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Figaro ohne Mozart

aus DER SPIEGEL 31/1978

Der tolle Tag« von Beaumarchais hat mehr erreicht als jedes andere Theaterstück. Er hat, wenn man theatralische Wirkungen einmal so salopp übertreiben darf, die Französische Revolution ausgelöst. Und er hat Mozart zu seiner (musikdramaturgisch) größten Oper inspiriert.

Mehr kann man von einem Stück nicht verlangen. Es hat seine Schuldigkeit getan und kann deshalb kaum noch gehen.

Wenn die Salzburger Festspiele, die sich für ihren Schauspielteil verständlicherweise nicht nur auf den »Jedermann« verlassen wollen, in diesem Jahr den »Tollen Tag« in ihr Programm genommen haben, dann gewiß nicht aus revolutionären Reminiszenzen. Sie haben vielmehr aus der Salzburger Schauspielnot, die sich eine Zeitlang durch einen Querkopf wie Thomas Bernhard überbrücken ließ, eine Tugend gemacht: Sie wählten Beaumarchais als verkappte Mozart-Huldigung.

Denn »Die Hochzeit des Figaro« klingt als »Toller Tag« wie eben eine Oper ohne Musik klingt: Ein Werk, das vorgeblich an die Vernunft glaubt, kann die Unvernunft der Triebe, von der es in Wahrheit handelt, auf einmal nur noch im Rokoko-Parlando ausplappern.

Eine Oper, die mit unausweichlichem Nachdruck den gesellschaftlichen Charakter des Eros und den erotischen Charakter einer Gesellschaft beschrieben hat, fällt zurück in das Schema der Hahnrei- und Diener-Komödie und blinzelt mit um 200 Jahre verspäteter Schlüpfrigkeit dem ius primae noctis nach, das ein Graf abgeschafft hat, weil ihn nur reizt, was er freiwillig bekommt. (Dem Manne kann, in der bürgerlichen Gesellschaft, die ihn abhalfterte, inzwischen ja geholfen werden.)

Der Regisseur Johannes Schaaf hat offenbar sehr genau gespürt, wo das Werk Beaumarchais« am eindeutigsten von Mozart korrigiert wurde -- eben in der Figur des Grafen Almaviva. Da »Der tolle Tag« auch ein Pamphlet war, durfte und konnte er den damals herrschenden Typ des Adligen zu einer Zielscheibe des Spotts verflachen.

Mozart dagegen, dessen Musik anstelle von Spott eine gnadenlose Gerechtigkeit und eine die Worte hinter sich lassende Menschenkenntnis entfaltet, hat für Almaviva eine herrische Psychologie entwickelt: Almavivas Scheitern wird komisch und tragisch zugleich; der aufgeklärte Leuteschinder und verspielte Schürzenjäger ist gleichzeitig ein unaufgeklärter Verwandter des Don Juan -- dem gleichen Wahn verfallen wie der junge Cherubino, bei dem das Erschreckende ia auch nur entzückt, weil es noch nicht mit Macht verbunden ist.

Mozarts Graf gibt die Macht ab und verliert damit den Eros; die Oper verabschiedet eine Zeitepoche, das Schauspiel verspottet einen Zeittyp.

Schaaf, da er diesen Unterschied durch keinen Regiezauber der Erde hätte aufheben können, entschied sich dazu, Beaumarchais« heutige Schwäche noch einmal zu übertreiben. Mit der Besetzung des Almaviva durch den ungarischen Schauspieler Ivan Darvas kreuzte er den spanischen Granden mit dem Grafen Bobby.

Ein Hauch von k.u.k. Schwank wehte durch das Stück, wenn man für diesen Grafen fürchtete, er könne beim

*Mit Ivan Darvas (l.). Klaus Maria Brandauer (3. v. l.) und Heidelinde Weis als Gräfin (M.).

Begrapschen eines Mädchens alsbald vom Schlagfloß heimgesucht werden. Schaaf inszenierte damit eine Komödie nach der Variante seines »Trotta«-Films -- nämlich den Zusammenhang zwischen Ohnmacht, Laszivität und Impotenz, Spätkultur als Schwäche. Wahrscheinlich der einzig veritable Ausweg, um sich der Mozartschen Konkurrenz nicht stellen zu müssen.

Bleibt der Figaro, der bei Beaumarchais anstelle der Arien einen der längsten und umständlichsten Monologe der Weltliteratur aufzusagen hat -- ein Leid- und Lebensbild des Autors, der sich bald im Gefängnis, bald bei Hofe befand, einer jener Abenteurertypen, wie sie sich gerne an der Schwelle zweier Zeitalter tummeln.

Klaus Maria Brandauer, für mich die Inkarnation des heutigen Burgtheaterstils, hat für diese Figur alle nötige nervöse Präsenz und Sicherheit. Er ist als Figaro ein Getriebener, der sich lauthals in seine gute Laune hineinschwatzt und sich schon aus Angst weigert, zur Besinnung zu kommen.

Hätte die Aufführung nicht in Salzburg stattgefunden und wäre Brandauer nicht Brandauer, so wären da noch ein paar Spritzer aus der Gosse denkbar gewesen, aus der die Figur gekrochen ist und die uns Mozarts Diener nur deshalb vergessen läßt, weil er singt, noch dazu auf italienisch.

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