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Fleischliche Weisheit

R. V. CassiIl: »Doktor Cobbs Spiel«. Molden; 608 Seiten; 26 Mark.
aus DER SPIEGEL 12/1971

Hauptberuflich kuriert und porträtiert er Mitglieder der Londoner High-Society. Sein wahres Genie allerdings entfaltet der malende Modearzt Dr. Michael Cobb In britischen Betten: Mit trickreichen Sex-Praktiken streitet der »Playboy und Beischlafartist« für die Völkerverständigung.

»Zauberstab« des Lust-Spiel-Strategen ist Cecile Banner, ein rotmähniger Teenager aus einem Londoner Vorort. Cobb hat ihn zu »einer supermodernen englischen Geisha« herangebildet. Lockvogel Cecile soll das weitgespannte Netz einflußreicher Beziehungen erweitern und ihm die für sein politisches Befriedungsprogramm erforderlichen Regierungsmitglieder ködern.

Einer geht auch prompt In die Falle: der britische Kriegsminister Richard Derwent. Doch der Plan des Doktors, Derwent mit dem russischen Agenten Obukow »die Aussöhnung der feindlichen Lager« bewirken zu lassen, scheitert am Argwohn des Geheimdienstes -- der wittert alsbald eine »akute Bedrohung der nationalen Sicherheit«. Also muß der Politiker sein Amt quittieren; Cobb, vor Gericht gestellt, begeht Selbstmord.

Der amerikanische Autor Cassill schrieb auf, was wenige Jahre vorher ähnlich das Leben geschrieben hat: Der delikate Profumo-Keeler-Skandal, der 1963 die britische Regierung mächtig ins Wanken brachte, inspirierte ihn zu seinem dickleibigen Gesellschafts-Reißer.

Der Schmöker verliert sich freilich im Mystischen. Der intrigierende Doktor nämlich entpuppt sich als idealistischer Revolutionär und fast messianischer Magier, der die Menschen »verzaubert«, um »sie über die Kräfte des Körpers aufzuklären und ihnen die Weisheit zu vermitteln, die aus dem Fleisch kommt«. Und das soll heißen: durch Dr. Cobbs Sex zum Frieden, und ist wohl nicht erfolgversprechender als die Devise »Fuck for peace«.

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