AUTOMOBILE / AUTOBIANCHI Feine Tochter
Auf Italiens Alpenstraßen und Autostradas wurde seit dem letzten Jahr immer wieder ein getarnter Auto-Neuling gesichtet. Bauart und Tarnungsstil -- Kotflügel und Flanken waren mit Hammerschlägen mutwillig zerbeult worden -- verrieten die Handschrift des Turiner Riesen Fiat.
Der angebeulte Erlkönig aus dem Entwicklungszentrum des Turiner Konzerns (letzte Jahresproduktion: 1,3 Millionen Personenwagen) kommt jedoch nicht als Fiat, sondern -- in dieser Woche -- unter einem fremden Namen auf den Markt. Die kleine Mailänder Autofirma Autobianchi (letzte Jahresproduktion: 56 782 Personenwagen) soll ihn bauen. Sein Name: Autobianchi A 112.
Das neue Auto, zu dem sich seine Erbauer nicht offen bekennen, ist innen und außen dem britischen Ministil nachempfunden. Der A 112 hat einen quer im Wagenbug liegenden, wassergekühlten Vierzylindermotor (Hubraum: 903 ccm; Leistung: 44 PS; Höchstgeschwindigkeit: 135 km/h), der die Vorderräder antreibt.
Vorteil dieser Bauweise: Trotz knapper Maße (Länge: 3,23 Meter; Breite: 1,48 Meter) bietet der A 112 einen beachtlich großen Innenraum für vier Personen und ist dennoch als temperamentvolles, wendiges Kurz-Auto der heutigen Verkehrsdichte gut angepaßt. Der Wagen soll zunächst nur auf dem italienischen Markt angeboten werden und wird später in Deutschland vermutlich um 5000 Mark kosten.
Daß der Turiner Auto-Entwurf bei Autobianchi in den Serienbau ging, war kein Zufall: Die einstige Mailänder Motorrad- und Fahrradfabrik Bianchi war 1955 von dem Reifenkonzern Pirelli und Fiat gemeinsam in eine Autofirma umgewandelt und 1968 als Tochterunternehmen dem Fiat-Konzern ganz angeschlossen worden. Fiat verlieh seiner Mailänder Filiale ein neues Markenzeichen, das den Stier aus dem Turiner Stadtwappen mit der Schlange des Mailänder Wappens vereinigte.
Für Fiat wurde die Firma Autobianchi »unsere etwas feinere Tochter«, wie ein Fiat-Manager formulierte. Autobianchi-Wagen sollten verfeinerte Ansprüche auch in der unteren und mittleren Preisklasse erfüllen und Käufer zufriedenstellen, denen die Turiner Massenprodukte nicht behagten. Fiat leistete Entwicklungshilfe und lieferte Teile. Autobianchi baute, in kleineren Serien und zu höheren Preisen, veredelte Abkömmlinge des Massen-Kleinwagens Fiat 500. Sie boten ihren Käufern schmuckere Blechkleider, mehr Komfort und Leistung. Auf Turiner Fließbändern wäre ihre Produktion unrentabel gewesen.
Später konstruierte Fiat-Chefkonstrukteur Dante Giacosa erstmals einen Mittelklassewagen mit Frontantrieb, pflanzte ihm den 1,2-Liter-Motor (6O PS) des Fiat 124 ein und ließ das Auto von 1965 an als »Primula« bei Autobianchi bauen. In diesem Jahr folgte, gleichfalls mit Frontantrieb und Fiat-Motor (1,5 Liter; 68 PS), der Typ Autobianchi A 111.
Auch der neue A 112, für dessen Bau ebenfalls Teile aus der Fiat-Großserie verwendet werden, hat laut Autobianchi »Ausstattungsdetails, die bei einem Fahrzeug dieser Klasse durchaus nicht üblich sind« -- und dazu aufwendige Technik: eine dreiteilige Sicherheits-Lenksäule, Zweikreisbremssystem und Bremskraftregler.
Nach Ansicht von Fiat-Kennern verfolgt Fiat mit dem A 112 insgeheim weiter reichende Pläne: Falls er auf dem Markt einschlägt, soll er später in großen Stückzahlen dort gebaut werden, wo er entstand -- in Turin.