft, als für ein Graphik-Blatt 15 000 Mark geboten wurden. Er sah eine seltene Variante der Farblithographie »Selbstbildnis en face« von Käthe Kollwitz.
Dann stieg das Gebot noch höher: Mit 16 000 Mark zahlte der Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld am Montag letzter Woche im Hamburger Auktionshaus Dr. Ernst Hauswedell den höchsten Preis, der je für eine Kollwitz-Druckgraphik entrichtet wurde. Und auch für eine Zeichnung der Künstlerin, gleichfalls ein Selbst-
* Oben: »Selbstbildnis en face«; unten: »Die Freiwilligen«.
porträt, mußte der Schweizer eine neue Höchstsumme investieren -- 24 000 Mark.
Käufer aus der Schweiz, der Bundesrepublik, aus den USA, Kanada und Belgien teilten sich bei der 152. Hauswedell-Auktion ein großes Kollwitz-Angebot von »außerordentlicher Qualität« (Hauswedell). Sie ersteigerten 281 Zeichnungen, Druckgraphiken und Skulpturen, die überwiegend aus einer geschlossenen Sammlung stammten, bis auf das letzte Stück und trieben den seit zwei Jahren im internationalen Handel registrierten Kollwitz-Boom auf die Spitze.
Zuvor war das Andenken der Künstlerin, die Deutschlands Herrschende mit sozialkritischen Darstellungen schockierte, lange vernachlässigt worden: Die Frau eines Berliner Armenarztes, deren -- nun in Hamburg für 1200 Mark versteigertes -- Plakat 1906 die Kaiserin Auguste Viktoria vom Besuch der »Deutschen Heimarbeit-Ausstellung« abschreckte, wurde auch nach ihrem Tode (1945) wenig geehrt, und ihre Arbeiten blieben billig. »In der Nachkriegszeit«, erinnert sich der West-Berliner Händler Hans Pels-Leusden, 58, »war im Inland niemand da, der die Fahne von Käthe Kollwitz hochgehalten hätte.«
Die »Ignoranz des Marktes« gab dem Kollwitz -- Verehrer Pels-Leusden ("Rembrandt würde seinen Hut tief herabziehen vor Käthe Kollwitz") eine Chance: Seit 1956 kaufte er zu langsam steigenden Preisen Kollwitz-Blätter ein, um sie »im großen Stil« zu horten; 1965 zeigte er dann in seiner Galerie am Kurfürstendamm eine Verkaufs-Ausstellung zum 20. Todestag der Künstlerin.
Die 80-Nummern-Schau war, so Pels-Leusden, »die erste Plattform, wo die hohe Preisbildung repräsentativ in Erscheinung trat«. Während eine signierte Kollwitz-Zeichnung beispielsweise 1953 auf einer Stuttgarter Auktion noch für 350 Mark zu haben war, verlangte und erhielt der Berliner Händler nun Summen bis 4200 Mark pro Blatt. Pels-Leusden: »Der deutsche Kunsthandel stand kopfschüttelnd und überrumpelt vor diesem Phänomen.«
Die Überrumpelten zogen rasch nach. Pels-Leusden: »So faul sie vorher waren, so kollwitzrege sind sie jetzt. Es gibt keine gute Auktion, die kein gutes Kollwitz-Kontingent hat.«
Eine gute Auktion hatte der kollwitzrege Hamburger Antiquar und Kunsthändler Ernst Hauswedell, 65, schon im November 1966: Er konnte 72 Kollwitz-Nummern offerieren und druckgraphische Blätter zu Preisen bis 5200 Mark versteigern.
Der große Coup indes glückte dem Auktionator in diesem Frühjahr: Im April flog Hauswedell nach Jerusalem und holte die umfänglichste und wertvollste Kollwitz-Kollektion, die seit 1945 im Handel war, auf den stagnierenden deutschen Markt für moderne Kunst -58 Handzeichnungen nebst 219 druckgraphischen Blättern.
Es war eine Sammlung, die der 1959 verstorbene jüdische Konzernherr, Verlags- und Zeitungsgründer ("Haaretz« in Tel Aviv) Salman Schocken vor seiner Emigration nach Palästina (1932) angelegt hatte. Schocken, aus dessen umfangreichem Autographen-Nachlaß Hauswedell bereits Skripten von Novalis, Fontane und Stifter versteigert hat, pflegte Käthe Kollwitz im Atelier aufzusuchen, um ihr Graphik abzukaufen. Seine Sammlung enthielt daher viele Studienzeichnungen, aber auch Druckgraphik-Varianten, die selbst im 1955 erschienenen Oeuvrekatalog der Künstlerin nicht vermerkt sind.
Die seltene Ware bot Hauswedell in aller Welt an -- er verschickte Auktionskataloge nach Moskau und Leningrad, wo die Sozialistin Käthe Kollwitz gleichfalls hochgeschätzt ist, und allein 400 Exemplare nach Amerika.
In der internationalen Konkurrenz hatten deutsche Auktionsteilnehmer einen schweren Stand: Von den zwölf teuersten Zeichnungen, die zusammen rund 160 000 Mark brachten (Hauswedell-Taxe für alle 281 Nummern: rund 235 000 Mark), blieben nur zwei im Lande. Die Stuttgarter Staatsgalerie, die dieses Jahr, zum 100. Geburtstag der Graphikerin, eine Kollwitz-Ausstellung plant, ersteigerte die Blätter »Die Freiwilligen« (20 000 Mark) und »Frau mit totem Kind« (9500 Mark).
Eine Gedächtnis-Ausstellung aus eigenen Beständen will auch Pels-Leusden, der in Hamburg manches Graphik-Blatt hinzugekauft hat, ab 1. Juli zeigen. Sie soll, so prophezeit er, von »exzeptioneller Qualität« sein: »Es kann keine bessere und stolzere Kollwitz-Ehrung geben als das, was wir hier machen.«
Auch ökonomisch Großes verspricht der Kollwitz-Pionier: »Die Preise werden absolut an das international maßgebliche Kollwitz-Niveau der letzten Auktionen anschließen.«