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BUCHMARKT Fräulein Jesus

Von Fritz Rumler
aus DER SPIEGEL 50/1997

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, auch ihre Schmöker. Das Millennium, das Jahrtausend, neigt sich, das Buch dazu ist schon da. Es heißt »Der letzte Tag« (Lichtenberg Verlag; 560 Seiten; 39,90 Mark) und entsprang einem amerikanischen Hirn. Dessen Besitzer heißt Glenn Kleier und ist Boß der größten Werbeagentur Kentuckys. Er handelte, wie sein Gesetz es ihm befahl: Gib den Armen im Geiste, was sie haben wollen, was sie von der Wende erwarten. Also: apokalyptisches Krachen, esoterisches Blubbern, ein paar Thriller-Pfeifen und die Wiederkehr des Messias. Der ist ein Fräulein namens Jesa, stammt aus einem israelischen Frankenstein-Labor, heilt Blinde und Lahme, lehrt Feminismus, kanzelt den Papst ab, stirbt am Karfreitag und ist Ostersonntag verschwunden, wie gehabt. Anschließend sind die Kirchen am Ende, und alle Menschen werden Schwestern. Das Ganze läuft ab wie Fernsehen auf Papier, zappt sich durch die ganze Welt und verdient den Klischee-Preis. Statt dessen bekam Kleier, 47, von seinem US-Verleger eine Million Dollar, eine weitere Million brachten ihm Filmrechte und Lizenzen, die Bestsellerie-Maschine läuft, das Internet brummt, »Der letzte Tag« bricht an. Für die Literatur?

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