Film Flucht nach Blau
Nach knapp 30 fetten Jahren im internationalen Showgeschäft überraschte den Innsbrucker Dietmar Edler von Schönleiten alias Dietmar Schönherr, 46, »die glücklichste Zeit meines Lebens«.
Über 70 Filmrollen, eine Radiokarriere in Wien und Köln, ungezählte Bühnenauftritte und ein Furt mit der Plattenbranche, für die er ("So heiß geliebt in alle Ewigkeit") den Nachruhm seines Schauspieler-Kollegen James Dean besang, hatten den smarten Draufgänger zuvor zwar reüssieren, doch seines Lebens nicht recht froh werden lassen: »Die Dinge. die ich gern gemacht hätte, waren unerwünscht.«
Erst der Abstecher in ein neues Metier verschaffte dem auch im Fernsehen längst wohlgelittenen Spielmacher ("Wünsch dir was") jetzt »einen Rausch« und Befriedigung: Schönherr. »jahrelanger Gängelungen« müde, debütierte als unabhängiger Filmemacher.
Am Freitag letzter Woche hatte im gemeindeeigenen Wiener »Metro« -- Kino Schönherrs »Kam« Premiere, ein selbstgeschriebenes, selbstinszeniertes und rundum gut gemeintes Bekenntniswerk »gegen die Unmenschlichkeit, gegen Brutalität, gegen alle möglichen Schweinereien. die so ganz beiläufig auf unserer Welt passieren« (Schönherr).
Thema des handlungsarmen, mit Interviews, moralischen Appellen ("Glauben Sie nicht, daß es Befehle gibt, die man nicht ausführen darf?") und Dokumentarmaterial überladenen Lichtspiels ist ein Grenz-Fall: Beim Versuch. sich aus der Heimat illegal abzusetzen, gerät der Textilarbeiter Willi. 18, ins Feuer der Staats-Hüter und verblutet unter den Blicken passiver Zuschauer im Niemandsland. Die Wiedervereinigung mit Braut Anna, das Fluchtmotiv, bleibt Willi versagt.
Aber eine deutsch-deutsche Matter-Tragödie hatte Schönherr, ein gewaltfeindlicher Sozialist à la Dom Helder Câmara. gewiß nicht im Sinn.
Denn statt einen konkreten Vorfall auf der Leinwand zu lokalisieren, hat er lieber Abstraktes »schulmäßig« bebildert: Sein Film, global gegen den Krieg, den Faschismus, die Todesstrafe, die Gleichgültigkeit. den Kapitalismus und alle »etabliert-kommunistischen Systeme« programmiert, soll einfach jeden Übeltäter »unserer Welt« treffen, macht aber, da kein Name genannt wird, sicherlich auch keinen betroffen: Ganz allgemein verendet der Flüchtling zwischen den Ländern »Blau« und »Braun« eine Beschuldigung etwa der DDR, so das Schönherr-Konzept, hätte womöglich die ebenso schuldverstrickte Bundesrepublik leichtfertig exkulpiert.
Bei soviel Furcht vor möglicher Ungerechtigkeit verlieren selbst die Dokumentarzitate aus deutschen Konzentrationslagern, aus Saigon. Prag und My Lai an Überzeugungskraft.
Polemisch in den Filmstoff eingewirkte »Worte zum Sonntag«, Napalm-Rezepturen und authentische Erlebnisse des Generalssohns Schönherr mit einem alten Kameraden seines Vaters, der nachts vorm Grammophon deutsche Märsche auf der Trommel begleitet, gehen im engagierten Überschwang unter.
Völlig folgenlos, das weiß der Jungfilmer. wird der mißratene »Kam« dennoch kaum bleiben dafür stammt er aus Österreich.
Schon bei Drehbeginn neideten konservative Parlamentarier dem Kreisky-Freund die Förderung seines Projekts mit öffentlichen Geldern (Österreichisches Fernsehen, Unterrichtsministerium, Gemeinde Wien) und den pazifistischen Einsatz des Bundesheeres.
Zu den Aufnahmen -- letztes Jahr zwischen »Wünsch dir was« -Terminen -- empfing Schönherr »Drohungen von SS-Verbindungen« ("Dir hauen wir die Zähne ein"), doch bereits vor der Uraufführung durfte er wieder hoffen:
Ein in Salzburg ansässiger Harvard-Mann verhieß dem Autor eine Film-Tournee durch US-Universitäten: eine Einladung zum Festival von Cannes, wo Österreich noch nie recht konkurrenzfähig war, ist gleichfalls in Sicht.
Und wenn er beim Publikum Erfolg hat, verheißt Schönherr« dann soll »Kam« bald einen Bruder bekommen -einen Film, »in dem man dann mal über die Ursachen sprechen könnte«.