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LITERATUR Flottes Gemenschel

aus DER SPIEGEL 30/2005

Unterhaltungsliteratur ist eine Frauendomäne. Die Königinnen des Gewerbes heißen Gaby Hauptmann, Ildikó von Kürthy und Susanne Fröhlich; ihre Bücher tragen Titel wie »Suche impotenten Mann fürs Leben« oder »Mondscheintarif«. Männer sind in diesem Genre so selten wie Frauen in der Formel 1. Ein Mann, der hier Erfolg haben will, muss wohl wie eine Frau schreiben können: leicht, flott, plauderig.

Jan Weiler, 1967 geboren, hat es geschafft. Sein erster Erzählband »Maria, ihm schmeckt's nicht« wurde aus dem Stand ein Bestseller, der zweite, kaum erschienen, macht es ihm nach. Dabei fällt es schwer zu sagen, worum es bei »Antonio im Wunderland« geht. Der Verlag verspricht eine Geschichte über einen italienischen Gastarbeiter der ersten Stunde, der sich nach seiner Verrentung einen Kindheitstraum erfüllen möchte: eine Reise nach Amerika. Er nimmt den deutschen Schwiegersohn mit, und der notiert alles, was die beiden erleben - ähnlich wie Eckermann, der Protokollant von Goethe.

Tatsächlich wird erst mal das Leben am Niederrhein geschildert, wo man etwa erörtert: den Unterschied zwischen Hollywoodschaukeln und Jean-Paul Belmondo (Belmondo wird auch älter, rostet aber nicht) oder die Frage, warum deutsche Eigenheimbesitzer alles verschattende Birken in ihre Gärten pflanzen. Ansonsten geht Papa Antonio wie alle Italiener zum Hauptbahnhof, um dort andere Italiener zu treffen, und redet deutsch wie Harald Schmidt, wenn der einen Italiener nachmacht. Der Leser erfährt das, was er schon ahnt oder weiß, und darin liegt der Reiz des Buchs: In New York sieht das Guggenheim Museum »wie der Rohbau eines Parkhauses« aus, bietet »hervorragende sanitäre Anlagen« und »mediokren Kaffee«. So menschelt sich Weiler an der Seite seines Schwiegervaters durch den Alltag zu beiden Seiten des Atlantiks. Drüben müssen Büroangestellte auf die Straße, wenn sie »eine Zigarette qualmen wollen«. Hüben riecht es auf der Bundeskegelbahn »wie in einem Männerwohnheim«. So isses.

Jan Weiler: »Antonio im Wunderland«. Kindler Verlag, Reinbek; 272 Seiten; 16,90 Euro.

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