FERNSEHEN Faules Luder
»Wer sein Kind züchtigt«, spricht die Mutter, »liebt es.«
Das ist ein geläufiger Irrtum. Wer immer nur unterdrückt wird -- im Elternhaus, in der Schule oder im Beruf, das möchte die Kölner Fernseh-Autorin Helma Sanders, 30, in ihrem ersten langen Fernsehfilm beweisen, neigt zu sinnlosen Affekthandlungen, zu Gewalttat und Mord. Sie belegt diese These mit einem authentischen Fall.
In einem Gerichtsbericht des »Kölner Stadtanzeigers« hatte die ehemalige Realschullehrerin, die auch das Dritte Fernsehprogramm des WDR ansagt, von zwei jungen Menschen gelesen, die einen italienischen Arbeiter ermordeten, um mit dessen Auto zu entfliehen -- »irgendwohin, wo es anders ist«.
In ihrem Film, den sie an 15 Tagen mit drei Schauspielern und zahlreichen Kölner Schülern, Lehrlingen und Rockern drehte, versucht Helma Sanders für dieses Verbrechen ein Motiv zu finden. Dabei enthüllt sie in beklemmenden Bildsequenzen einen mörderischen Kreislauf von Zwang und Aggression: Ihr namenloser Anti-Held, ein 19jähriger Fließbandarbeiter und Freizeit-Rocker, der Fusel säuft und zusammen mit seinen Kumpanen zum Spaß Flaschen mit einer Schlagkette zertrümmert, heiratet eine Auto-Polsterin, weil der Abtreibungsversuch mit einer Stricknadel nicht geklappt hat.
Nach der Hochzeit, während seine Frau Schlager von Adamo hört und von einer Neubauwohnung »mit flauschigen Teppichen, einer Vitrine aus Glas, Kissen und Fernseher« träumt, lungert er auf der Couch herum. Die Schwiegermutter ("Schämen solltest du dich, faules Luder") erzwingt schließlich die Scheidung.
Doch das Mädchen läuft ihm nach. Gemeinsam und mit ihrem Baby brechen die beiden in Wochenendhäuser ein und plündern die Kühlschränke; sie stehlen auf Wochenmärkten und Rummelplätzen. Als sie einen italienischen Gastarbeiter kennenlernen, der sie in politische Diskussionen verwickelt und zum Klassenkampf animiert ("Die Reichen werden dick und fett wie Schweine"), denkt er nur an dessen schönes Auto. Am Rheinufer erdrosselt der Junge den Italiener mit einem Halstuch.
Diesen kläglichen Ausbruchsversuch aus der Fließband-Fron -- sie fliehen mit dem geraubten Wagen, verursachen einen Unfall, trampen auf einem Lkw, werden vom Fahrer verpfiffen -- kontrastiert Helma Sanders unablässig mit Bildern aus einer Kölner Ford-Werkhalle.
Denn wie bereits in ihren preisgekrönten Dokumentarfilmen »Angelika Urban -- Verkäuferin, verlobt« und »Die industrielle Reservearmee« möchte sie mit dieser trivialen Geschichte zeigen, daß es eine Illusion ist, »innerhalb der bestehenden Ordnung eine Gegengesellschaft aufbauen zu können«. Durch eine gewalttätige Erziehung, durch das Obrigkeitsdenken, das ein Proletarierkind im Elternhaus unbewußt übernimmt, meint Helma Sanders, müsse jede individuelle Auflehnung mißlingen: »Immer wieder bleibt der Abhängige unten in dem ungleichen Kampf.«