Filme für den Lagerkoller Ich halt's nicht aus, holt mich hier raus!

Selbst die interessantesten Mitbewohner gehen einem in der Corona-Zeit manchmal auf die Nerven. Was Sie tun können, statt sich zu streiten: Diese zehn Lagerkollerfilme gucken.
Dustin Hoffman und Robert Deman in "Papillon"

Dustin Hoffman und Robert Deman in "Papillon"

Foto: ddp images

Alle guten Filme bieten kleine Fluchten. Für Kinobegeisterte, die sich in diesen Tagen manchmal ein bisschen eingeengt fühlen, haben wir ein paar Werke ausgewählt, die von richtig gemeinen Stresssituationen in bedrängter Lage erzählen, von der Unerträglichkeit des Zusammenseins und vom Triumph des Abhauens – und von besonders bösartigen Eingesperrten, die glücklicherweise nicht entkommen.

"Das Fenster zum Hof", Regie Alfred Hitchcock, 1954

Im Grunde ist es die reine Sexfolter, die Zuschauerinnen und Zuschauer hier mit Grace Kelly und James Stewart erdulden müssen. Seit sechs Wochen ist der weitgereiste Fotograf L. B. Jefferies (Stewart) mit einem prächtigen Gipsbein in seinem New Yorker Zwei-Zimmer-Apartment eingesperrt, seit sechs Wochen kommt jeden Tag seine Verlobte Lisa Fremont (Kelly) zu Besuch, knutscht und knabbert munter an ihm herum und diskutiert mit ihm Heiratspläne – und selbst als die Frau eines Tages ihr Nachthemd auspackt und sagt, dass sie über Nacht zu bleiben gedenkt, blickt der Mann nur gequält drein. Was hindert diese beiden schönen, liebenswerten Menschen am Zusammenkommen? Es ist nicht die Krimihandlung, die sich unter den Augen des Heldenpaars in einer der Wohnungen gegenüber vollzieht, wo ein Handlungsreisender (Raymond Burr) möglicherweise seine Frau abgemurkst hat. Es ist nicht der Gips, in den eventuell wichtige Körperteile des Fotografen gezwängt sind. Es ist ein Grauen vor der Enge der Zweisamkeit, der ultimative Koller einer heterosexuellen Idealbeziehung. "James Stewarts Problem ist, dass er keine Lust hat, Grace Kelly zu heiraten", hat der Regisseur François Truffaut über den Film geschrieben, der männliche Held sehe in jeder der Wohnungen des Hinterhofs "Geschichten, die das Problem der Liebe und der Ehe illustrieren". Man darf es aber noch deutlicher formulieren: Das Problem des Traumpaars in diesem Film ist, dass beide Beteiligte offensichtlich nicht mal die primitivste Art von Lust empfinden. Am Ende blinzeln sie sich über zwei Gipsbeine hinweg zu: Es gibt kein Entkommen aus dieser Kuschelhölle. Wolfgang Höbel

James Stewart in "Das Fenster zum Hof": Die Angst des weitgereisten Strahlemannes vor der zur Sesshaftigkeit entschlossenen Traumfrau

James Stewart in "Das Fenster zum Hof": Die Angst des weitgereisten Strahlemannes vor der zur Sesshaftigkeit entschlossenen Traumfrau

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"Silent Running" ("Lautlos im Weltraum"), Regie: Douglas Trumbull, 1972

Ökos im Weltall! Eigentlich handelt es sich nur um einen, wenngleich recht militanten Öko: Astronaut Lowell (Bruce Dern) sind die Pflanzen, die er bei der Reise durch das Sonnensystem schützen soll, sowie die Roboter Dewey, Huey und Loui näher als seine kaugummikauenden Raumfahrer-Buddies. Der Befehl, das Ökoprojekt abzubrechen und die kuppelgeschützten Biotope zu zerstören, geht ihm gegen den Strich - er zieht es vor, mit den Robotern allein zu bleiben. "Lautlos im Weltraum", das Regiedebüt von Stanley Kubricks Special-Effects-Experten Douglas Trumbull, ist ein flammendes Plädoyer für den Naturschutz und gegen die destruktive Kraft des Menschen. Flankiert wird es von Joan Baez' Gesang, Bruce Derns bebenden Nasenflügeln und den drei von beinamputierten Komparsen gespielten possierlichen Drohnchen. So es wurde zum Kultfilm der Hippies: Flower Power in der ganzen Galaxie! Jenni Zylka

"Silent Running"-Star Bruce Dern: Lieber mit Robotern allein als mit den Kollegen einsam

"Silent Running"-Star Bruce Dern: Lieber mit Robotern allein als mit den Kollegen einsam

Foto: ddp images

"Der Untergang", Regie: Oliver Hirschbiegel, 2004

Die Führungsriege der Nazis ist nicht gut drauf. Zum einen ist der Krieg verloren und die Rote Armee schon dabei, Berlin einzunehmen. Zum anderen hocken Hitler (Bruno Ganz), Goebbels (Ulrich Matthes) und Konsorten im sogenannten Führerbunker aufeinander, mit anderen Worten: Sie sind in der denkbar schlechtesten Gesellschaft. Es wird viel geschrien und gesoffen, Hitler brüllt alle zusammen, die Nerven liegen blank. Nur eine eiskalte Magda Goebbels (Corinna Harfouch) überlegt, wie sie ihre sechs Kinder still kriegt - endgültig, mit Zyankali-Kapseln. Oliver Hirschbiegels Kriegs-Psycho-und-Endzeit-Drama "Der Untergang" zeigt, was passiert, wenn die Mörder unter sich sind, eingeschlossen auf ziemlich engem Raum: Der Wahnsinn greift um sich. Eine Implosion der Bösartigkeit. Lars-Olav Beier 

Adolf-Hitler-Darsteller Bruno Ganz, Albert-Speer-Darsteller Heino Ferch in "Der Untergang": Bösartige Menschen in denkbar schlechter Gesellschaft

Adolf-Hitler-Darsteller Bruno Ganz, Albert-Speer-Darsteller Heino Ferch in "Der Untergang": Bösartige Menschen in denkbar schlechter Gesellschaft

Foto: interTOPICS/ Capital Pictures/ ddp images

"Breakfast Club", Regie: John Hughes, 1985

Isoliert sein mit Menschen, die man sich nicht unbedingt für die eigene Quarantäne-WG ausgesucht hat (jedenfalls nicht für fünf Wochen!) - kommt Ihnen das bekannt vor? In Agatha-Christie-Filmen endet das ja häufig schlecht, zumindest für eine Person. Für Ihr "Mood Management" könnte also dieser Film etwas besser sein: Fünf Schülerinnen und Schüler werden wegen ihrer Missetaten am Samstag in die Schule zitiert. Als Buße sollen sie dort mal eben schnell die Frage klären, die viele Menschen bis zu ihrem Lebensende nicht beantworten können (oder wollen): Wer bin ich? Natürlich liefern acht Stunden Nachsitzen keine finale Antwort, auch nicht im "Breakfast Club". Aber die fünf kommen ihr und dabei auch sich selbst etwas näher. Die Prinzessin, der Freak, der Sportler, der Schlaukopf und die Außenseiterin sprengen Stereotype, auf die sie immer reduziert werden. Nachmittags verlassen sie die Schule anders als sie morgens hineingingen. Ein bisschen leichter, glaubt man. Vielleicht geht Ihnen das mit Ihrer Quarantäne-WG auch so. Und wenn nicht: Halten Sie es doch wie Bender (Judd Nelson), der am Ende des Nachsitzens die Faust weit in die Höhe reckt, als hätte er eine unmenschliche Strapaze überstanden. Elisa von Hof

Judd Nelson, Emilio Estevez, Ally Sheedy, Molly Ringwald, Anthony Michael in "Breakfast Club": Acht Stunden Nachsitzen am hellichten Samstag

Judd Nelson, Emilio Estevez, Ally Sheedy, Molly Ringwald, Anthony Michael in "Breakfast Club": Acht Stunden Nachsitzen am hellichten Samstag

Foto: ddp images

"Das Boot", Regie: Wolfgang Petersen, 1981

Das fantastische Sub-Genre des U-Boot-Films bewegt sich grundsätzlich zwischen zwei Extremen. Das eine: Schwitzende, stinkende, unrasierte blasse Männer sitzen auf engstem Raum (eine Toilette für die ganze Mannschaft!) zusammen, reißen schlechte Witze, essen Zitronen und feuern dann und wann einen Torpedo ab. Das andere: In einem kammerspielartigen Setting werden große moralische Fragen verhandelt: Was ist der Sinn des Lebens, warum gibt es Krieg, darf man einen opfern, um viele zu retten? Ein U-Boot-Film ist dann gut, wenn er nicht nur eines der beiden Extreme bedient und auch keinen Mittelweg geht, sondern beide Seiten voll auskostet. Und genau deshalb ist "Das Boot" auch so ein guter U-Boot-Film. Ohne Rücksicht wird gezeigt, wie schlimm es sein muss, wenn Dutzende von Männern eingepfercht in einer Stahlröhre unter Wasser miteinander auskommen müssen. Und quälend langsam wird dem Zuschauer vor Augen geführt, wie zermürbend der Krieg sein kann, wenn er auf sich warten lässt. Die Mannschaft ist so verzweifelt angesichts ihrer eigenen Tatenlosigkeit, dass sie lieber sterben würde, als nichts zu tun. Man ekelt sich beim Zuschauen - wegen des Gestanks genauso wie wegen der moralischen Verkommenheit einiger Mitreisender. Xaver von Cranach

"Ekel", Regie: Roman Polanski, 1965

Caroles (Catherine Deneuves) psychotischer Zustand führt zu einem radikalen Lagerkoller. Die junge Kosmetikerin hasst Sozialkontakte, hasst es, von anderen Menschen, vor allem Männern, angefasst zu werden - und reagiert auf übergriffige Vorstöße von Kunden mit zunehmendem Wahn. Sie verbarrikadiert sich in ihrer Londoner Wohnung und überlässt sich dem Trauma. Roman Polanskis kompromisslosester Film porträtiert die Psyche seiner von Sexismus und sexueller Gewalt geprägten Protagonistin auf beeindruckend einfühlsame Weise – zwölf Jahre vor den Vergewaltigungsverwürfen gegen den Regisseur. Der nervöse Jazz-Rhythmus von Chico Hamilton und die Verlorenheit, die man der französischen Schauspielerin ansieht, machen Polanskis 1965 entstandenen ersten englischsprachigen Film zu einer intensiven Erfahrung: einem schwarz-weißen Trip durch die Angst. Jenni Zylka

Schauspielerin Catherine Deneuve in "Der Ekel": Einfühlsame Studie einer Frau, die es hasst, angefasst zu werden

Schauspielerin Catherine Deneuve in "Der Ekel": Einfühlsame Studie einer Frau, die es hasst, angefasst zu werden

Foto: ddp images

"Papillon", Regie: Franklin J. Schaffner, 1973

Wir wollen hier gar nicht erst über das schlimme Remake von 2017 reden - das Original, ein zweieinhalbstündiges Leidens- und Lager-Epos von Regisseur Franklin J. Schaffner, hatte es schon schwer genug. "Du weißt, dass etwas schiefgegangen ist, wenn du die Helden nur entkommen lassen willst, damit der Film endlich vorbei ist", schrieb US-Kritikerlegende Roger Ebert damals. Sehr unfair! Denn gerade jetzt wird "Papillon", basierend auf den Bestseller-Memoiren des Ex-Häftlings Henri Charrière, zum ultimativen Lagerkoller-Begleiter - schon allein wegen der Länge(n). Der Film begleitet den selbstredend unschuldigen Titelhelden (Steve McQueen) und seinen Schützling Dega (Dustin Hoffman) ab 1933 durch eine Tortur in Frankreichs kolonialen Straflagern in Südamerika. Charrières im Buch grell lodernde Wut auf seinen unmenschlichen Staat, die ihn zu immer neuen Fluchtversuchen antreibt, wird von Hollywood-Stoiker McQueen zur allzu coolen Geduldsübung sublimiert. Aber Ruhe bewahren, Mensch bleiben und überleben - das gilt für die Einzelhaft in Französisch-Guyana ja ebenso wie für den Stubenarrest in der Coronakrise. Andreas Borcholte

Dustin Hoffman und Robert Deman in "Papillon": Es geht darum, Ruhe zu bewahren und Mensch zu bleiben

Dustin Hoffman und Robert Deman in "Papillon": Es geht darum, Ruhe zu bewahren und Mensch zu bleiben

Foto: ddp images

"Lost Horizon" ("In den Fesseln von Shangri-La"), Regie: Frank Capra, 1937

Das Paradies liegt auf dem Dach der Welt, in einem entlegenen Tal des Himalaya - groteskerweise aber sieht es dort aus wie in den Hügeln von Hollywood! Durch einen Flugzeugabsturz verschlägt es die illustre Reisegesellschaft dieses Films, zu der eine todkranke Prostituierte (Isabell Jewell) und ein Diplomat in Weltrettungsmission (Ronald Colman) gehören, in eine vor dem Rest der Welt verborgene Hochlandidylle. Sie ist mit ihren künstlichen Wasserfällen, Gärten und sommerlichen Traumhäusern ein Abklatsch von Kalifornien, nur sind die Menschen hier beseelt vom Glauben an Frieden, Liebe und Harmonie. Frank Capras Film galt zur Zeit seiner Entstehung als der teuerste, der je gedreht wurde. Er hat eine Begeisterung für Tibet und buddhistische Spiritualität in der westlichen Welt auszulösen geholfen, die bis heute anhält. Das gesunde, beinahe ewige, in religiösen Fragen tolerante Leben der Menschen in Shangri-La steht in schönstem Gegensatz zum Horror da draußen: "Eine Orgie aus Gier und Brutalität" nennt der von dem Schauspieler Sam Jaffe gespielte Hohe Lama der Shangri-Lanesen das Treiben der restlichen Weltgemeinschaft. Es ist eine politisch unbedingt wertvolle, wunderschön anzusehende, märchenhafte Lektion, die der Regisseur Frank Capra hier den Kinozuschauerinnen und Kinozuschauern erteilt. Meine Sympathie aber gehört leider George (John Howard), dem kleinen Bruder des Diplomatenhelden, der unbedingt raus will aus dem Paradies. Das ewige Vogelzwitschern, Lächeln und sanftmütige Gesäftel ist einfach nicht auszuhalten. Wolfgang Höbel

"Lost Horizon"-Darsteller Ronald Colman (links): Abenteuerausflug ins Tal des beinahe ewigen Lebens und des sanftmütigen Gesäftels

"Lost Horizon"-Darsteller Ronald Colman (links): Abenteuerausflug ins Tal des beinahe ewigen Lebens und des sanftmütigen Gesäftels

Foto: interTOPICS/ Snap Photo/ ddp images

"Cast Away - Verschollen", Regie: Robert Zemeckis, 2000

Ohne Wilson hätte Chuck Noland wohl nicht vier Jahre lang durchgehalten auf der einsamen Insel, an deren Ufern er nach einem Flugzeugabsturz gestrandet war. Als sich Chuck, von Tom Hanks mit faszinierender Intensität gespielt, nach 1500 Tagen mit einem Floß auf den Weg macht, ertrinkt er fast bei dem Versuch, seinen Gefährten zu retten. Dabei ist Wilson nur ein Volleyball. Chuck, Mitarbeiter des Logistik-Unternehmens Federal Express, durchlebt das klassische Robinson-Crusoe-Schicksal und erfindet sich einen imaginären Freund. Mit einem Volleyball zu sprechen, Gefühle für ihn zu entwickeln, wäre im normalen Leben eher Zeichen einer psychischen Störung. In der totalen Isolation aber birgt es die Möglichkeit, halbwegs bei Verstand zu bleiben, denn ohne ein Gegenüber droht das Selbst verloren zu gehen. Den Film bitte zu zweit schauen! Katharina Stegelmann

"Cast Away"-Protagonist Tom Hanks: Der Held entwickelt Gefühle für einen Ball namens Wilson

"Cast Away"-Protagonist Tom Hanks: Der Held entwickelt Gefühle für einen Ball namens Wilson

Foto: ddp images

"Abwärts", Regie: Carl Schenkel, 1984

Vier Menschen in einem Fahrstuhl - enger kann man sich nicht unfreiwillig auf die Pelle rücken. Social Distancing? Unmöglich. Nirgends ist es schwieriger, unbekannte Mitfahrende höflich zu ignorieren. Man steht ja direkt neben ihnen. Für viele Menschen ist es wohl deshalb eine Horrorvorstellung, in dieser Blechkiste eingeschlossen zu sein, schlimmer noch als die Angst vor Höhe oder Luftmangel. In "Abwärts", einem Höhepunkt im überschaubaren Kanon des deutschen Actionfilms, tritt diese Extremsituation ein. Und es ist immer noch faszinierend zu sehen, wie der Schweizer Regisseur Carl Schenkel die eigentlich statische Ausgangslage mit einer Mischung aus actiongeladener und psychologisch ausgefeilter Abgründigkeit auflädt. Götz George, mit seiner packenden Körperlichkeit so etwas wie der große Action-Star der Zeit, lässt Schimanski-mäßig die Muskeln spielen und den Schnurri zittern. Aber der wahre Star ist der grandiose Wolfgang Kieling, dessen Figur des alternden Angestellten die meiste Zeit still im Hintergrund steht, jedoch das größte Geheimnis unter seinem Mantel trägt. Oliver Kaever

"Abwärts"-Mitspieler Wolfgang Kieling, Götz George: Psychoduell in einer Blechkiste

"Abwärts"-Mitspieler Wolfgang Kieling, Götz George: Psychoduell in einer Blechkiste

Foto: ddp images
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