Lesung Fahrplan zum Völkermord
SPIEGEL: Das »Buch der Deutschen«, wie es mal hieß, hat kaum ein Deutscher gelesen. Nun gehen Sie mit Hitlers »Mein Kampf« auf Tournee. Eine Nachhilfestunde?
Somuncu: Ich will Hitler entmystifizieren, indem ich ihn bloßstelle. Der Spuk soll sich nicht wiederholen.
SPIEGEL: In Deutschland darf »Mein Kampf« nicht gedruckt werden. Woher haben Sie Ihr Exemplar bekommen?
Somuncu: Von der Oma einer Freundin.
SPIEGEL: Rechtsextremen Zirkeln wird es sauer aufstoßen, daß ausgerechnet ein in Deutschland lebender Türke Hand an Hitler legt.
Somuncu: Ich habe schon eine Reihe merkwürdiger Anrufe erhalten. Andererseits wurde ich für einen Nazi gehalten, weil einer das Buch bei mir sah. Auch eine Erfahrung.
SPIEGEL: Welche Rolle spielt Hitler Ihrer Ansicht nach heute für die Deutschen?
Somuncu: Ich war in Braunau, seiner Geburtsstadt. Da sah ich Leute mit Hitler-Bärtchen und Scheitel. Und am Obersalzberg, seinem Feriensitz, verkaufen Souvenirläden gemütliche Hitler-Videos. Nostalgie? Kult?
SPIEGEL: Vor 20 Jahren zog Helmut Qualtinger als »Mein Kampf«-Rezitator durch die Lande. Es war ein erschreckendes Erlebnis.
Somuncu: Die Qualtinger-Kassette hat mir den Anstoß zu meiner Lese-Tournee gegeben, ich halte mich weitgehend an seine Auswahl.
SPIEGEL: Da werden auch die grotesken Hitler-Highlights nicht fehlen? Etwa: »Die Eier des Kolumbus liegen zu Hunderttausenden herum«?
Somuncu: Die grotesken nicht und nicht die brutalen. »Mein Kampf« ist der Fahrplan zum Völkermord.