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THEATER Frau liebt Adler

In seinem autobiographischen Roman »Michael« sah sich Goebbels 1923 als »Christus-Sozialist« und »Erlöser«. Eine Berliner Bühne setzte den vergessenen Text jetzt in Szene.
aus DER SPIEGEL 23/1975

Er war verkrüppelt, wog kaum 100 Pfund, hat das Pulver nie gerochen, und dennoch bramarbasierte er wehmütig vom Kriege:

»Unter meinen Schenkeln schnaubt nicht mehr der Vollbluthengst, ich sitze nicht mehr auf Kanonenbänken, noch

* Hans-Michael Quäckber als Goebbels-Held Michael.

stapfe ich durch den lehmigen Schlick verwahrloster Schützengräben.«

Er war ein Doktor der Philosophie, studierte am Urquell dichterischer Hochkultur, beim Professor Gundolf in Heidelberg, und er schrieb wie Courths-Mahler:

»Die echte Frau liebt den Adler.« Oder: »Eine Frau ohne Grazie ist wie ein Haus ohne Eingang.« Oder: »Ich küsse Hertha Holk auf den weichen, schwärmerischen Mund; und wir schämen uns beide über die Maßen.«

Aber wenn der sechsundzwanzigjährige Doktor Joseph Goebbels in die Zukunft schwärmt, wird er schrecklich wahr: »Wenn wir wieder zu uns selbst kommen, dann wird die Welt vor uns erzittern lernen.«

Im Jahre 1923 hatte der mittel- und arbeitslose Goebbels einen stark autobiographischen Bekenntnisroman verfaßt. »Michael -- Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern« hieß er sein »Denkmal deutscher Inbrunst«. Jetzt ist es als ein Stück zu sehen.

Im West-Berliner »Kleinen Theater«. einer gemütlichen Bude mit Trinkgelegenheit, hat der welsch-schweizerische Autor-Regisseur Pierre Badan, 31, das aufschlußreiche Frühwerk als schlichte Szenenfolge arrangiert -- um die »mystischen, sexuellen, imperialistischen Wurzeln« des späteren Propaganda-Dämons bloßzulegen.

Badan, selbsternannter »Spezialist für Abfall-Literatur«, will damit »nicht in der NS-Nostalgie mitschwimmen«. Zu sehnsüchtigem Fingern an braunen Reliquien lädt die Goebbelssche Schicksals-Schwarte kaum ein.

»Dieses Schwabing muß ausgeräuchert werden«, fordert Goebbels-Michael. Oder: »Das landfremde Pack muß aus der deutschen Kunst heraus.« Oder: »Der Jude ist für mich ein körperlicher Ekel.« Und wo der kleine Doktor nicht brutal ist, fällt er in Bombast: Er will »erlösen«, dem Vaterland einen »Weg brechen in eine andere Zukunft«, und manchmal »überkommt mich so eine Anwandlung: Ich setze meinen Helm auf, ziehe meinen Degen und deklamiere Liliencron«.

Aus Lesefrüchten. Nietzsche vor allem und Dostojewski. hatte sich Goebbels einen explosiven Brei angerührt. Aber auch den »Faust« trägt sein Michael im Tornister und die Bibel. Denn er glaubt an ein Amalgam aus einem antisemitischen Christus und einem antimarxistischen Sozialismus: »Christus-Sozialismus«.

Der Ex-Soldat Michael wird, angeekelt von der »Republik« und verlassen von der Geliebten Hertha Holk. schließlich »Soldat der Arbeit« und fährt als Bergmann zur Grube. Von seinem Ende da, Steinschlag, erfuhr die Welt freilich erst sechs Jahre später.

Denn der dichtende Doktor fand, bevor er NS-Paladin wurde, keinen Verleger. Erst der Parteiverlag Franz Eher druckte das programmatische Werk 1929 in völkischer Fraktur. Die Druck-Fassung, vermuten Biographen. hat Goebbels noch zeitgemäß aufpoliert. Um als früher Hitler-Vasall zu gelten, läßt er seinen Michael 1922 in eine Münchner Versammlung geraten. wo ihm ein Wunder widerfährt:

Da spricht einer, »ein Prophet«, der »wälzt Quader auf Quader zu einem Dom der Zukunft«, seine »blauen Augensterne treffen mich wie Flammenstrahlen«, und dann weiß er nur noch: »Ich legte meine Hand in eine klopfende Männerhand.«

Unretuschierbar blieb die Vergangenheit mit dem Urbild der Michael-Geliebten. Goebbels, schon NS-Gauleiter, konnte der Verflossenen einen Redakteursposten verschaffen: undankbar, wie sie war, zeigte sie ein Exemplar von Heines »Buch der Lieder« herum, das ihr einst Goebbels mit schwülstigen Zeilen gewidmet hatte.

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