Fauchen und faseln
Wenn der letzte Gedanke Thema bei Hans Meiser war und Liebe geworden ist, was bei Kai Pflaume zählt, wenn kein Postman mehr kulturkritisch klingelt, dann ist die Welt endlich, was der Durchfall ist: Die Logorrhöe der Talkshows hat die letzten Reste des Bewußtseins zugerieselt - Mattscheibe total.
Doch bis im Weltfernsehdorf das Siegesgeläut von allen Kirch-Türmen anheben kann, ist noch ein wenig Zeit. Es gibt Widerstand gegen die Tele-Idiotie - erst recht, seit Margarethe Schreinemakers einem Millionenpublikum vorgeführt hat, wie total besteuert sie ist. Unter dem Decknamen »Das große Rhabarbern«, Titel eines jetzt erscheinenden Sammelbandes, überfallen 26 Edelfedern die nichtsahnenden Quasselbrüder und -schwestern des Bildschirms*.
* Jürgen Roth, Klaus Bittermann (Hrsg.): »Das große Rhabarbern«. Edition Tiamat, Berlin; 192 Seiten; 28 Mark.
»Die Phrase ist das Fundament der Talkshow«, stellt das Rhabarber-Vorwort fest, und niemand ist zu hören, der da widerspräche. Die Autoren sehen den Untergang der bürgerlichen Ideale: »Die Gleichheit der Menschen verkommt zur Gleichheit in ihrer Abbildung, Brüderlichkeit zum Komplizentum und frei sind wir zu klatschen oder nicht. Alle Menschen werden Schwätzer.«
Von A wie Alida Gundlach bis B wie Biolek, Böhme und Bettina Böttinger reicht die Hinrichtungsliste. Meiser, Schäfer, Christen stehen ebenso drauf wie Gertrud Höhler, Fliege, Kerner und Hermes Phettberg. Harald Schmidt natürlich auch, dazu Jürgen von der Lippe, Sandra Maischberger - fast alle üblichen Verdächtigen.
Die Kulturkritik, der seit dem Endsieg des Spätkapitalismus viele Themen abhanden gekommen sind, hat ein neues Feld entdeckt: den Plappermühlen des Fernsehens aufmerksam zu lauschen. Was sich in Sammlungen wie »Das große Rhabarbern« präsentiert, ist die Renaissance des hemmungslosen Pamphlets und zugleich die Kunst, den TV-Unsinn durch subversive Verdopplung bloßzustellen.
Kulturkritik schafft es so, die dröge Belehrung und borniertes Fixiertsein auf ein alternatives Leben jenseits der Glotze abzulegen. Das Fernsehen, wissen selbst die schärfsten Verächter, ist omnipräsent und unabschaffbar. Auch die Kritik daran bleibt dem Medium verfallen.
Zusehen, verurteilen, wieder zusehen, heißt die Devise, von Mao zu Maso gewissermaßen - Hauptsache, die Schelte macht Lust, und man verpaßt ja keine Talkshow.
Es müssen nicht immer Vorschlaghammer, Stinkbombe oder Sense sein, um die Fernsehnasen auf dieselbe fallen zu lassen. Meist reicht es, den unsäglichen Stuß zu zitieren, den die Moderatoren so von sich geben - schon liegen sie da. Mit zorniger Wollust haben die Autoren sich alles gemerkt.
Zum Beispiel den Auftritt von Ilja Richter, einer auf Alterslosigkeit getrimmten Siebziger-Jahre-Popmoderatoren-Ikone ("Disco"), die heute in der Talkshow-Drittliga auf Hessen III die Reife verweigert.
Zum Thema »Frauenklänge« faselte Ilja, der himmlische Richter möge ihm verzeihen, also: »Mir geht es da wie Odysseus, der ist ja auch immer den Frauenklängen, den Sirenen nachgegangen wie ich. Ich bin ja auch so eine Art TV-Odysseus, nicht wahr, ich kämpfe gegen ein Meer von 80 Talkshows und nehme es ganz griechisch: Mit Iljas Homer. Homer, Sie wissen ja, Homer ist, wenn man trotzdem talkt.« Und Humor, wenn man Ilja trotzdem verzeiht.
Auch dem rührigen und flinken Talk-Schneebesen Alfred Biolek haben die Autoren ungewohnt kritisch auf die Finger geblickt. Ihm verleiht die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bargfelder Arno-Schmidt-Stiftung, Susanne Fischer, den Namen »Schlormpf«, was ein multifunktionales Gesamtkunstwerk bezeichnen soll, das vom Verzehren der Realität lebt.
Bio, die fleißige Show-Ameise, die immer menschenfreundlich lächelnd die Welt mit styroporartiger Freundlichkeit überzieht, beherrscht als kommunikative Allzweckwaffe die Wendung: »Kann man das so sagen?« Sagt einer: »Ich habe einen neuen Film gemacht«, repliziert Bio: »Der ist sicher sehr schön, kann man das so sagen?« Fast immer kann man. Und es hat »schlormpf« gemacht.
Keiner aber aus dem Fernsehlaberland nutzt das Helferidiom mit solch virtuoser Klebrigkeit wie Pastor Jürgen Fliege. Man muß ihm nur so genau aufs Mundwerk schauen, wie es der Zürcher Psychoanalytiker Peter Schneider tut. »Sein eigenes Kind wirklich zu stillen, da sind den Vätern die Brüste gebunden«, gibt Gutmensch Fliege zum besten, und nicht nur Säuglinge können darüber froh sein.
Und seiert im Dutzend pseudotherapeutische Floskeln vor sich hin: »Das macht mich nachdenklich«; »Ich hab'' da eine Frage im Hinterkopf, die spiel'' ich mal nach vorne«; »Sie haben ein sensibles Gesicht«.
Auch das kann wohl keiner so sagen wie Fliege: »Es gibt nicht nur Orte, es gibt auch Schiffe. Ich sage nur ein Wort: Estonia.« Dem Fliege-Fänger Schneider bleibt dennoch nicht die Spucke weg: »Fliege - das ist ebenfalls mehr als nur ein Wort. Es ist auch jener unsichtbare Ort in uns allen, wo Erich Fromm und der kleine Prinz sich Guten Nachmittag sagen.«
Manchmal schlagen die Rhabarber-Autoren so zornig zu, daß die Metaphern gen Himmel spritzen. Bei Bärbel Schäfer, die auf RTL zu allnachmittäglichen Schlammschlachten ihr »festmontiertes« Grienen unterm Blondhaar präsentiert, fallen alle Beißhemmungen, Rhabarber-Mitherausgeber Jürgen Roth tobt: »Bärbel verkörpert mit hoher Wahrscheinlichkeit das radikal Dümmste, was je vom hiesigen Fernsehen ersonnen und eingesetzt ward, die, überlegt man''s sich richtig, schlimmste und allerschlimmste Lärmmaschine der Neuzeit, das Topfgesicht der Neuen Welt, aus dem es faucht und faselt bar jeder Begrenzung.«
Aus vollem Rohr feuern die Rhabarber-Schimpfkanoniere auf die Talk-Produkte des Nordens, »III nach 9« und die »NDR Talk Show«. Letztere, »ein arg angestaubtes TV-Relikt«, dessen Quote vermutlich in Irrenanstalten und Debilenheimen gemessen werde, erinnert den Kritiker schon wegen der Studiodekoration an ein »formaldehydverseuchtes Großelternsprechzimmer« mit einem halben Dutzend »furzgepolsterter« Sessel.
An den Moderatoren der Sendung bleibt kein gutes Haar: »Alles, was hierzulande seinen Namen zuvor irgendwie vergeigt, seinen ehedem vielleicht mal einigermaßen seriösen Ruf anderswo ruiniert und also sowieso nichts mehr zu verlieren hatte, wollte schließlich mal ran: insgesamt über 60 mehr oder weniger berüchtigte Nasen, die meistenteils aus dem trübsinnigen Umfeld der sozialdemokratisch verbiesterten Boulevardjournaille stammten.« Und dann folgen Namen: Ex-Geo-Chef Hermann Schreiber ("angedicktes Weichei"), Wolf Schneider ("selbsternannter Hochsprachstilist"), Hubertus Meyer Burckhardt ("die voranschreitende Teddybärisierung des deutschen Fernsehens"). Wer ist noch ohne gültigen Beleidigtenausweis?
Bettina Böttinger vom WDR zum Beispiel, die Harald Schmidt als Gelegenheitslesbe outete (oder war''s umgekehrt?): »Allseits kompatible Konsens-Glucke«, drücken sie die Rhabarber-Männer in die Grütze. Hera Lind, die auf den Zeiger gehende Frauenerweckerin, wird »menschgewordene Fußgängerzone in einer bundesdeutschen Kleinstadt« getauft, und der Entertainer Helge Schneider für seine Tat gerühmt, den »Talk im Turm«-Brillenschwenker Erich Böhme ständig als »Herr Lindlau« anzureden, was immerhin einen Hauch Leben in die mitunter verschnarchte Runde gebracht habe.
Daß sich Arabella Kiesbauer mit »Kastenteufelchen-Charme« bläht und daß sie kräht, idiosynkratisch den Rücken verbiegt, wenn von Wirbelsäulenkrankheiten die Rede ist ("dünne Tünche medialer Involviertheit") - man hätte es ohne Rhabarber wissen können. Auch daß Hans Meiser mit »vollendetes Neutrum« gut beschrieben wird und bei Ilona Christen inquisitorische Christen-Verfolgung ("Was haben Sie für ein Restgefühl in sich selbst?") herrscht, steht schon in den TV-Annalen.
Wo aber liegt der neueste Stand der kritischen Auseinandersetzung mit Harald Schmidt? Gewiß ist er »der Meister der Altherrenwitze«. Sein Spruch »Karrieremänner haben schlechtes Sperma - das ergab eine mündliche Umfrage unter 1000 Sekretärinnen« ist unhaltbar, zugleich die Strafe seiner Talkgäste unverdient, »in ein meist zuckendes, schwitzendes, rötlich changierendes Teiggesicht« zu schauen. Aber: Schmidt ist bekennender Frauenfeind und trägt auch seine Hautunreinheiten mit Stolz.
Hier, wo sich Schwachsinn und selbstironische Aufklärungsarbeit ein herzliches Kalau zurufen, wird auch das Dilemma der forschen Rhabarber-Kritik deutlich: Sie verfängt nicht, wenn die TV-Narren von ihrer Narrheit wissen.
Niklas Luhmann, der Systemtheoretiker aus Bielefeld, hat in seinem jüngsten Buch »Die Realität der Massenmedien« den vernichtenden wissenschaftlichen Schiedsspruch gesprochen: »Unterhaltung heißt eben: keinen Anlaß suchen und finden, auf Kommunikation durch Kommunikation zu antworten.« TV-Dorf und Gutenberg-Galaxie sind zwei Welten, sie produzieren ohne gegenseitige Beeinflußung vor sich hin.
Das schafft Verzweiflung. Gelegentlich verfallen die Rhabarber-Leute in Rätselrede, und der Adorno hebt die Knochenhand: Denn dem Wiener Schmäh-Buddha Hermes Phettberg wird die »Rhetorisierung der Rede« vorgeworfen, und diese Formulierung ist wohl eher die Schmockisierung des Schmocks; geht es gegen Kai Pflaume, den TV-Postillon d''amour, wettert Rhabarber voller Pathos: »Wenn persönliches Leben keinen anderen Ausweg sieht als eine schweinische Öffentlichkeit, spiegelt diese nur die Hoffnungs- und Würdelosigkeit eines je privaten Grauens, einer fürchterlichen Ereignislosigkeit. ''Nur die Liebe zählt'' ist richtiges Fernsehen im Falschen.«
Richtig und richtig nicht falsch ist bestimmt auch: Wenn die letzte Kritik über Talkshows geschrieben, die letzte Breitseite aus der Gutenberg-Galaxie abgefeuert sein wird, wird Pastor Fliege sagen: »Schön, daß wir drüber geredet haben. Passen Sie gut auf sich auf. Morgen sehen wir uns wieder.«
* Jürgen Roth, Klaus Bittermann (Hrsg.): »Das großeRhabarbern«. Edition Tiamat, Berlin; 192 Seiten; 28 Mark.