Zur Ausgabe
Artikel 65 / 86

»FLINKE GARTENZWERGE FÜR DIE CITY«

Mit ihrer »sportlichen Welle« hat Deutschlands Autoindustrie ein anachronistisch anmutendes Werk vollbracht: Sie produzierte Riesenserien sportlich zugeschnittener und sportlich motorisierter Autos, und sie züchtete zugleich einen neuen Käufertyp heran, der ohne Murren erträgt, daß er -- zumindest in Ballungsgebieten -- mit seinem sportlichen Kilometerfresser meist nur noch im Schleichtempo vorankommt. Die Straßenbauer haben das Rennen gegen die Autoproduzenten schon heute längst verloren, der bundesdeutsche Personenwagen-Bestand von 15 Millionen Stück aber wird sich nach den Prognosen der Verkehrsfachleute in wenig er als zehn Jahren auf über 20 Millionen erhöhen. Ausländische Hersteller haben daher bereits zu einem angepaßten, neuen Bautrend gefunden, den Deutschlands Autoproduzenten bisher ignorierten: zum Bau von »kompakten Kraftpäckchen«, wie der Stuttgarter Automobilkritiker Dieter Korp die Wagen nannte -- Kurzautos, die auch auf Autobahnen nicht kurzatmig werden. Korp hat ein Auto dieser Bauart, den Autobianchi A 112, für den SPIEGEL erprobt. Sein Urteil: »Ein wendiges Wiesel, das auch Bierkästen -- deutsches Zulassungsmaß für neue Modelle -- ohne Mühe zu fassen vermag.
aus DER SPIEGEL 14/1971

Die kleine Kurpackung heißt A 112. Ein Appetitanreger, der die städtische Verkehrsmarmelade wieder schmackhafter macht. Man kann seinem besten Freund die Frau, aber nicht den Parkplatz wegnehmen. Der A 112, modernes Parklückenspürgerät, verzeiht auch das.

Er ist der bislang pfiffigste Vertreter eines neuen Trends -- ein Stadtwagen, der auch als Landwagen den Eigner nicht im Stich läßt. Der A 112 seift unterwegs manchen Großen ein. Die kleine Dose sprüht vor Temperament.

Die Sprühdose, neu im Schaufenster und noch weitgehend unbekannt, heißt mit ganzem Namen Autobianchi A 112. Sie entstammt der kleinen Tochter einer großen Mutter, Fiat in Turin, die sie -- seit 1899 in der Branche -- 1955 zusammen mit Reifenmacher Pirelli neu aufgemotzt hat. So standen alle Zutaten eines Konzerns zur Verfügung, in dem neben Autos auch Düsenjäger, Schiffsmaschinen und Speiseeis vom Fließband fallen.

Städte beginnen an ihren Autos zu ersticken. Nun werden die Straßen auch noch von der Zweitwagenwelle konsumbewußter Hausfrauen verknödelt. Doch nicht allein der Raum wird knapp -- die Atemluft jetzt auch. Die Städte sind zu Großgaragen der Zivilisation geworden, doch hat man ein Schild vergessen: »Vorsicht beim Laufenlassen der Motoren. Vergiftungsgefahr!«

München, Im harten, vorolympischen Training täglich neue Bestzeiten im Schleichen vermeldend, bereitet noch einen anderen Rekord vor. Nach den Plänen der Stadtväter wird es die erste Stadt sein, die wegen des hohen Grades der Luftvergiftung zeitweiliges Fahrverbot einführen will.

Aber der Bürger klammert sich an seinen Miefling. Darin ist er der Chef. Das ist es. Autos stärken sein Rückgrat. Aber sie schwächen seine Bandscheiben. Sie sind -- man beachte den Einfall -- zugunsten höherer Geschwindigkeiten für die vorherrschenden kleineren Geschwindigkeiten viel zu hart gefedert. Das ist die sportliche Welle.

Doch ohne Auto ist der Mensch die Hälfte wert. So werden die Zweitwagen Immer größer, doch die Erstwagen kaum kleiner. Denn für das Chefzimmer bringt man jedes Opfer. Zu groß für die Stadt sind auch die Motoren, die kaum noch bis zur Hälfte ausgenutzt werden. Aber beim Schleichen ist ihre Ausatmung am giftigsten.

Schafft Stadtwagen, empfehlen die Experten. Doch entstanden bisher nur skurril entworfene Prototypen, kriechende Käseglocken und geistreich gestylte Hundezwinger. Führe man mit ihnen zu Tante Frieda nach Mannheim, würde der Wind die untüchtigen Gefährte vom Beton husten. Autofahrer wollen aber mit ihrem Besitztum nicht nur parken. Am liebsten möchten sie damit fahren.

So geht denn der Trend zum kompakten Kraftpäckchen, nützlich beim Schleichen und Sprinten im City-Verkehr, ernst zu nehmen aber auch als Mittelstreckler zwischen den Städten. Fiat, Renault, Citroen oder die englische BLMC halten längst solche universellen Kurzwaren bereit. Deutschlands verwöhnte Autoverfertiger freilich blicken mit leisem Ekel auf solche Kleinen. »An denen«, mäkeln sie, »ist doch überhaupt nichts zu verdienen!« Sind Gewinne wichtiger als eine giftfreie Umwelt?

In der Tat sind die Entwicklungskosten für vernünftige Kleine ebenso hoch wie für unvernünftige Große, wenn nicht höher. Man muß, was leider mühselig ist, schärfer nachdenken, um innerhalb eines engeren Kosten- und Gewichtsspielraumes möglichst viel von jenem Kulturgut unterzubringen, von dem komfortbewußte Käuferseelen heute träumen. So ist es keine Überraschung, daß in unserem Land nur noch ein Wagen unter einem Liter Hubraum gebaut wird (NSU Prinz).

Doch wir wollen gerecht sein. Den tüchtigen Wunschweckern unserer Autoindustrie ist ja schon die Züchtung eines wichtigen Käufertyps gelungen, jenes Bezahlers, der es zufrieden ist, mit sportlichen Autos ganz langsam zu fahren. Nun basteln die Meinungspfleger offenbar an einem Konsumenten, der sein neues Auto vor der Haustür verrosten läßt, weil er mit den städtischen Verkehrsbetrieben zu den täglichen Brötchen fährt. Glücklich wird er sein, nebbich, wenn er bald das neue Modell kaufen darf.

Man kann freilich auch einen neuen Autotyp schaffen, so etwas wie diesen A 112. Er ist mit nur 3,23 Meter von Stoßstange zu Stoßstange ein kurzer Lulatsch. gegenüber Wolfsburgs neuestem Uralt-Käfer um 84 Zentimeter kürzer. Da seine Konstrukteure aber mit den Zentimetern so vorsichtig umgingen wie die Bundesbank mit dem Diskontsatz, genießt der A-112-Fahrer auf den Vordersesseln ein besseres Raumgefühl als im Käferleib. Der Motor wurde quer über die Vorderachse gestellt, die Räder so weit wie möglich nach vorn und hinten geschoben. So entstand Lebensraum auch für Langbeiner. Doch stehen die Pedale eng nebeneinander. Meine Schuhgröße ist 45, man bedenke die Breite.

Der wassergekühlte Motor schnurrt wie eine zufriedengestellte Katzin. 44 PS läßt der Schnurrer heraus, 5600 Touren drehend. Aber das ist noch längst nicht sein letztes Angebot. Der Kühlwasserventilator wird nicht über einen simplen Riemen angetrieben, »sondern durch einen eigenen Elektromotor und überdies nur hei Bedarf zugeschaltet. Das gibt es sonst nur bei feinen Leuten.

Einem Auto fühlt man an, ob seine Erzeuger selber fahren oder einen Chauffeur beköstigen, Hier hat der Wirt selber gekocht, ein automobiler Feinschmecker zweifellos, der überlegt und anregend zubereitet hat. Sogar ein Tages-Kilometerzähler und ein Scheibenwischer-Intervallschalter finden sich serienmäßig auf der Speisekarte. Sportlich mutet das Lenkrad an, mit Holzkranz und Schweizerkäselöchern in den Speichen. Doch das Holz ist Kunststoff. Selten sah ich mich besser getäuscht.

Das Hupsignal freilich klang kümmerlich nach müde gewordenen Legehennen. Auch sprang die Einfassung für den Knopf heraus. Das Problem war schnell bewältigt, Klebeband fixierte das Übel. Die Rolle Klebeband und die Dose Rostumwandler gehören, man sollte es wissen, in den Anzug eines jeden Besitzers neuer Autos.

Zwei Türen hat das flinke Knusperhäuschen und sogar einen Lieferanten-Eingang. Letzterer öffnet sich am Reck und enthüllt dem staunenden Betrachter bei umgelegter hinterer Sitzbank eine Ladefläche von fast ambulantem Charakter. Kühlschrank, Kleinmöbel, Bierkästen -- das deutsche Zuladungsmall für neue Modelle -- oder Fernseher wurden schon im A 112 befördert. Für empfindliche Farbfernseher möchte man sich indessen nicht verbürgen -- die Federung ist straff.

Unter einer Abdeckung im Laderaum: Bordwerkzeug, Wagenheber und Reserverad, sauber aufgeräumt wie in einem schwäbischen Eigenheim. Hier möchte man auch Butterbrote und Kartoffelsalat verstauen, wenn man sich beim Picknick am Landstraßenrand nicht daran stört, daß auch hochgiftiges Blei aus klopffesten Benzinen mitgevespert wird.

Die stumpfe Schnauze, das abgesägte Heck, fast wie beim englischen Austin! Morris Mini, sehen ein wenig nach Schuhkarton-Look aus, der offenbar bei Raumwundern dieser Kragenweite nicht zu vermeiden ist. Doch wirkt der kleine Italiener schnuckeliger, nicht zuletzt, weil er auf 13-Zollstatt auf 10-Zoll-Kinderwagenrädchen rollt. Das läßt die Reifen länger leben und die Vision fohlenbeiniger Backfische, gegürtet mit minimalem Mini, entstehen. Träume, weiß der Psychologe, verkaufen Autos.

In der Stadt mehr ein Gerneklein als ein Gernegroß, weitet sich seine Brust draußen um einige Nummern. 135 km/h fährt er ohne Rückenwind. Das Ist viel, aber gewiß nicht zuviel für diesen Winzling. Frontantrieb, bei den Kleinen und sogar bei Großen im Vormarsch ("Die Pferde ziehen vorn"), läßt ihn einen sauberen Strich fahren, auch wenn es von der Seite bläst.

Mit 685 Kilogramm zählt er zwar zu den Leichtgewichtigen, aber er ist unter den Leichten noch nicht der Geringste. Doch drückt nicht schieres Gewicht auf die Straße (alte Autobauernregel, 1897), sondern ein gutes Fahrwerk. So bleibt man auch in Kurven unbehelligt und darf auch hier unbesorgt über die steuerlichen Abzüge vom Einkommen grübeln.

Auch rollende Lücken üben eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Selbst Personenwagen-Dieselfahrer sah man im A 112 aus tiefer Lethargie erwachen und mit wiedergewonnener Potenz zu gnadenlosen Lückenspringern werden. Hintermänner standen wütend auf der Hupe. Doch sie bellten den falschen Baum an. Das Wiesel handelte seinem Wesen gemäß.

Der notorische Lückenfüller. Wendig und lebendig. Kolonnenschreck und Parkhausauto. Der Stadtwagen, aber die Stadt heißt nicht Pompeji. Er ist von heute. Die gelungene Synthese von Einkaufstasche darbender grüner Witwen und Fun Car der unreiferen Jugend. »Macht einfach Spaß!«, sagte eine Schwesternschülerin und leckte sich die Oberlippe. »Richtig süß!« lispelte, von einer Volkshaushaltsmaschine umgestiegen, eine höhere Tochter.

5783 Mark kostet der Stadtgartenzwerg, und darin sind vordere Scheibenbremsen, Bremskraftregler (selten auch bei teuren Autos) und Gürtelreifen enthalten. Der Benzintank, man sollte es nicht unterschlagen, liegt gesichert vor der Hinterachse, sein Verschluß hat Schraubgewinde -- das mindert die Feuergefahr bei harten Berührungen. Leider kann sich der A 112 nach dem Willen der Konzernmutter nicht auf das Fiat-Netz stützen. Er muß sich mit vorerst rund 320 Autobianchi-Werkstätten begnügen.

Sein Vierzylinder ist mit 903 Kubikzentimeter maßvoll in der Steuer und von bescheidenem Durst: rund 8,5 Liter Super im Schnitt auf 100 Kilometer. Wo, fragt sich der Chronist besorgt, wo bleiben Deutschlands Autoväter? Sie wirken, kein Zweifel, etwas abwesend. Wirklich umsatzverwöhnt? Oder nur keine Einfälle? Die kleine Kurpackung, wie gesagt, heißt A 112.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 65 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten