Filme der Woche So schön konnte nur ein Mann sein

Die deutsche Provinz wird ein magischer Ort, eine Nobelpreisträgerin befragt sich selbst und ein früherer Jungstar blickt zurück auf sein Leben – das sind die Filmstarts der Woche.
Filmszene aus »Der schönste Junge der Welt«: Björn Andrésen am Set von »Tod in Venedig«

Filmszene aus »Der schönste Junge der Welt«: Björn Andrésen am Set von »Tod in Venedig«

Foto: missingFilms / epd

Seit 29. Dezember im Kino

»The Most Beautiful Boy in the World«

Als der italienische Starregisseur Luchino Visconti die Verfilmung von Thomas Manns Novelle »Tod in Venedig« (1971) vorbereitete, reiste er nach Schweden, um dort einen Jungen von betörender Schönheit zu finden. Er entdeckte den damals 15-jährigen Björn Andrésen und besetzte ihn in der Rolle des Knaben Tadzio, dem der von Dirk Bogarde verkörperte Komponist Gustav von Aschenbach verfällt. Auf dem Festival von Cannes präsentierte Visconti Andrésen als »den schönsten Jungen der Welt«.

Schauspieler Björn Andrésen heute: Blick zurück auf ein fremdbestimmtes Leben

Schauspieler Björn Andrésen heute: Blick zurück auf ein fremdbestimmtes Leben

Foto: missingFILMs

Kristina Lindströms und Kristian Petris Dokumentation »The Most Beautiful Boy in the World« zeigt, dass der heute 67-jährige Schauspieler noch immer mit den Folgen des frühen Ruhms zu kämpfen hat. Andrésen, der vor einigen Jahren in dem Horrorfilm »Midsommar« zu sehen war, aber offenbar in prekären Verhältnissen lebt, wurde vor allem in Japan als blond gelockte Sensation vermarktet. Aufnahmen von seinen damaligen öffentlichen Auftritten vermitteln den grotesken Rummel sehr anschaulich.

Andrésens Großmutter, bei der er aufwuchs, wollte anscheinend um jeden Preis, dass er berühmt wird. Allerlei fremde Menschen versuchten, aus ihm einen Star zu machen. Was das alles mit ihm anstellte, schien kaum jemanden zu interessieren. Der Dokumentarfilm reist mit ihm noch einmal an die Stätten seiner frühen Triumphe, die ihn mehr verstörten, als dass er sie genießen konnte. Es ist ein wehmütiger, aber bisweilen auch versöhnlicher Blick auf ein weitgehend fremdbestimmtes Leben. Lars-Olav Beier

»The Most Beautiful Boy in the World«. Schweden 2021. Buch und Regie: Kristina Lindström, Kristian Petri. Mit Björn Andrésen. 93 Minuten.

»Was man von hier aus sehen kann«

In der hügeligen deutschen Provinz streifen Menschen umher, die nach Art japanischer Buddhisten im Wald meditieren – und andere, die von Okapis träumen. Es ist eine bittersüße Dorfkomödie voller Zeichen und Wunder, die der Regisseur Aron Lehmann nach dem Erfolgsroman von Mariana Leky  gedreht hat.

Darsteller Cosmo Taut und Ava Petsch in »Was man von hier aus sehen kann«: Bittersüße Dorfkomödie

Darsteller Cosmo Taut und Ava Petsch in »Was man von hier aus sehen kann«: Bittersüße Dorfkomödie

Foto: Frank Dicks / Studiocanal

Nicht das kleinste dieser Wunder ist, dass in dem Film »Was man von hier aus sehen kann« die sonst oft unterkühlt wirkende Schauspielerin Corinna Harfouch eine wirklich herzerwärmende Rolle spielt. Harfouch verkörpert die alte Selma, die ihre Enkeltochter Luise (als Kind dargestellt von Ava Petsch, als junge Frau von Luna Wedler) großzieht. Seit vielen Jahren wird Selma vom hoffnungslos in sie verliebten Dorfoptiker (großartig: Karl Markovics) angeschmachtet. Er schreibt ihr ständig Briefe und Notizen, die er niemals abschickt. Verzückt von dieser merkwürdigen Leidenschaft der Alten durchlebt Luise mit anmutig-störrischer Unbeirrtheit das Drama des ersten Herzschmerzes und des Abschieds von der Kindheit.

»Wenn man sich genauer umsieht, erscheint einem ohnehin das meiste im Leben als seltsam«, sagt diese Heldin einmal. Ab und zu wirkt sie, als sei sie eine Schwester der in Paris lebenden Hauptfigur aus »Die fabelhafte Welt der Amélie«. Aber die mal traurigen, mal tollen Schicksalsfügungen auf dem deutschen Dorf entwickeln in diesem Film dann doch eine ganz eigene Magie. Wolfgang Höbel

»Was man von hier aus sehen kann«. Deutschland 2022. Buch und Regie: Aron Lehmann. Mit Luna Wedler, Ava Petsch, Corinna Harfouch, Karl Markovics. 109 Minuten.

»Annie Ernaux – Die Super-8 Jahre«

Bei Annie Ernaux gestalten sich die Zeitabläufe immer etwas anders. Erst gelang der Französin mit über 70 Jahren dank Büchern wie dem Memoir »Die Jahre« (im Original »Les années«) der weltweite Durchbruch als Schriftstellerin, nun erobert sie mit 82 Jahren auch noch das Kino. 2021 gewann die Verfilmung ihres autofiktionalen Werks »Das Ereignis« von Audrey Diwan den Goldenen Löwen in Venedig. Im Mai 2022 präsentierte sie in Cannes ihre erste eigene Regiearbeit: »Les années Super-8«. Es ist eine gemeinsam mit ihrem Sohn David Ernaux-Briot erstellte Collage aus den Super-8-Filmen, die in der Familie Ernaux zwischen 1972 und 1981 entstanden waren. Jetzt kommt der einstündige Film, der bereits in der Arte-Mediathek  zu sehen war, mit kräftig Werbeschub durch den Literaturnobelpreis für Ernaux auch ins Kino.

Szene aus »Annie Ernaux – Die Super-8 Jahre«: Beharrliche Selbstbefragung

Szene aus »Annie Ernaux – Die Super-8 Jahre«: Beharrliche Selbstbefragung

Foto: Film Kino Text / dpa

Bei den Aufnahmen von Urlauben und Familienfeierlichkeiten, die der Film versammelt und die Ernaux lakonisch kommentiert, stand stets der mittlerweile verstorbene Ehemann von Ernaux und Vater ihrer zwei Söhne hinter der Kamera – eine strikte Aufgabenaufteilung nach Geschlecht, wie Ernaux bescheinigt. Von derlei Zwängen scheint die Ehe der beiden geprägt zu sein. Wie man aus »Die Jahre« schon weiß, war die Verbindung keine glückliche. Ob man es aber auch aus den Bildern heraus verstanden hätte, ist unklar. Zu vage und banal sind die meisten, um sich gegenüber Ernauxs pointiertem Kommentar behaupten zu können. Wie Ernaux ihre eigene Geschichte mittels beharrlicher Selbstbefragung schreibt, bleibt aber auch in der Filmversion eindrücklich. Hannah Pilarczyk

»Annie Ernaux – Die Super-8 Jahre«. Frankreich 2022. Buch und Regie: Annie Ernaux, David Ernaux-Briot. 63 Minuten.

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