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Fernsehen: Gaskammern á Ia Hollywood?

Höchste SPD-Politiker plädierten für die Ausstrahlung, Münchens TV-Chef Oeller will abschalten: Die amerikanische Fernsehserie »Holocaust« über die deutsche Juden-Verfolgung ist schon Monate vor der Sendung in Deutschland umstritten. Kommt die vom WDR für eine Million Mark angekaufte Produktion nur ins Dritte Programm?
aus DER SPIEGEL 20/1978

Bedrückt saßen die Spitzengenossen beisammen. Im deutsch-amerikanischen Verhältnis, so eröffnete Parteiführer Willy Brandt die Vorstandssitzung der SPD am 24. April, stehe es nicht zum Besten.

Georg Leber, Dietrich Stobbe, Horst Ehmke und Wolfgang Roth, alle gerade von verschiedenen US-Tourneen heimgekehrt, echoten ihre »Sorge um eine gewisse Verstimmung«.

Ebenso ungewöhnliches Wie aktuelles Anschauungsmaterial steuerte plötzlich Leber zur politischen Lagebesprechung im Erich-Ollenhauer-Haus bei: Er verwies auf die amerikanische Fernsehserie »Holocaust« und deren publizistischen Nachklang, die er und Ehmke bei ihren Visiten in den Vereinigten Staaten verfolgt hatten.

An vier Abenden Mitte April hatte die sonst eher auf Seichtes spezialisierte »National Broadcasting Corporation« (NBC) ein fiktives Drama über die Geschichte der Juden im Dritten Reich ausgestrahlt: In »Holocaust« (Massenmord) wurden die Schicksalsfäden einer jüdischen und einer Nazi-Familie aufgerollt und aus dem gutbürgerlichen Berlin bis in die Gaskammern von Auschwitz verstrickt.

Die siebeneinhalbstündige Leidenssaga. ein Hollywoodesker Geschichtsunterricht und trotz des peinvollen Themas mit Cream- und Cracker-Spots unterbrochen, zog zeitweilig 120 Millionen Amerikaner an den Bildschirm -- mehr als das publikumswirksame Sklaven-Langspiel »Roots«.

Das Echo war zwiespältig. »Time« rühmte »Holocaust« als kraftvoll und »faktengetreu«. Als »unwahr«, »billig« und »Beleidigung für alle, die umgekommen sind und überlebt haben« -- putzte dagegen der jüdische Schriftsteller Ehe Wiesel in der »New York Times« die Greuel-Story herunter.

Georg Leber schlug sich auf die Seite der Sympathisanten. »Holocaust«, ließ er -- unter Ehmkes Zustimmung -- seine Parteifreunde wissen, sei »bemerkenswert objektiv«, von »beklemmender Wirkung« und keinesfalls antideutsch. In jedem Fall sollte die Serie auch den Deutschen unter die Augen kommen.

Die Bonner Runde stimmte zu und beauftragte alle SPD-Mitglieder in den Aufsichtsgremien der Sender, sich für den Ankauf stark zu machen. Prompt nährte »Die Welt« den »Verdacht«, die Genossen hätten »auf unzulässige Art in die Programmgestaltung der TV-Anstalten eingegriffen«.

Indes: Die Medienhändler waren den Politikern zuvorgekommen. Der WDR in Köln, der eben erst das Neger-Drama »Roots« für 1,4 Millionen Mark verbreitet hatte, war bereits mit der New Yorker Produktionsfirma »World Vision« handelseinig geworden. Kaufpreis: eine Million Mark.

WDR-Fernsehspiel- und Unterhaltungschef Günter Rohrbach, selbst Sozialdemokrat, ist »über die SPD-Empfehlung nicht eben glücklich, weil sie unsere Entscheidung im nachhinein zu belasten droht«. »Von rechts« erwartet der Einkäufer »ohnehin keinen Beifall": »Die wollen doch unser ach so gutes Verhältnis zu den Juden nicht stören lassen.«

Aus »rein programmlichen Erwägungen« hätte Rohrbach die Serie allerdings »gar nicht erst angeschafft«. Mit seinen »vielen Simplifizierungen« und der »echt amerikanischen, auf Effekt und Emotionen abzielenden Darstellung« sei »Holocaust« als illustrierter Aufklärungsunterricht kaum tauglich. Andererseits könnten gerade die Deutschen vor der »Tatsache, daß der wichtigste Partner der Bundesrepublik dieser Serie und ihrem ungeheueren Nachklang ausgesetzt war« und »das Ding jetzt in der ganzen Welt lauten wird«, nicht die Augen verschließen.

Rohrbachs Redakteure verfolgen das Projekt bereits seit vergangenem Sommer, als die amerikanischen Produzenten einen Teil der »Holocaust«-Szenen an deutschen und österreichischen Originalplätzen abdrehten. Über die ARD-Filmeinkaufzentrale »Degeto« sicherte sich der Sender eine -- unbezahlte -- Option und eine frühestmögliche Besichtigung des Fertigprodukts.

Zur gleichen Zeit, da in den USA die spektakuläre Ausstrahlung begann, konnte WDR-Redakteur Märthesheimer im Kölner Funkhaus bereits eine komplette Kassetten-Kopie inspizieren. Am 19. April sah sieh sein Vorgesetzter Rohrbach »rund die Hälfte« der Serie an und informierte Programmdirektor Hübner, der später Einblick nahm. Hübner setzte sich noch am gleichen Abend mit Intendant von Seil in Verbindung, dieser weihte zwecks Zustimmung zum Millionen-Kauf rasch den Verwaltungsrat ein.

Eile schien geboten. Denn auch die Mainzer Konkurrenz, so dramatisierten WDR-Leute die Nachfrage, sei auf den amerikanischen Publikumsknüller erpicht. Als schließlich auf der internationalen Fernsehmesse in Cannes ein Vertreter des »Holocaust«-Produzenten dem ZDF-Unterhändler erstmals Einblick in die Serie gewährte, wollten die Kölner nicht mehr lange fackeln: »Nach einigem Feilschen mit den Amerikanern« (Rohrbach) machte der Sender den Handel klar.

Bislang allerdings haben die rheinischen Importeure für ihren flotten Zugriff im eigenen Lager kein Lob geerntet. Die für die Serienankäufe zuständige ARD-Kommission kritisierte die »indiskutable Qualität« von »Holocaust«. Und als sich die Programmdirektoren zur Frühjahres-Beratung im Tiroler Luftkurort Alpbach versammelten, stießen die Kölner auf Skepsis und Ablehnung.

Münchens TV-Chef Oeller polemisierte, obwohl er die Produktion nur ausschnittweise kannte, gegen das »kommerzielle Machwerk": Dieser »Verkaufsartikel« sei »nicht geeignet, das Andenken der Opfer adäquat darzustellen«.

Für nachträgliche Mitbeteiligung an seinem Millionen-Kauf und den auf etwa 250 000 Mark geschätzten, zusätzlichen Synchronisationskosten sucht der WDR nun wohlwollende Kompagnons. Um das teure Trauerspiel überhaupt ins Erste Programm setzen zu können und nicht in sein Regional-Netz abschieben zu müssen, braucht der Sender wenigstens die einfache Mehrheit unter den Programmdirektoren der ARD.

Für eine dem Thema und Aufbau der Serie angemessene Sendezeit und Placierung -- etwa Anfang 1979 viermal zwei Abendstunden -- ist er wegen der komplizierten Termin-Verrechnung innerhalb des Gemeinschaftsprogramms sogar auf volle Harmonie innerhalb der ARD angewiesen.

Deshalb läßt der WDR derzeit mehrere »Holocaust«-Kassetten durch die Funkhäuser rotieren und versucht gleichzeitig, die Serie durch ein »würdiges Programm-Umfeld aufzuwerten« (Rohrbach). So könnten, nach dem Vorbild der dokumentarischen Nachträge zu den einzelnen »Roots«-Folgen, historische Dokumentationen gereicht und begleitende Diskussionen eingestreut werden. Außerdem möchte Rohrbach zu dieser Zeit den vom WDR produzierten und mitfinanzierten« inzwischen preisgekrönten deutschen Kinofilm »Aus einem deutschen Leben« -- Thema: KZ-Kommandant Rudolf Höss -- auf den Bildschirm bringen.

Eine Entscheidung der ARD, ob der erste Kanal für »Holocaust« geöffnet wird, dürfte in diesem Monat nicht mehr fallen. Münchens Fernsehdirektor Oeller allerdings sieht schon jetzt klar: Sollte eine ARD-Mehrheit für die Serien-Ausstrahlung im bundesweiten Gemeinschaftsprogramm votieren, so versicherte er dem SPIEGEL, würde sich der Bayerische Rundfunk ausschalten -- und diesmal hätte er sogar respektable Gründe.

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