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Artikel 55 / 69

Frankfurt im Frack

SPIEGEL-Redakteur Karl-Heinz Krüger über den Bauboom am Main *
Von Karl Heinz Krüger
aus DER SPIEGEL 28/1984

Frankfurt ist »in«. So schnell geht es mit dem Renommee einer Stadt - und, wie tröstlich, nicht immer nur bergab (wie gerade mit Hamburg).

Frankfurt am Main, lange Zeit die verrufenste Stadt der Bundesrepublik, in der Beliebtheitsskala nur noch knapp vor Wanne-Eickel, Hort des Lasters und derangierte Kokotte des Kapitals, als »Bankfurt«, »Krankfurt« und »Mainhattan« verspottet - die Stadt gilt plötzlich wieder etwas in der Welt, jedenfalls in der Welt der Architektur. »Irre regieren Irre«, wurde während einer Demo zwar an einen Bauzaun geschmiert; und tatsächlich folgte dem privaten Bauboom durch die Banken Ende der siebziger Jahre eine kommunale Investitionsorgie, bei der keine andere deutsche Stadt mithalten konnte.

Rudi Arndt, der Sozialdemokrat, hat schon recht, wenn er über den entrückten OB Walter Wallmann von der Christen-Union frozzelt: »Hier wird nur noch achtspännig gefahren.«

Doch den Leuten vom Hochbauamt kam der Mufti aus Marburg gerade recht. Seine Ambitionen, Frankfurts

»Fernbild« zu verändern und »Bleibendes« zu hinterlassen, verschafften ihnen ziemlich freie Hand. Ohne viel Tamtam konnten sie eine Reihe großer Architektenwettbewerbe ausschreiben, mit dem erklärten Ziel, in der Geldstadt »das Monopol des Spätfunktionalismus zu brechen«.

Denn am Ende all der rauhen Fieberjahre, in denen die City und das Westend geradezu umgepflügt wurden, in denen Spekulanten und Demonstranten fast täglich für negative Schlagzeilen sorgten, stand ja als markanteste Errungenschaft der Stadt die kalte Pracht der Skyline - der einzigen, nach amerikanischem Begriff, in der Bundesrepublik.

Der Dom, mit 95 Metern ein halbes Jahrtausend lang das höchste Bauwerk der Stadt, wurde von den Großbanken buchstäblich in den Schatten gestellt: Helaba und BfG, Dresdner und Deutsche Bank trieben ihre stolzen Selbstdarstellungen in (für deutsche Verhältnisse) Wolkenkratzerhöhen - die Dresdner bis auf 166 Meter, die Deutsche gleich zweimal bis auf 155 Meter.

Dabei dachten ihre Bosse gar nicht daran, der Stadt etwas von dem, was sie ihr genommen hatten, zurückzugeben. So arrogant und abweisend, wie sich die Geldkästen nach außen gaben, so waren sie auch innen angelegt: asozial. Mit Ausnahme der BfG, die ihre Beletage nach amerikanischem Vorbild mit Ladengeschäften und einer Cafeteria der Öffentlichkeit zugänglich machte, richteten die Banker weder Lobbys oder Passagen noch Aussichtsrestaurants ein. Die einst so hochgeschätzte hessische Gemütlichkeit war zumindest im Frankfurter Stadtbild dahin.

Mit solchen Konsequenzen aus der Entwicklung Frankfurts zur Finanzmetropole wollte man sich auch im Römer und seinen Dependancen nicht abfinden. Wie eine Lawine brach über Nacht eine Bewegung zum städtebaulichen Facelifting los. Parole: »Das neue Frankfurt«.

Den publizistischen Rahm schöpften zwar Walter Wallmann im Schultheißenamt

und sein Marburger Mitbürger, der Kunsthistoriker Heinrich Klotz, mit allerlei großen Worten ab. Wallmann: Frankfurt müsse wieder »liebenswert« werden - ach ja. Und Klotz, nun Leiter des neuen Architekturmuseums, predigte den »Prozeß der Vermenschlichung einer Stadt« - als ob Frankfurt bis jetzt entmenscht gewesen wäre.

Doch die eigentlichen Bauherren des »Neuen Frankfurt« waren Wallmanns sozialdemokratische Flügelmänner: der Baudezernent Hans-Erhard Haverkampf, der Kulturdezernent Hilmar Hoffmann und der leitende Baubeamte Roland Burgard. Sie - und der Geschäftsführer der Messe GmbH, Horstmar Stauber - waren die Pragmatiker, die ein Dutzend »Star«-Architekten in die Stadt holten und sie zur unbestrittenen architektonischen Nr. 1 in der Bundesrepublik machten.

Reichlich unverfroren übernahmen sie von dem sozial engagierten Architekten Ernst May aus den zwanziger Jahren das Schlagwort vom »Neuen Frankfurt« und etikettierten damit so ziemlich alles, nur ausgerechnet nicht das, was May damals gemeint hatte, die Wohnung für das Existenzminimum - denn die gehört nicht zum Programm der CDU.

Neu - das war zuallererst die Wiederbelebung des Alten, eine Pflicht, die Frankfurt seinen Bürgern schuldig zu sein glaubte: die Wiederherstellung der Alten Oper und die Herstellung der Knecht-Ruprecht-Kulisse auf dem Römerberg.

Für das Kontrastprogramm zu den glatten Zweckbauten von Banken und Handel zeigte sogar ein so unerbittlicher Verfechter der Reduktion und Gegner jeglicher Kostümierung wie der Kölner Architekturprofessor Oswald Mathias Ungers durchaus Verständnis. »Köln hat den Dom, Berlin die Gedächtniskirche, Frankfurt wurde immer nur beschimpft«, dolmetscht er den Taxifahrer, der nun voller Stolz auf »unsern alten Opernhaus« zeigen kann.

Mit der detailgetreu rekonstruierten Außenschale der Oper bekam die Frankfurter Gesellschaft gleichsam ihren Frack; die ebenso naive wie dreiste Errichtung der Fachwerkfassaden vis-a-vis vom Römer bescherte ihr die »größte und schönste Apfelweinwirtschaft der Welt« ("FAZ"). Linke maulten: »Protz und Kotz.«

Geplänkel. Die Architektur-Schlachten, die auch international Resonanz fanden, wurden woanders geschlagen. Auf dem Messegelände zum Beispiel.

Da konnte Ungers, der Theoretiker, endlich sein hartnäckiges Schweigen brechen und einiges von seinen strengen Vorstellungen realisieren. Nun beherrschen gleich drei gewaltige Brocken von ihm das Areal der Messe GmbH.

Mit dem Messehaus 9 baute er die größte Ausstellungshalle in Europa - eine Million Kubikmeter auf einer Grundfläche von 120 mal 250 Meter, mit einer Ausstellungsfläche, vergleichbar nahezu zwölf Fußballfeldern, in mehreren Etagen. Soviel Masse zu bewältigen und auch noch zu gestalten, fand der »Baumeister«, erfordere »nicht nur Mut, sondern großes Können dazu«.

Das Gegenstück zu dieser Messeburg schuf Ungers gleich nebenan mit der »Galleria« - einem leichten und lichten, glasgedeckten Kuppelbau, der als »Festplatz« und »Erholungszone« der Messe verstanden werden soll.

Ungers sieht die gläserne Riesentonne gern in gedanklicher Nähe zur »Galleria Vittorio Emanuele« in Mailand. Immerhin ist sie, neben dem Hanse-Viertel in Hamburg, Deutschlands spektakulärste Passage: 120 Meter lang, 25 Meter breit, 32 Meter hoch.

Größtes Aufsehen wird freilich das Hochhaus erregen, das Ungers derzeit auf einem Gleisdreieck errichtet und das der Messe, nach Fertigstellung zum Jahresende, als »Zeichen« dienen soll. Denn dies wird ein Hochhaus einer völlig neuen Generation - keine Meterware und keine Box, vielmehr eine Gestalt, gegliedert in Sockel, Mittelstück und

Krone, teils aus Glas und teils aus Stein, insgesamt, mit 30 Geschossen, 115,20 Meter hoch.

Der tragende Unterbau ist mit Betonwerksteinen in der rötlichen Farbe jenes Mainsandsteins verkleidet, aus dem die Paulskirche und der Römer sind. Aus ihm wächst die Krone aus silbrigem Spiegelglas. Silberverglast ist auch das 28 mal 28 Meter große Fenster im Mittelstück, hinter dem, über zwölf Geschosse, ein Innenhof ein »räumliches Erlebnis« vermitteln soll. Schließlich, so Ungers, »soll man wissen, daß man sich in einem hohen Haus aufhält«.

Natürlich mußte Ungers bei seinen Messebauten die Wünsche seiner Auftraggeber, dazu die eine oder andere Auflage durch den Magistrat berücksichtigen. Frei von derlei Widrigkeiten war seine Arbeit am Architekturmuseum, einem Hort der Baukunst, mit dem Frankfurt eine ganze Reihe von Museumsbauten, überwiegend am Schaumainkai, begann.

Ungers baute, nach dem Vorbild der russischen Puppe, ein »Haus im Haus im Haus« und zugleich ein Lehrstück über Räumlichkeit. Er höhlte eine alte Villa aus und füllte sie, über fünf Stockwerke, mit vielerlei Variationen des Quadratischen - vom Satteldach aus Beton bis zum Stuhl aus schwarzgefaßten weißen Karos und einem Lichthof, in dem er eine bejahrte Kastanie, die überlebt hat, wie eine besondere Kostbarkeit ausstellt.

»Die Architektur hat ihr Delphi«, meldete die »Bauwelt« ihren Lesern von der neuen Kultstätte. Ungers selbst lobt sein Exerzitium: »So klar und so rein wie eine Zeichnung«.

Ein architektonisches Ereignis ersten Ranges steht, gleichfalls am Schaumainkai, mit der Vollendung des Museums für Kunsthandwerk bevor. Der Bau ist die erste Arbeit des New Yorker Architekten Richard Meier außerhalb Amerikas, und schon der Entwurf entzückte die Kritiker weltweit.

Die Virtuosität und Akkuratesse, mit denen Meier seine Neubauteile zu Paraphrasen der alten, geschützten Villa Metzler machte, lobte das US-Fachblatt »Architectural Record": »Als ob eine einfache Melodie in eine barocke Fuge verwandelt würde.« Das italienische Fachblatt »Lotus international« urteilte: »Ein Juwel.«

Auch Meier ist mit seinen Licht- und Raum-Scharaden und der kunstvollen Geometrie, zu der er sich von so großen Lehrmeistern wie Le Corbusier, Frank Lloyd Wright und Alvar Aalto inspirieren ließ, zufrieden. »Das Beste, was ich je gemacht habe«, findet er.

Das will etwas heißen. Denn für sein bisheriges OEuvre - überwiegend Villen und Museen, als Solitäre in die Landschaft gesetzt - erhielt der 49jährige soeben in New York den mit 100 000 Dollar dotierten Pritzker-Preis, der als »Nobelpreis für Architekten« gilt und zuvor beispielsweise an Philip Johnson und James Stirling ging.

Die drei Kuben im Park, denen weißes porzellan-emailliertes Metallpaneel schließlich die für Meiers Bauten so charakteristische Eleganz geben wird, sieht Kulturderzernent Hoffmann schon jetzt unter Denkmalschutz.

Meier ist ein klarer Fall von Baukunst. Weit weniger Überzeugendes spielt sich zur Zeit hinter den Bauzäunen zwischen Dom und Römer ab, etwa in der Saalgasse, wo zwölf in- und ausländische Architekten 16 giebelständige, viergeschossige Reihenhäuser errichten - und alle, auf rund fünf Meter Breite, ihre Ideen loswerden müssen.

Daß diese Gassenhauer kein Gesamtkunstwerk, sondern allenfalls ein Patchwork

der Postmoderne werden können, ist mittlerweile wohl auch den verantwortlichen Leuten im Hochbauamt bewußt. Sie gleiten, mit ihrer Rechtfertigung, ins Sentimentale ab und lassen, auch hier, »das Herz für Frankfurt schlagen«.

Es ist dieses Übermaß an »Menschlichem« in der Werbung, das den Kritiker die Frankfurter Errungenschaften am Ende mit einigem Verdruß betrachten läßt - zumal vieles im kommunalen Design für das menschliche Auge unzumutbar geraten ist.

Seit nach mehr als 20 Jahren endlich die Baugruben für U- und S-Bahn geschlossen sind, toben die Stadtkosmetiker sich mit dem üblichen Krimskrams wie Bänken, Leuchten und Pflanzkübeln in den Fußgängerzonen aus.

Die Zeil, die berüchtigte Einkaufsstraße, bekam außer Natursteinboden und Platanen in Viererreihen auch vier gläserne Pavillons für die Kleingastronomie - und einen Brunnen, natürlich. Denn, so OB Wallmann: »Jeder Brunnen ist ein Stück mehr Menschlichkeit.«

Als der Architekt Ernst May vor mehr als einem halben Jahrhundert sein »Neues Frankfurt« propagierte, machte er Ernst mit dem sozialen Ziel: Er schuf neue Quartiere, von der Zubringerstraße bis zum Küchenstuhl, in kurzer Zeit 15 000 genormte Kleinwohnungen, vor allem »für Menschen in Not« - was ihm bei bürgerlichen Kritikern den Titel »Baubolschewist« eintrug.

Die »Revitalisierung Frankfurts als Wohnstadt« hat auch der CDU-Bürgermeister Wallmann versprochen. Aber vom sozialen Wohnungsbau ist in Frankfurt Fehlanzeige zu melden. Da bewegt sich nichts.

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