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ROCKMUSIK Falscher Fünfziger

Mit einer 50-Jahre-Revue feierte der Alt-Rock 'n' Roller Peter Kraus in Wien enorme Erfolge. Nun tourt er auch durch die Bundesrepublik.
aus DER SPIEGEL 19/1989

Der ältere Herr in der ersten Reihe wischt sich mit einer verschämten Handbewegung über die Augen, bei der korpulenten Dame neben ihm kommt ähnliche Rührung auf. In der Ecke tanzt ein gutes Dutzend Halbwüchsiger Rock 'n' Roll - die Jungs mit Tolle und hochgestelltem Kragen, die Mädchen mit Pferdeschwanz und Petticoat. Auf der Bühne windet sich ein schlacksiger Mensch im karierten Blouson um einen Mikrophonständer und röchelt »Ich möcht' mit Dir träu-äu-men, . . . ganz im Gehäu-äu-men!«

Fast 30 Jahre lang mußte der ehemalige Rock 'n' Roll-Star Peter Kraus von seinem Comeback träumen. Nun ist es soweit: In Wien startete er eine neue Show und wurde damit zu einer der größten Publikumsattraktionen der Donau-Metropole. Über 40 000 Zuschauer kamen innerhalb von gut zwei Monaten, um der »Heulboje« beim Singen zuzuschauen, seit Anfang letzter Woche füllt er auf einer großen Deutschland-Tournee auch hiesige Konzertsäle.

Dennoch ist die neue Tour eine alte. Der »Schluckauf-König von vorgestern« ("Gong") macht dort weiter, wo er seinerzeit aufgehört hatte - bei Rock 'n' Roll. Wichtigster Unterschied: »Ich parodiere mich selbst, das Publikum lacht sich scheckig.« Unterdessen lieferte Kraus auch die Erklärung für den anachronistisch klingenden Titel seines Regressionsspektakels »Vorwärts in die Fifties": Das erste Teenageridol der bundesdeutschen Nachkriegsära feierte 50. Geburtstag.

Entsprechend honorig ist das Medienecho: Die österreichische »Presse« ehrte den rüstigen Jubilar als »lustigen Lümmel, der seine Jugend zum Beruf gemacht hat«, der »Stern« lobte seine »Selbstironie und amüsierte Distanz«, lediglich die Fernsehzeitschrift »Gong« befürchtete, »daß er auf jenes Körperteil fallen muß, aus dem heraus er sonst zu singen pflegt«.

Thomas Gottschalk räumte dem Teenager-Veteranen in seiner samstäglichen Wetter-Vorhersage eine Viertelstunde bester Sendezeit ein, seine alte Plattenfirma Polydor offerierte ihm sofort einen neuen Vertrag und warf postwendend eine Langspielplatte mit frischgepreßtem Material auf den Markt.

Auch Fanpost erhält der gereifte Künstler, dessen Stammplatz jahrelang die Versenkung war, nun wieder in rauhen Mengen. Zwölfjährige Mädchen wünschen sich ihn zum Vater, eine Altverehrerin schrieb begeistert: »Das Tollste ist, daß Sie sich immer noch so ähnlich sehen!«

Peter Kraus profitiert gleich mehrfach von der einzig zeitlosen Mode dieses Jahrzehnts, der Nostalgie: Seine neue Gefolgschaft setzt sich aus Quer-Aussteigern aller Altersgruppen zusammen. »Die Älteren kommen aus Anhänglichkeit«, behauptet er. Was Kinder und Jugendliche in seine Arme treibt, darüber kann er nur spekulieren: »Superstars wie Michael Jackson oder Madonna leben völlig abgeschottet in einer Art gläsernem Sarg. Zu mir kommen die Leute, weil ich nichts Besonderes bin.«

Tatsächlich lebt der Kraussche Bühnenzauber von einer Verklärung der fünfziger Jahre und stilisiert die graue Ära trotz oberflächlicher Brechungen zu einem Hort kurzweiliger Geborgenheit. Der Abend pendelt zwischen Tütenlampen, Liebeskitsch und Schlagerromantik, versucht eine Atmosphäre zu konstruieren, in der der Nierentisch noch im Wohnzimmer, aber die erste Herztransplantation schon vor der Tür stand.

Da seufzt der Chor seine Schu-bi-dus, werden halbstarke Männer und ganz schwache Frauen vorgeführt; 150 Minuten lang dürfen sich die Zuschauer der Illusion hingeben, an einer heilen Welt teilzuhaben. Fast aus dem Sprachgebrauch getilgte Begriffe wie »Vollbeschäftigung«, »Aufschwung« oder »Wirtschaftswunder« feiern fröhliche Auferstehung, ganze Schweineberge, die der damalige Ernährungsminister Heinrich Lübke den glücklichen Deutschen verordnete, werden aufgewärmt. In diese Idylle platzt der Brachial-Softi Peter Kraus, ein wildgewordenes Kind seiner Zeit, und präsentiert seinen schaumgebremsten Beinahe-Rock 'n' Roll: »Sugar, Sugar Baby!«

Das Publikum läßt sich einlullen und nickt zustimmend mit dem Kopf, wenn Brillantine und Pomade als Schmiermittel des Generationskonflikts verkauft werden: Die Jungen wissen es nicht besser und die Alten wollen es nicht besser wissen - Mauerbau und Kohlenkrise, Koreakrieg und Suezkonflikt, Wiederbewaffnung und Atomversuche müssen heute draußen bleiben.

Für Peter Kraus hat die verklärte Rücksicht plausible Gründe: Er war nie so gut im Geschäft wie damals. Von 1956 bis 1960 besang er 36 Schallplatten, die seinerzeit über vier Millionen Abnehmer fanden. Er erhielt den ersten »Goldenen Löwen« von Radio Luxemburg und verschmähte bis zu Burdas »Bambi« auch kein Kleinvieh. Das Popblättchen »Bravo« erkor ihn zu ihrem ersten einheimischen Superstar und zerlegte ihn zum Starschnitt, mit dem er an den Wänden Tausender von Jungmädchenzimmern zur lebensgroßen Pop-Ikone wurde.

Auf dem Zenit seines Erfolges bekam er täglich mehr als 1000 Verehrerbriefe, wurden über 800 Fan-Clubs gegründet, verkauften Geschäfte Peter-Kraus-Pullover, verhökerte sein umtriebiger Vater einen Gitarrenkurs samt einer viersaitigen Peter-Kraus-Gitarre. 15 Filme wurden um seine Person gedreht.

Nahezu fünf Jahre war er der unumstrittene Star aller Teenager-Gazetten und wichtigstes Haßobjekt sich zu ernst nehmender Feuilletonisten: Die »Neue Zürcher Zeitung« fragte anläßlich seiner Auftritte erschreckt: »Ist unsere Kultur bedroht?«, ein Universitätsprofessor Wolfram erfand die kühne These »Negermusik und Mickey Mouse führen direkt zu Tobsucht und Raserei.«

Erboste Gegner empfingen den deutschen Teenager-Schwarm in Bern gar mit dem Transparent »Heim ins Reich«, eine österreichische Zeitung glaubte, gegen Ende seiner Karriere vermelden zu müssen: »Keine faulen Eier bei Peter-Kraus-Konzert.« Aber mit den immer zahmer werdenden Protesten verblaßte auch der Ruhm. 1963 nahm ihn sogar der etablierte Schlagerkomponist Ralph Maria Siegel in Schutz. Einem Kritiker hielt er entgegen: »Singen Sie erstmal fünf Jahre ohne Stimme!«

Als 1963 die Beatles die Welt im Sturm eroberten, war der Ofen aus. Flugs verkündete Kraus, »eigentlich bin ich Entertainer und habe die Rolle des Rockers nur gespielt. Jetzt spiele ich etwas anderes.« Das wiederum wollte das Publikum nicht glauben, der selbsternannte Entertainer mußte sich als Moderator mehrerer Fernseh-Shows verdingen. Kraus, der in seinem bescheidenen künstlerischen Wirken keine Flaute entdecken mag, bevorzugt eine eigene Interpretation: »Erfolgreich war ich eigentlich zu jeder Zeit, nur wahrgenommen wurde das nicht immer.«

Künstlerische Reputation widerfuhr dem Allroundprofi ab 1984, als ihn der Regisseur Hans-Christoph Blumenberg in drei mäßig erfolgreichen Kinofilmen einsetzte. Cineasten spendeten ihm dafür eine Menge Lob, die eher zurückhaltende »Zeit« erblickte sogar einen »sensiblen Schauspieler«.

Ob Peter Kraus nun ein echter Rock 'n' Roller oder nur ein weichgespülter Pat Boone war, darüber streiten sich heute noch die Fans. Sein langjähriger Antipode Ted Herold, den die eigene Plattenfirma gegen ihn aufbaute, um auch bei härter gesottenen Fans kassieren zu können (Originalton Kraus: »Dann kam mein Produzent auf die Idee, den Ted Herold zu erfinden"), hält ihn für einen falschen Fünfziger: »Der Star der harten Männer war ich, Peter Kraus war doch nur ein Weiberheld.«

So wie Elvis ("The Pelvis") Presley aufgrund seiner kreisenden Hüften als das »Becken« in die Geschichte der Rockmusik einging, reichte es bei Peter Kraus nur zu einem kleinen Schüsselchen. Denn der erste Aktivist der deutschen Hüft-Bewegung tauschte schon nach der zweiten Schallplatte den derben Rock gegen schmalzgebackene Schlagerliedchen wie »Schwarze Rose Rosemarie« oder »Brauner Bär«, die ihn bestenfalls als Scharfmacher im Teddypelz präsentierten.

Daß diese Strategie richtig war, glaubt er noch heute: »Mit den softeren Liedern verkauften wir fünfmal soviel wie vorher.« Bedauerlich erscheint ihm im nachhinein nur eins: »Das war wie bei Boris Becker. Du hast alles, nur keine Jugend . . . Meine Heimat war der Sportwagen.«

An die Deutschland-Tour knüpft das Spät-Idol große Hoffnungen. Die Frage, vor wie vielen Leuten er zu spielen gedenke, entlockt dem Ex-Teenager nur ein kesses Grinsen: »Das interessiert mich nicht. Ich will nur wissen, wie viele noch vor der Tür stehen!« #

Rock 'n' Roll-Star Kraus, Fans*: »Ich parodiere mich selbst«

Rock-Sänger Kraus (1957) Täglich 1000 Verehrerbriefe

Kraus-Revue »Vorwärts in die Fifties«, Cornelia-Froboess-Imitat: Nostalgie als Lebenszweck

Kraus, Partnerin Cornelia Froboess* Scharfmacher im Teddypelz

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