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Feminismus: Wende an der Frauenfront?

Cora Stephan über Germaine Greer und ihre Thesen zur weiblichen Selbstbestimmung Cora Stephan, 31, lebt als freie Publizistin in Frankfurt. *
Von Cora Stephan
aus DER SPIEGEL 32/1984

Vom neuen Macho ist zur Zeit viel die Rede, vom androgynen Menschen - aber auch von neuer Weiblichkeit, neuer Keuschheit, neuer Erotik, neuer Prüderie, von alten Hüten halt.

Leider gibt es die beschworene »Krise der Frauenbewegung« - aber nicht nur, weil ökonomische Talfahrten noch stets das beste Klima boten, kulturelle Ausbruchsversuche abzuwürgen; nicht nur, weil der herrschende Männerbund lieber unter sich bleibt; nicht nur, weil sich viele Frauen immer schon oder schon wieder mit den alten Gewändern und den alten Rollen bescheiden.

Sondern weil auch im Diskurs der Frauenbewegung zur Zeit die defensive Behauptung vorherrscht, den Frauen gebührten gleiche Rechte, einfach weil es die Frauen nun einmal gebe - nicht aber, weil sie dieser Gesellschaft ein besonderes, einmaliges, ein machtvolles und zukunftsträchtiges Potential zu bieten hätten.

Kurz: Das hämische Gelächter, das angesichts des Griffs unserer Bundesregierung zur Parole von den »Doppelverdienern« dringend geboten wäre, will Frauen nicht recht gelingen. Es entgeht ihnen nicht, daß auf sie leicht zu verzichten wäre.

Ihre Flucht aus der »femininen Sphäre« von Haushalt, Küche, Kindern hat ihnen einen Ausgleich in Gestalt eines »echten Anteils an den gesellschaftlichen Entscheidungskompetenzen und Machtzentren« nicht eingebracht - so beklagt es jedenfalls eine Autorin im neuen »Kursbuch«. Es hat sich die »Mütter« zum Thema gewählt. Dabei bestimmen Berufsschwierigkeiten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und die niedrige Geburtenrate der Bundesrepublik (1,3 Kinder pro Frau) das resignative Klima der (Kursbuch-)Debatte.

Nur zu verständlich ist es daher, daß die Kolumnistin einer deutschen Tageszeitung das neue Buch von Germaine Greer (die mit »Der weibliche Eunuch« 1970 eine vielgelesene Protagonistin der Frauenbewegung war) zum Beweis für den neuerlichen »Katzenjammer« nimmt: Greer rate den Frauen heutzutage, sich rarer zu machen - so jedenfalls interpretiert sie seltsamerweise deren Statement: »Lieber kein Sex als schlechter Sex«. Natürlich: was anders bleibt den Frauen übrig, da sie das Gegenteil von rar sind, es offenkundig zu viele von ihnen gibt?

Allerdings ist diese Deutung ein Mißverständnis ist. Germaine Greers Buch »Sex and Destiny« _(Die deutsche Ausgabe erscheint im ) _(September bei Ullstein unter dem Titel: ) _("Die heimliche Kastration«. )

(etwa: Geschlecht und Bestimmung) ist im März erschienen. Schon im Januar präsentierte die Londoner »Sunday Times« ihren Lesern drei zusammenfassende Auszüge aus diesem Buch in der Hoffnung auf kontroverse Diskussion. Eine aussichtsreiche Hoffnung: Diese Auszüge handelten vom erbärmlich niedrigen Status der Mütter in den westlichen Gesellschaften, propagieren Verhütungsmethoden wie Enthaltsamkeit und Coitus interruptus anstelle der nicht unriskanten chemischen und mechanischen Mittel sowie die umstandslose Erleichterung der Abtreibung.

Die »Revisionistin« Germaine Greer entfachte einen Empörungssturm: Britische Feministinnen exkommunizierten die Individualistin Greer, erbarmungslose Leserinnen vermuteten Alter oder Frustration der Autorin als Urgrund ihrer Zumutung, kurz, man zieh sie des Verrats an den Errungenschaften der Frauenbewegung.

Warum diese Empörung? Praktizierende Libertins sind vertraut mit Greers These, liberalisierte Sexualität mache keine besseren Menschen und keiner sei immer noch besser als schlechter oder liebloser »Sex«. Daß chemische und mechanische Kontrazeptiva nicht der Weisheit letzter Schluß sind, wurde gerade in der Frauenbewegung diskutiert, und daß Mutterschaft etwas ist, was man sich in dieser Gesellschaft eher hart erkämpfen muß und nicht etwa lediglich ein dem Geschlechtsvergnügen potentiell abträgliches Hindernis, weiß man hier spätestens, seit die Fortpflanzung, zur »neuen Mütterlichkeit« hochgejubelt, die Frauen wieder eingeholt hat.

Greers martialische These, daß man Abtreibung etwa so kühl betrachten müsse wie den unwillkürlichen Abgang befruchteter Eier oder den beständigen Abtreibungsmechanismus des Intrauterinpessars, wird sensiblen Gemütern nicht passen, muß aber zumindest jenen diskutabel erscheinen, die nicht einsehen mögen, was der Staat damit zu schaffen hat, und wissen, daß Mutterliebe eine recht frisch erworbene kulturelle Errungenschaft ist, über deren »instinktiven« Charakter sich trefflich streiten läßt.

Greer hat, wie schon in »Der weibliche Eunuch«, polemisch und geschickt zusammengefaßt, was seit einigen Jahren diskutiert wird. Oder? Denn eigentlich behandelt ihr Buch - ein fast fünfhundert Seiten starker Wälzer immerhin, ein mit ungeheurer Datenfülle protzendes Kompendium der Kulturen aller Herren Länder - all diese Aspekte höchstens am Rande. Die wirkliche Provokation, scheint mir, liegt nicht in der ihr unterstellten Befürwortung dieser oder jener Verhütungspraxis, schon gar nicht

in einem Aufruf zu weltweiter Keuschheit - in einem rüden Interview, das sie dem amerikanischen Sexualmagazin »Forum« gab, bekennt sie sich zu noch immer anhaltender Kopulationslust.

Sie wirft vielmehr den modernen westlichen Frauen weit Härteres vor als den Kniefall vor dem Götzen Orgasmus. Nämlich daß sie sich gegenüber anderen Kulturen eurozentriert-imperialistisch verhielten und daß sie zugunsten der freien Selbstbestimmung, der eigenen Individualität auf das verzichteten, was das Potential der Frauen im Unterschied zu den Männern ausmacht. Der Untertitel ihres Buches lautet: »The Politics of Human Fertility« - die Politik oder auch die Einstellung zu menschlicher Fruchtbarkeit.

Nicht nur Greer, auch viele andere Feministinnen haben auf internationalen Frauenkongressen die Erfahrung gemacht, daß ihr Maßnahmenkatalog zur Befreiung der Frau am Frauenleben in anderen Kulturen häufig weit vorbeiging. Nicht die Befreiung von der Last der Nachkommenschaft zum Zwecke der Entdeckung weiblicher Lust ist für deren Mehrzahl das Problem - im wachsenden Umfang, so Greer, vielmehr das Gegenteil, nämlich Unfruchtbarkeit.

Das gilt insbesondere für Kulturen, in denen die Bedeutung der mehrere Generationen umfassenden Familie groß ist, in der zwecks Fortpflanzung geheiratet wird und in denen die Frau, die nicht gebiert, entweder einen enormen Statusverlust erleidet oder ihn, wo Ehefrauen verstoßen werden können, ganz verliert. Unfruchtbarkeit aber, so Greer, nehme weltweit zu: verursacht durch chemische oder radioaktive Verseuchung, durch schlechte Ernährung und Krankheit und nicht zuletzt durch das Zivilisationsgeschenk der Gonorrhöe.

Geheime bis offene Genozidwünsche der weniger fortpflanzungsfreudigen Kultur unterstellt sie jenen »Entwicklungshelfern«, die sich zu wohlmeinenden Geburtenplanern per Zwangssterilisation aufschwingen, die ohne Verständnis für bereits vorhandene Praktiken den weltweiten Feldzug der Verhütungsmittelindustrie unterstützen, die die Übervölkerung stets bei den anderen, nie bei der eigenen Kultur vermuten und die stets nach Möglichkeiten suchen, die zu ernährenden Menschen zu beschränken, nicht deren Lebenssituation zu verbessern.

Hinter einer solchen Entwicklungshilfe, die der Fruchtbarkeit nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenke wie der Verhütung, vermutet Greer eine Stammesfehde der Industrienationen gegen die anderen Nationen; in der Konsequenz begleitet von kaum verhüllten Wünschen nach genetischen Auscheidungskämpfen zu den eigenen Gunsten. Wenn der in der Bevölkerungspolitik so beliebte Darwinismus denn gelte, schließt Greer süffisant, dann erweise er sich offenkundig darin, daß jene Kulturen, deren Fortpflanzungswille erlahmt sei, dem verdienten Untergang entgegensähen.

Frauen an der Seite genozidgeiler Imperialisten? Nicht direkt. Aber Greer unterstellt ihnen schon die bekanntlich wenig Weitblick gestattende Konzentration auf den eigenen Bauchnabel. Daß Enthaltsamkeit ein Verhütungsmittel sein könnte (bei manchen Kulturen bis zu fünf Jahren nach der Geburt eines Kindes) - das mögen Menschen, die noch heute gegen Tabus anrennen, die es gar nicht mehr gibt, und die der Freiheit die zum Verzicht noch nicht zurechnen, als empörende Zumutung empfinden.

Ist es undenkbar, daß Sexualität in anderen Kulturen eine geringere Rolle spielt als bei uns? Daß sie einfach nicht stattfindet, wenn Kinder nicht gezeugt werden sollen, und daß dies nicht als allzu große Belastung empfunden wird? Denn daß die westliche Gesellschaft, nachdem sie die Zuträglichkeit wie Notwendigkeit des Orgasmus entdeckt hat, ihm nunmehr aber auch allen Lustgewinn abverlangt, der im Leben möglich sein soll, ist diesem gegenüber bescheiden, und sicherlich ebenso eingleisig wie althergebrachte Formen der Lustverteufelung. Mag sein, daß Greer recht hat mit ihrer Behauptung, weltweit mache den Menschen ein Kind mehr Spaß als der regelmäßige Orgasmus.

Und der entsetzte Aufschrei angesichts von Greers Hymne auf den Coitus interruptus, der dem Manne die mit Stolz getragene Verantwortlichkeit für das Wohl der Frau abverlange, gemahnt ein wenig an die Mythen von der psychischen wie physischen Unzuträglichkeit dieser Praxis für Mann und Frau, ausgegeben sowohl von der Verhütungsmittelindustrie wie auch von kenntnislosen Weltverbesserern.

Sicherlich - diese Verhütungsmethode hängt von der größten technischen Fehlerquelle ab, die es bekanntlich gibt, vom Menschen, zu allem Übel auch noch vom männlichen. Und wir sind noch weit genug von der Utopie einer liebevollen Zuneigung der beiden Geschlechter entfernt, daß eine alte männliche Politik, Abhängigkeit zu erzeugen, fröhliche Urständ

auf der anderen Seite feiern kann: Nun kann auch mal die Frau zur Schwangerschaftserpressung greifen, wenn die Mittel zur Verhütung allein in ihrer Hand liegen.

Eine weitere Barriere zwischen Frauen dieser und anderer Kulturen dürfte in der unterschiedlichen Bewertung der Familie liegen: Hier die familiale Fessel und die isolierte »Kernfamilie«, dort das langfristige Unternehmen Großfamilie.

Greer schildert mit Enthusiasmus die entlastende und freudvolle Existenz einer indischen Großfamilie, jene verwandtschaftlichen Bindungen, die sie für stabiler hält als die rein auf sexuelle Attraktivität der Ehepartner gegründete moderne Ehe westlichen Zuschnitts. Mag auch Wunschdenken dieses Hohelied provoziert haben - es ist leicht einzusehen, daß eine indische Frau mehr als nur den familiären Zwang verliert, wenn sie auf die Familienbande verzichtet oder deren Verlust erleidet.

Die Einbindung in eine »feminine Sphäre« mag eine Fessel sein - sie mag aber auch Macht bedeuten, eine Macht, die ohne Zweifel größer ist als jener bescheidene Anteil an Öffentlichkeit, der bundesrepublikanischen Frauen für den Verlust eines angestammten weiblichen Status gegönnt wurde.

Wenn man Greers Buch als Vorschlag zur Neuordnung des Geschlechtslebens in Europa oder Amerika läse, würde man es gründlich mißverstehen. Greer versucht, die Werte der sexuellen Befreiung in provozierender Absicht mit anderen Kulturen zu konfrontieren (nicht immer redlich, aber stets anregend) - Kulturen, die allerdings mehr und mehr westlichem Einfluß zum Opfer fallen. Man wird heute nicht mehr behaupten wollen, daß dies der notwendige Preis für einen notwendigen Fortschritt sei.

»Sex and Destiny« könnte anregend sein - gerade weil es durchaus bekannte Argumente handlich zusammenfaßt -, träfe es nicht höchstwahrscheinlich auf die Angst, die Toleranz einer Vielzahl von Modellen könne die »Wiederkehr« frisch abgelegter Fesseln bedeuten und passe vor allem zu gut zum Kanzlergeraune von der Bestimmung der Frau zur Mutter und Hüterin des Herdes.

Aber so schnell führt der Weg nicht zurück. Gravierender ist schließlich, daß die alten Probleme überdauern - nicht zuletzt die Tatsache, daß eine Frau in unserer Gesellschaft dem, was sie besser kann als der Mann, nur unter größten kulturellen und materiellen Widerständen nachgehen kann bzw. mit ihrer Teilentmündigung bezahlt.

Wo sind neue Lösungen, wo eine offensive Selbstdefinition? Es scheint, als ob Frauen zur Zeit wenig zu verteidigen und fast gar nichts mehr zu erobern hätten.

Germaine Greer deutet in ihrem Buch auf eine spezifisch weibliche Qualität, die nicht ganz so schwülstig daherkommt wie die mütterliche Variante. Nicht in der Sexualität, noch nicht einmal im genetischen Programm, das Fortpflanzung gebietet, erkennt sie das entscheidende menschliche Movens, sondern im Wunsch nach Fruchtbarkeit.

Merkwürdig: Nachdem Sexologen und moderne Verhütungsmittel bewirkt haben, daß die Verbindung von Sexualität und Kinderproduktion fast ganz aus der alltäglichen Wahrnehmung vertrieben ist, und auch die »neuen Mütter« ihr Selbstverwirklichungsprodukt als Ergebnis unbefleckter Empfängnis zu betrachten scheinen, ist der Begriff »Fruchtbarkeit« zwischen haltbareren Konzepten von Orgasmus auf der einen und »Kinderwunsch« auf der anderen Seite fast ganz wieder verschwunden. Dem weiblichen Beitrag zur Verbesserung der Welt haftet unweigerlich Niveageruch und das Klappern der Stricknadeln an (wenn dies eine Unterstellung ist, so stößt sie doch stets auf wenig Widerstand und viel Evidenz).

Fruchtbarkeit, Kreativität hat ohne Zweifel andere Bedeutung als »Mütterlichkeit«. Daß hier weibliches Terrain brachliegt, darf man heutzutage ja schon gar nicht mehr laut sagen - man muß mindestens mit der Basler Prognos AG anführen, daß Phantasie für einfache Lösungen, kooperativer Arbeitsstil, Sensibilität und »Intuition« in der Zukunft zu bedeutenden volkswirtschaftlichen Größen werden dürften.

Darf Intuition nur in Naturwissenschaftlerkreisen fashionabel sein? Gibt es nichts Konfliktfroheres als das wehe Lächeln pazifistischer Erdmütter, was der phantastischen, aber meistens tödliche Konsequenzen eröffnenden Energie der Männer entgegengesetzt werden kann?

Der androgyne Mensch jedenfalls steht nicht vor der Tür, und die diversen Accessoires der Weiblichkeit, die die Mode wieder stärker ins Spiel bringt, müssen dem Beobachter nicht unbedingt betroffene Aufschreie entlocken. Die Suche nach einer neuen Geschlechtsidentität ist noch lange nicht beendet, und sie verläuft erst einmal über die scharfe Abgrenzung. Der pazifistische Rückzug auf die ewige Frauenmilde und Muttermacht scheint jedenfalls nicht geboten.

Die deutsche Ausgabe erscheint im September bei Ullstein unter demTitel: »Die heimliche Kastration«.

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