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Fernsehen Freche Alte

Der Bayerische Rundfunk probt den Tabubruch - und präsentiert eine Talk-Moderatorin im Rentenalter.
aus DER SPIEGEL 13/1995

Die Frau ist kein Typ für Damenprogramme. Viele graue Haare stehen widerborstig um einen dickschädeligen Kopf. Mit der Neugier des Ethnologen richtet sie ihre aquamarinblauen Augen auf alles und jeden. Sätze kann sie prasseln lassen wie Salven, der Mund hat selten Feuerpause.

Wer die Journalistin Anne Rose Katz mag, wie der Nürnberger Studioleiter des Bayerischen Rundfunks, Thomas Gruber, 52, findet »ihre Lebendigkeit und Intelligenz einfach umwerfend«. Wem sie dagegen mit ihrer Art den Nerv sägt, der zeigt körperliches Unbehagen, sobald diese Kreuzung aus Pippi Langstrumpf und Trude Unruh auftritt.

Das wird sie nun öffentlich und rechtmäßig tun. Am Montag dieser Woche moderiert die Autorin und Fernsehkritikerin zum erstenmal eine Late Night Show im Studio Franken. Auf einem kreisrunden, sonnengelben Sofa soll die Gastgeberin Leute zum Reden bringen, die sich sonst anders ausdrücken: Maler, Bildhauer, Schauspieler, Musiker lädt die gebürtige Fränkin unter dem Titel »Frank und frei«, zum Künstlergespräch _(* Anne Rose Katz: »Die Freiheit der ) _(späten Jahre«. Knaur Taschenbuch Verlag; ) _(176 Seiten; 12,90 Mark. ) um 23.15 Uhr, vorerst alle paar Wochen. »Ich trete«, sagt Katz kämpferisch, »ganz bewußt gegen Gottschalk an.«

Aufmerksamkeit erregt diese Personalie in einem Nischenprogramm nicht nur, weil die Moderatorin so unbekümmert wie fernsehunerfahren ist. Mit ihrer »Traumbesetzung« hat Sendeleiterin Marion Jerrendorf, 40, das ungeschriebene TV-Tabu gebrochen, wonach Frauen im Bildermedium jung und faltenfrei sein müssen. Anne Rose Katz steht zu ihren Krähenfüßen wie zu ihrem SPD-Parteibuch, ist nicht gerade schlank, dafür ziemlich kenntnisreich und 71 Jahre alt. »Oma Katz«, sagt Katz, sei fein raus aus den Jugendschutzbestimmungen für Bildschirmfrauen: »Ich hab'' die Wechseljahre hinter mir.«

Redakteurin Jerrendorf war das Geburtsdatum ihrer Entdeckung ziemlich gleichgültig. Sie setzt darauf, daß die »Mutter, Journalistin, Geliebte, Hofnärrin, Emanze« (Katz) ihren neuen Job so angeht wie alle anderen vorher: unkonventionell, aber solide, mit einer Offenheit, der nichts peinlich ist.

Allemal hat die in München lebende Journalistin eine für Frauen ihrer Generation höchst ansehnliche Laufbahn vorzuweisen. Mehr als ein halbes Jahrhundert schlägt sich die studierte Theaterwissenschaftlerin freiberuflich schreibend durch, seit 20 Jahren vornehmlich für die Süddeutsche Zeitung. Ein paar Preise hat sie eingeheimst, für ihren Mutterwitz beispielsweise; ihre Bühnenstücke fanden weniger Beachtung. Sie hat Tanztheater produziert und Operntexte verfaßt.

Trotzdem ist die Autorin mit ihrer Karriere nicht zufrieden. Sie sieht sich als Opfer der Männergesellschaft und ist »neidisch auf meine Konkurrenz mit den Seidenschlipsen, die mir immer die Türe vor der Nase zuschlug«.

Dabei waren und sind es Männer, denen Katz jetzt ein Denkmal setzt. Dem Herrn Papa beispielsweise, mit dem nicht geschlafen zu haben sie heute bedauert: »Psychisch war ich sowieso ganz von ihm abhängig.« Doch die Entjungferung nahmen andere »Grauköpfe« vor, die dem Mädchen Anne Rose dafür auch etwas hinterließen: Kierkegaard etwa und die Erkenntnis, daß »ein geiler Beischlaf einem von niemandem in der Gesellschaft geschenkt« wird.

Solche Ergüsse von einer über 70jährigen - da muß Nachtkonkurrent Thomas Koschwitz mindestens die Hosen runterlassen. Katz hält diese Sorte Deutlichkeit mühelos in Buchlänge durch: »Die Freiheit der späten Jahre« heißt die laut Verlags-PR »ungewöhnliche Biographie«, die im Mai herauskommt und vermittelt, was die Autorin unter frank und frei versteht*.

In einem Ton, der provokativ sein will, aber oft nur geschwätzig ist, rechnet »Papas Liebling« da mit allen Gegnern ab, von Mama bis zur katholischen Kirche. Im Zentrum der Selbstbespiegelung steht die »phallische Witwe«, die ihr aktives Sexualleben seit ein paar Jahren einem »milchjungen Knaben« namens Dominik, 28, verdankt.

Wenn es erotisch wird, und das kommt öfter vor, verläßt die ansonsten pointensichere Schreiberin das Stilgefühl. Als es Katz vor ein paar Jahren derart überkam, daß sie ihre diesbezüglichen Empfindungen in Verse fassen mußte, entstand ein Gedichtband, der Herren ihres Alters gewiß ein frivoles »Ho, ho« entfahren ließ. Textprobe: »Mister, bleib bei deinen Leisten. / Grade in der Leistengegend, / vor und rückwärts dich bewegend, / bist du besser als die meisten.«

Noch ein paar Jahre freier und später geht die graue Löwin - so ihr Sternbild - nun in ihrem Buch prosaisch zur Sache. So richtig ging die Nummer mit »Schlüssel und Schlüsselloch« noch mal los, nachdem Katz vor sechs Jahren ihren Ehemann, den Schauspieler Sigfrit Steiner, verloren hatte.

Sexuell erwartete die Witwe nichts mehr, bis jener »Lover« kam, der sie heftig an Brust und Lippen drückte - in einem »Lift, der verspiegelt ist«. Auch danach trug sie »manchmal Schwarz, aber mehr drunter als drüber«.

Und dann endlich Dominik. Den kranken Gatten hatte er als Zivildienstler in den Tod begleitet; nun reist er mit der Witwe seit vier Jahren um die Welt.

Vielleicht mußte ja wirklich mal hingeschrieben werden, daß nicht nur die Kahlköpfe dieser Welt die Freiheit haben, sich immer wieder neue Kindfrauen zu suchen. Vielleicht hatte Dominik, der inzwischen studiert, ja recht, als er darauf bestand, die ungleiche Liebesbeziehung zu outen, weil sie »auch ein Politikum« sei.

Man freut sich für Frau Katz, daß sie »die befreite Sexualität erst im Alter nun genießt«; aber müssen Dritte ganz genau erfahren, wie der Mann die Frau verführte, ohne an graue Haare und Falten auf dem Bauch zu denken, obwohl er »alles gut hätte sehen können, denn das Licht blieb an«? Mutterwitz.

Es ist nicht das vermeintlich Erotische oder etwa die Tatsache, daß sich hier eine ältere Frau entblößt. Die Autorin ist einfach indiskret: ob sie erzählt, daß ihr Vater ihre Mutter für frigide hielt; das verkruxte Elternhaus ihres jugendlichen Liebhabers analysiert; oder über ihren Ehemann, der mit 81 starb, berichtet: »Ein Beischläfer war er schon lange nicht mehr.«

Fast bedrohlich klingt da die Ankündigung der Neu-Moderatorin Katz, mit ihren Fernsehgästen »in aller Offenheit« plaudern zu wollen. In der ersten Sendung beschränkt sie sich allerdings fürs erste auf ihr journalistisches Mund- und Handwerk.

Zudem hat der Bayerische Rundfunk, womöglich um Entgleisungen der unberechenbaren Seniorin vorzubeugen, eine Notbremse eingebaut: Die Talkrunde wird jeweils ein paar Tage vor Sendetermin aufgezeichnet. Y

* Anne Rose Katz: »Die Freiheit der späten Jahre«. Knaur TaschenbuchVerlag; 176 Seiten; 12,90 Mark.

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